Wie vereinbart steht heute morgen ein Freund, der in der Nähe lebt, vor der Tür meiner Unterkunft. Als ich ihm vor einigen Tagen schrieb, dass ich von Berlin nach Leipzig laufen möchte und dabei auch an Teltow und Saarmund vorbei komme, erhielt ich seine Antwort : „Durch meine Heimat führe ich dich“ – und genauso machen wir es jetzt auch. Ich verstaue meinen Pilgerführer und die Karte im Rucksack und schon geht es los. Wir durchqueren Stahnsdorf und erfreuen uns an den vielen bunten Bauerngärten, die in voller Blüte stehen.
Völlig überrascht entdecke ich das erste Mal nun auch die Jakobsmuschel, dem Symbol meines Weges.


Unsere erste Rast machen wir am Güterfelder Haussee und gönnen uns einen Kaffee. Die Zeit vergeht rasch, denn der Gesprächsstoff geht uns nicht aus. Wir kommen auf dem grünen Rad- und Wanderweg gut voran und so erreichen wir viel früher als geplant Philippsthal. Im gleichnamigen Gasthof erfrischen wir uns an einer großen, kühle Apfelschorle.

Schon geht es weiter. Wir überqueren die Nuthe, die dem Tal (und der Autobahnabfahrt :-)) ihren Namen gegeben hat, bevor wir kurze Zeit später in Saarmund und damit an meinem Tagesziel ankommen.

Wir verabschieden uns herzlich und ich verkrümle mich in der Hitze des Nachmittages mit meinem Buch auf einen Liegestuhl im einladenden Garten meiner Pension. „Gelassenheit durch Auflösung innerer Konflikte“ so heißt der Titel von Angelika C. Wagner, das mich die nächsten Stunden begleiten wird. Ihre Definition von Gelassenheit bedeutet „einen Zustand innerer Ruhe, verbunden mit Wohlbefinden, Heiterkeit, Besonnenheit und innerem Gleichmut“ – das kann ich gut für mich annehmen und freue mich, dass ich mich gerade in diesem Zustand befinde.
Später wandere ich noch einmal zurück in das 2 Kilometer entfernte Philippsthal, um dort sehr lecker zu Abend zu essen und auch noch ein wenig weiterzulesen.

Ich bleibe an einer praktischen Übung hängen, die helfen soll, den Arbeitsspeicher wieder freizubekommen. „Erst einmal Pakete packen“ heißt sie und ist gut umsetzbar: alle Probleme oder Themen, die mir gerade in den Sinn kommen, notiere ich in meinem Inneren auf einer „Erledigungsliste“, dann stelle ich mir vor, jedes der Themen in ein Paket zu packen und an einem bestimmten Ort abzulegen, verbunden mit dem Versprechen, dass ich mich zu einem festgelegten Zeitpunkt genau damit beschäftigen werde. Danach betrachte ich entspannt meine „Pakete“ aus der Distanz mit der Gewissheit, wann es Zeit für jedes Thema ist. Nun kann ich mich mit freiem Kopf dem direkt anstehenden Punkt widmen – in dem Fall meinem wohlschmeckenden Räucherfisch :-). Das probiere ich auf jeden Fall demnächst einmal vor der nächsten Lerneinheit aus, bei der tatsächlich alle Konzentration notwendig ist.
Nun ist es erst einmal an der Zeit, wieder zurückzuwandern und den Tag zu beenden.

Am nächsten Morgen erwartet mich ein sehr leckeres Frühstück und ein entspanntes Gespräch mit meiner Gastgeberin zum Thema „Was ist wirklich wichtig im Leben“. Auch sie hat einen herben Einschlag vor einigen Jahren erlebt, der ihr Leben komplett verändert hat. Wir sprechen über Lebensfreude, Lebenszeit, über Träume und Wünsche bevor ich mich wieder auf den Weg begebe.

Meine Etappe heute ist mit knapp 17 Kilometern recht kurz und ich lasse es entspannt angehen. Die Sonne strahlt durch die Bäume auf den vor mir liegenden  Waldweg und taucht die Landschaft in ein ganz besonderes Licht. Dazu der blaue Himmel über mir – es ist der perfekte Glücksplittermoment.

Ich wandere an ausgedehnten Sonnenblumenfeldern vorbei und kann mich gar nicht satt sehen an den leuchtenden Blüten, die sich elegant der Sonne entgegenstrecken.

Die Felder gehen in einen Nadelwald über, den ich noch niemals zuvor so licht erlebt habe. Die Bäume stehen hochgewachsen in Reih und Glied ausgerichtet, dazwischen funkelt das satte grüne Moos. Was für ein Glück ich habe.

Am Waldrand entdecke ich eine Bank und mache es mir gemütlich. Nach dem Zufallsprinzip tippe ich in meiner Kindle-Bibliothek auf einen der vielen gespeicherten Titel und ich freue mich sehr, dass sich Julia Camerons „Der Weg des Künstlers“ öffnet. Von meinen Morgenseiten habe ich ja schon oft berichtet, nun schmökere ich weiter in dem sehr anregenden Buch: „Spring und das Netz wird da sein“ schreibt sie und genau das kann ich aus meiner Erfahrung der letzten Monate nur bestätigen.

Nachdem es mir auf der Bank in der Sonne entschieden zu warm wird, wandere ich weiter zum „Großen Seddiner See“ und finde den wohl derzeit schönsten Platz auf dieser Welt. Ich genieße den Moment. Sehe, wie die weißen Wolken sich im Wasser spiegeln und höre dem im Wind singenden Schilf zu, magisch fühlt sich der Augenblick an, fast zu schön, um wirklich wahr zu sein.

Langsam wird auch das Gedankenkarussell in meinem Kopf ruhiger, beginnt sich ein roter Faden aus dem Themenknäuel in meinem Kopf zu bilden. Das Schöne an meiner derzeitigen Aus- und Weiterbildungszeit ist es, dass ich mich mit so vielen Themen beschäftigen kann, die mir wirklich Freude bereiten. Die Kunst dabei ist es, Struktur in die Themenvielfalt zu bringen, um mir aus den vielen Puzzleteilen mein ganz eigenes Zukunftsbild zu bauen. Genau dafür helfen solche Tage wie heute.

Fast wehmütig verlasse ich meinen paradiesischen Platz und nähere mich nun dem großen Spargelanbaugebiet von Beelitz. Nachdem am Johannistag – dem 24. Juni – die Spargelsaison endet, bilden die Pflanzen einen grünen Busch aus, um genügend Kraft für das nächste Jahr zu sammeln. Und genau inmitten dieser Büsche stehe ich nun, sattgrün und höher als ich gewachsen – bis zum Horizont ist nichts anderes zu entdecken.

Es gibt sogar einen „Spargel-Rundweg“ und ich lerne, dass die Spargelpflanze mit dem Wachsen der Spargelstange bis zu siebenmal versucht, einen Stamm zu bilden, aus dem dann der Busch entstehen kann. Daher werden in der Regel aus einer Spargelpflanze sechs Spargelstangen geerntet und die siebte und letzte wächst dann durch, damit auch im nächsten Jahr wieder geerntet werden kann.

Wenig später begrüßt mich die Stadt Beelitz natürlich auch standesgemäß mit ihrer Hauptattraktion:

Ich beziehe mein Quartier und erfreue mich in der „Alten Brauerei“, die ich sonst nur aus der Spargel-Hochsaison kenne, an leckerem Fisch und Salat und lasse damit diesen wunderbar entspannten Tag für mich ausklingen.

 

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