Dankbar greife ich die Anregung eines Freundes auf, nach all den spannenden, bereichernden und gleichzeitig auch fordernden Erfahrungen, die mein Ausbildungsjahr mit sich bringen, mir eine kleine Auszeit zu nehmen, um wieder mehr in meine innere Mitte zurückzukehren. Er empfiehlt mir den Benediktushof in der Nähe von Würzburg und nach einem Blick in das umfangreiche Seminarprogramm entscheide ich mich recht spontan für den Kontemplations-Einführungskurs. Noch habe ich nicht so wirklich eine Idee, was sich dahinter konkret verbirgt. Klar ist, dass der Kurs im Schweigen stattfinden wird und es auch die Empfehlung gibt, auf Handy und Internet zu verzichten. „Kalter Elektronikentzug“ – Im Augenblick für mich kaum vorstellbar.

Wie immer viel zu spät losgefahren, übe ich mich auf der Autobahn in Multitasking – das Baguette aus der Tüte balancieren, ein Hörbuch aus meiner Bibliothek auswählen, schnell noch eine email auf dem Smartphone beantworten und das alles auf der Überholspur. Das Seminar kommt wohl tatsächlich zum genau richtigen Zeitpunkt.

Noch bevor ich den Benediktushof erreiche, fällt mein Blick schon von weitem auf die beeindruckende Rundkirche, die in ihrer Schönheit einlädt, das Gelände des ehemaligen Benediktinerklosters aus dem 8. Jahrhundert zu betreten.

Nach einer sehr wechselvollen Geschichte als Kloster, Gutshof und zuletzt als Hotelbetrieb ist hier 2003 ein Meditations-und Achtsamkeitszentrum der ganz besonderen Art entstanden. Denn sein Gründer, Williges Jäger, schlägt hier den spannenden Bogen zwischen den östlichen und westlichen Meditationsformen, zwischen christlicher Mystik und buddhistischen ZEN.

Schon bei meiner Ankunft spüre ich die Energie, die von diesem Ort ausgeht und die direkt meinen Körper und Geist entspannt.

In einem der ehemaligen Klostergebäude befindet sich mein Zimmer – spartanisch schön: keine Bilder an den Wänden, kein Fernseher, kein handy-Empfang lenken von der Stille ab.

Schnell die Tasche abgestellt und den Weg in den Speisesaal gesucht. Der Einführungskurs startet 18 Uhr mit dem Abendessen. Jeder Teilnehmer steht schweigend hinter seinem Stuhl. Gesetzt wird sich erst, wenn alle da sind und wir uns nach einem Glockenschlag vor unserem Platz verneigt haben. Diese Form von Ritualen wird uns die nächsten Tage begleiten und gibt dem Ganzen den Rahmen.

Zu jeweils zehnt sitzen wir an den Tischen. Neben unserem Kurs füllen noch Teilnehmer aus weiteren Seminaren den Saal. Schweigend reichen wir uns die Speisen zu, versuchen nicht mit dem Besteck zu klappern. Das Herabfallen eines Löffels zerreißt klirrend die Stille. Meine Gedanken überschlagen sich, haben Schallgeschwindigkeit angenommen – fast so, als ob mir auch gleich verboten werden wird, zu denken. Was für eine aberwitzige Idee.

Später treffen wir uns zur Einführung in unserem kleinen Meditationsraum in einem der Nebengebäude. Durch das geöffnete Fenster höre ich einen kleinen Bach fließen. Auf dem Boden liegen Matten und Sitzkissen. Jeder von uns zehn Teilnehmern sucht nach dem für sich passenden Sitz – ob im Lotus, im Fersensitz oder auf einem kleinen Bänkchen. Wichtig ist, dass der Körper sich dabei entspannen kann, denn wir werden jeden Tag einige Stunden mit „einfach sitzen“ verbringen. Und auch wenn es enttäuschend klingen mag, doch die Erleuchtung hängt nicht davon ab, wer den Lotussitz besonders gut beherrscht.

Niemand muss hier sagen, wer er ist und was er macht. Schweigend hören wir einfach Franz Nikolaus Müller, unserem Lehrer für die kommenden Tage, zu, wie er Kontemplation beschreibt: „Es ist ein behutsames Einüben in die Gegenwärtigkeit des Lebens, das sich immer im Augenblick ereignet“. Und was das genau ist, probieren wir direkt danach aus: einfach sitzen, den Blick auf den Boden gerichtet, nur den Atem beobachten. Das hört sich total einfach an, erweist sich für mich allerdings fast als unmöglich. Immer wieder kommen Gedanken auf, verselbständigen sich zu einer Story und bringen mich von der Konzentration auf meinen Atem ab – ob das Gedankenkarussell bis zum Ende des Kurses tatsächlich zur Ruhe kommen wird?

Nach 25 Minuten schlägt unser Lehrer zwei Holzklötze aufeinander. Wir verneigen uns, stehen auf und gehen für die nächsten Minuten im Kreis – fast schon Erholung nach dem ungewohnten Sitzen und auch hier jeder bei sich selbst und im Augenblick seiend. Eine zweite Runde folgt, dann die Abendzeremonie bei der wohltönend der große Gong geschlagen wird, bevor wir in die Nacht entlassen werden.

Am nächsten Morgen ist es noch dunkel, als 5:45 Uhr unser Tag beginnt. Als erstes steht „schnelles Gehen“ auf dem Programm, um Körper und Geist zu wecken. Schweigend umkreisen wir alle den Brunnen des Innenhofes – Runde um Runde, fast gespenstisch fühlt sich das an und tut doch gut.

Eine halbe Stunde später sitzen wir schon wieder auf unseren Kissen und beginnen den Tag mit tönen. Der ganze Körper vibriert, als wir „Shalom“ und „Salam“ intonieren. Es ist kein Gesang und doch entwickelt sich eine Form von Melodie, wenn sieben Frauen und drei Männer in ihrer jeweiligen Stimmlage und in der eigenen Geschwindigkeit den Frieden tönen.

Zwei Runden Sitzen, zwei Runden langsames Gehen, dann folgt das Frühstück in der Stille. Fast schon Routine.

Als weiteren Bestandteil der Achtsamkeit beteiligt man sich im Benediktushof jeden Tag nach dem Frühstück eine Stunde an der Haus- und Gartenarbeit. Jeder Teilnehmer bekommt eine Aufgabe und so wischen und putzen wir still durch die Gänge, die Gemeinschaftsbäder und die Räume. Ich habe mich für die kleine Kapelle eingetragen und wische fast liebevoll Staub in diesem schlichten und schönen Raum.

Nach der nächsten „Sitz“-Einheit steht ein Vortrag unseres Lehrers auf dem Programm. Er spricht über die Schriften der Mystiker, über Spiritualität und über die Aufgabe der Religionen, „die Menschen zu ihrem inneren Wesen zu führen“. Vieles davon regt zum Nachdenken an und so bin ich froh, dass danach „Gehen in der Natur“ auf dem Plan steht.

Mich zieht es in den ZEN-Garten, den ich bereits für mich entdeckt habe. Sein Name ist auch „Garten der verborgenen Quelle“ und symbolisiert durch die geharkten weißen Kieselsteine den Lauf des Lebens von der verborgenen Quelle bis hin zur Mündung in den großen Ozean.

Auf den Blättern des japanischen Ahorns glitzern Tautropfen. Wie gern würde ich dies jetzt fotografieren und gleichzeitig würde die Konzentration auf den Bildausschnitt den Moment zerstören. Habe ich tatsächlich schon das Wesen des Augenblicks verinnerlicht?

So vergehen die Stunden und Tage bis Sonntag Mittag. Wir üben uns im Sitzen, Schweigen, bei uns sein. Überrascht erlebe ich, wie gut es mir mit der Stille und auch mit dem Elektronikentzug geht. Wenn meine Zeit mit dem Ende des Seminars hier jetzt zu Ende gegangen wäre, würde ich sehr ruhig, in meiner inneren Mitte, mit guten Vorsätzen für Achtsamkeit im Alltag nach Hause fahren….

Stattdessen hänge ich noch drei Tage „Einführung in den ZEN“ dran.

Zunächst endet unser Kontemplations-Kurs mit dem Mittagessen. Ab jetzt darf gesprochen werden. Obwohl wir bisher fast ausschließlich schweigend zusammen gesessen haben, hat sich doch eine angenehme Gemeinschaft in der Gruppe gebildet. Absolut spannend, wozu nonverbale Kommunikation in der Lage ist. So verabschieden wir uns herzlich voneinander – acht aus unserer Gruppe fahren heim. Neben mir bleibt ein weiterer Teilnehmer ebenfalls zum ZEN-Kurs hier.

Wir beide nutzen die Freizeit zwischen den beiden Seminaren zu einem ausgiebigen Spaziergang durch die herrliche Umgebung und einen intensiven Austausch,

zur Fotosession und auch einmal zum Nachrichten abrufen.

Dann ist es auch schon wieder 18 Uhr und wir „alte Hasen“ kennen das Ritual ja nun schon und sind doch überrascht. Nach unserer kleinen 10-Mann-Gruppe belegen wir nun mit den ZEN-Teilnehmern insgesamt fünf Tische im Speisesaal. 50 Teilnehmer haben sich entschlossen, das Seminar des ZEN-Meisters Alexander Poroj zu besuchen.

Die Einführung findet im großen ZENDO, dem ehemaligen Kreuzgang und heutigem Meditationsraum statt. An den Wänden befinden sich japanische Holzbänke, auf denen die Sitzkissen liegen. Der Raum hat eine unglaubliche Atmosphäre, die noch verstärkt wird, als ihn unser charismatischer Lehrer betritt. Er hält sich nicht lang bei der Vorrede auf, kommt schnell zum Punkt . „Zen ist das Sein in der Gegenwart“ so erläutert er und auch, dass wir das niemals sind. Entweder beschäftigen wir uns mit der Gegenwart oder wir denken an die Zukunft. „Beim ZEN geht es um das Verweilen im Hier und Jetzt“ Dazu sitzen wir nun wieder in der Stille und üben das schier unmögliche.

Am nächsten Abend haben wir Gelegenheit zu einer Frage- und Antwortrunde mit ihm. Auf seine These: „Nicht das ICH denkt die Gedanken, sondern durch die Gedanken entsteht das ICH“ erwidere ich: „Dann könnte ich mich ja jeden Tag neu erfinden“. Lächelnd antwortet er „Das kannst du jeden Augenblick“ und eröffnet mir damit einen völlig neuen Horizont.

Er wirbt für „pure Präsenz“ mit der Vorstellung, welche Energien freigesetzt würden, wenn wir im Umgang miteinander tatsächlich auch anwesend wären. Wie schwer das ist, erkenne ich einmal mehr in der nächsten „Sitzrunde“, als in meinem Kopf aus einem Gedanken wieder ein ganzer Film wird. Und auch dazu hat unser Lehrer einen interessanten Ansatz: „Es ist nicht schlimm, dass wir die Filme im Kopf haben, wir müssen uns nur bewußt sein, dass es Filme sind.“ Das unterstützt die These, die ich aus meiner meiner Coachingausbildung mitgenommen habe „Es gibt keine Wahrheit, sondern nur Wirklichkeitskonstruktionen“.

Das Ziel von Alexander Poroj ist es, uns aus unserer Komfortzone zu locken, gegenwärtig zu werden, „denn Alltag ohne Gegenwart gibt es nicht“.

„Es gibt nur zwei Tage im Leben, an denen du nicht verändern kannst. Der eine ist gestern und der andere morgen“ so sagt es der Dalai Lama. Wie lange es wohl dauern wird, bis dies mein Bewußtsein wirklich erreicht hat?