Yvonnes Reisen

What a wonderful world!

Manchmal endet der Jakobsweg auch an der eigenen Haustür …

… so jedenfalls ist mein Plan für die kommenden Tage.

Viel ist passiert in den letzten Monaten. So viel, dass es wieder einmal Zeit für mich wird, all die kreisenden Ideen und Projekte, die mich umtreiben, zu bündeln und zu sortieren. Als ich dann zu Beginn dieser Woche meine Waldrunde laufe, verspüre ich das tiefe Verlangen, einfach weiterzugehen – bis Santiago de Compostela und darüber hinaus.

So lange Zeit habe ich zwar leider nicht, eine spontane Woche erlaube ich mir dann aber doch. Vier Tage später sitze ich im Zug nach Berlin – denn der Jakobsweg an der Via Imperii, der alten Reichsstrasse, verläuft von hier nach Leipzig. Und von wo könnte ich besser starten, als von der Stadt, in der ich bei jedem meiner Besuche so viel Energie tanke?

Noch vor 9 Uhr komme ich am Berliner Hauptbahnhof an. Mein erster Weg führt mich zum Brandenburger Tor, dem Ausgangspunkt meiner Wanderung.

Gern möchte ich in meinen nagelneuen Credential eine ersten Stempel erhalten und betrete den nahegelegenen Souvenirshop. Auf meine Bitte nach einen Stempel in den Pilgerpass ernte ich zunächst nur fragende Blicke – sehr oft wird dieses Ansinnen wohl dann eher doch nicht geäußert. Doch mein Wunsch wird mir erfüllt und die Pilgerwanderung beginnt.

Der Weg führt am Tiergarten entlang zum Potsdamer Platz. Die Jakobsmuscheln als Symbol des Pilgerweges suche ich zwar vergeblich, doch mitten auf diesem trubeligen Platz höre ich plötzlich ein vertrautes „Buon camino“. Bevor ich überhaupt reagieren und mich für den Pilgergruß bedanken kann, ist die junge Frau in der Menge schon wieder verschwunden. Ein Lächeln umspielt meine Lippen und plötzlich ist es wieder da – dieses wunderbare Gefühl, sich auf den Weg gemacht zu haben.

Kurze Zeit später komme ich an der Stelle vorbei, an der ich vor vier Monaten mich mit meiner Kamera im Rahmen eines individuellen Fotoworkshops ausprobieren konnte. Ich erinnere mich daran, dass Enrico Markus Essl mich angeregt hatte: „Manchmal ist es einfacher die Position zu verändern“ und wie intensiv ich mich nun tatsächlich mit Perspektivwechseln auseinandersetze.

Seit 2015 heißt es, ist der Jakobsweg von Berlin nach Leipzig ausgeschildert, doch noch kann ich keine Symbole entdecken und so irre ich ein wenig durch Berlin. Ich komme zum 26 ha großen Park am Gleisdreieck, auf dessen heutigem Geländer sich früher ein Güter- und Postbahnhof befand und S- und U-Bahnen das ehemalige Bahngelände durchquerten. 1997 beschloss die Stadt Berlin dann, hier diese große Parkanlage zu bauen.

Mein Pilgerführer weist mich als nächstes auf die Königin-Luise-Gedächtniskirche hin, deren riesige Kuppel weithin sichtbar ist. Leider bleibt mir die Kirche verschlossen. Genauso wie der direkt gegenüberliegende Zwölf-Apostel-Kirchhof, der zwar als Gartendenkmal in meinem Führer verzeichnet ist, aber durch ein dicke Vorhängeschloss am Tor ebenfalls unerreichbar für mich bleibt.

Meine Stimmung beginnt zu kippen und erreicht ihren Tiefpunkt am S-Bahnhof Südkreuz. Die Wegbeschreibung ist völlig unzureichend, mein GPS dreht sich permanent im Kreis und eine junge Frau an der Bushaltestelle schickt mich in die falsche Richtung.

Es ist heiß, ich würde gern eine erste Pause machen und habe dabei völlig die Orientierung verloren. Meine Intuition entscheidet sich dann nach einiger Zeit für eine völlig andere Richtung. Ich treffe den Eigentümer einer Gärtnerei, die sich an der Straße befindet, und frage ihn um Rat. Er verrät mir einen Schleichweg, was mich wieder etwas mit dem Leben versöhnt. Ich lache herzlich über seine Aussage „Ick wollt ja auch mal den Weg nach Santiago pilgern, aber seit dem Buch von dem Kerkeling, geht’s da ja zu wie auf’m Ku’damm am Samstag“. Einfach köstlich. Noch immer lachend erreiche ich den Naturpark Schöneberger Südgelände, der sich auf dem Gelände des ehemaligen Rangierbahnhof Tempelhof befindet. Unter schattenspendenden Bäumen gönne ich mir meine erste Pause und nehme mir selbst das Versprechen ab, hierher noch einmal in Ruhe zurückzukommen, denn die Kombination von verfallenen Eisenbahnanlagen, Natur und Kunstobjekten macht Lust auf mehr. Immerhin wurde der Park auch außerhalb Berlins im Rahmen der Expo 2000 bekannt.

Es folgen einige Kilometer durch Tempelhof und Mariendorf.

Direkt am Teltowkanal stosse ich auf den Marienpark, einem ehemaligen Gaswerksarenal, das gerade zu neuem, spannenden Leben erweckt wird. Meine besondere Aufmerksamkeit weckt die Stone Brewery mit ihrem herrlich einladenden Freisitz. Ich gönne mir ein kühles Getränk und einen Salat. Das Innere der großen Backsteinhalle beherbergt eine Erlebnisgastronomie mit interessanten Veranstaltungsangeboten. Auch hier lohnt sich das Wiederkommen.

Weiter geht es über die Asphaltstraße Berlins, langsam beginnen die Füße ob des harten Untergrunds zu brennen, als ich endlich die Landesgrenze zu Brandenburg erreiche.

Ab hier folge ich dem Berliner Mauerweg, der den Verlauf der ehemalige Grenze kennzeichnet. Ich erreiche die Japanische Kirschblütenallee und stelle mir vor, wie herrlich es hier wohl zur Blütezeit der 9000 japanischen Kirschblüten aussieht – ein weiterer Punkt auf meinem Merkzettel für spätere Berlin-Ausflüge.

Ich erreiche den Teltow-Kanal und bin doch ein wenig enttäuscht, dass sich der Kanal hinter dicken Hecken verbirgt, nur ab und an blitzt das Wasser durch das grüne Dickicht.

Eigentlich will ich auch nur noch ankommen, die ca. 25 Kilometer des ersten Tages stecken in meinen Beinen und ich sehne mich nach einer erfrischenden Dusche.

Endlich ist die Stadt und meine Unterkunft erreicht. Kurze Zeit und eine lange Dusche später sind die Strapazen des ersten Tages auch schon wieder vergessen. Im Restaurant „Böfflamott“ direkt auf dem kleinen sympathischen Marktplatz treffe ich mich mit Freunden, die extra aus Berlin zum Abendessen hierher gekommen sind. Bis spät in die Nacht sitzen wir bei ausgezeichnetem Essen, gutem Wein und angeregten Gesprächen draußen – was für ein schöner Abschluss meines ersten Pilgertages …

 

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Tagebuchsplitter – Von der Kunst des Perspektivenwechsels

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  1. Wie schön, wieder von dir zu lesen, liebe Yvonne. Bin schon neugierig auf die Fortsetzungen …

  2. Norbert

    Habe mal wieder bei dir vorbei geschaut, schön das du weiter aktiv bist. Ich setze den Weg nach dem Motto der Weg liegt vor der Haustüre am 02.10.17 endlich um.
    Laufe den Weg 3 von Millingen am Rijn bis Roermond an de Maas
    Grüße von Egon und Norbert

    • Yvonne

      Hi, das ist ja schön, von dir zu lesen. Hab auf meinem Weg jetzt so oft an den Camino letztes Jahr gedacht.
      Vielleicht laufen wir ja nächstes Jahr mal wieder ein Stückchen gemeinsam. Ich würde mich freuen.
      Liebe Grüße Yvonne

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