Vom quirligen Jaipur aus geht es weiter ins 400 Kilometer entfernte Udaipur.
Nach den 3 Mio Einwohner in Jaipur kann man Udaipur mit seinen 450.000 Einwohnern fast schon beschaulich nennen – zumindest was den Altstadt-Kern betrifft. Die Stadt liegt traumhaft von Bergen umrahmt. Das wirklich spezielle an ihr sind die künstlich angelegten Seen, weswegen sie auch als „Venedig des Ostens“ bezeichnet wird.
Das Bundesland, das die Touristen am meisten anzieht, egal ob sie aus dem Inland oder Ausland, ist Rajasthan im Nordwesten Indiens. Der Grund dafür liegt ganz sicher an den vielen prunkvollen Palästen, mächtigen Forts und Tempeln, die hier zu finden sind.
Die Einreise in Delhi gestaltet sich sehr einfach, die Fahrt vom Flughafen nach Gurgaon, eine moderne Cyber-City im Süden von Neu-Delhi ist kurz und schon stehe ich unter der Dusche in dem ersten von fünf Hotels, die ich während der Pressereise kennenlernen werde.
Flughafen Doha – 1:00 Uhr Nachts. Irgendwo zwischen den Welten – 2 Zeitstunden und 6 Flugstunden von zu Hause getrennt, 4 Flugstunden noch bis zu meinem Reiseziel. In wenigen Stunden werde ich in Delhi frühstücken. Wie konnte das passieren?
Heute morgen ist es endlich soweit. Ich hatte im Araliya Kaffeewerk in Österreich eine Packung Aliya-Wildkaffee aus Sri Lanka bestellt, die ich voller Vorfreude öffne. Das hat weniger damit zu tun, dass ich eine große Kaffee-Expertin bin, sondern viel mehr, dass ich mich beim Duft der Bohnen an das Pilotprojekt in der Singharaja Garden Eco Lodge erinnere. 200 kg von diesen Kaffeebohnen haben wir Bohne für Bohne sortiert. Nur die unbeschädigten rundlichen Bohnen mit dem geraden Einschnitt kamen in die Jutesäcke, die dann mit dem Containerschiff nach Österreich geliefert wurden. Jeder Helfer wurde gebraucht und so sortierten wir alle gemeinsam.
Mit der Kaffeetasse in der Hand stehe ich nun vor meiner Weltreise-Fotowand, genieße ganz bewußt jeden Schluck, während meine Gedanken zurückschweifen.
Wie treffend fand ich den Namen des Frachtschiffes, das mich nach meiner Weltreise von den USA zurück nach Europa bringt.
„Unabhängiger Reisender“ – so bin ich gestartet in diese Weltreise und so wollte ich sie beenden. Elf Tage auf hoher See, reflektieren, sortieren, schreiben, vorbereiten auf den nächsten Abschnitt, der sich an meine Reise anschließt.
Die Idee, mit dem Frachtschiff zurückzureisen, habe ich von Meike Winnemuth geklaut. Von der Autorin, die mit der halben Million Euro, die sie bei Günther Jauchs „Wer wird Millionör“ gewann, ein Jahr lang in zwölf verschiedenen Großstädten lebte. Sie hat ein sehr unterhaltsames Buch darüber geschrieben. Ich mag ihren Schreibstil, ihren Humor und ihre Art, hinter die Dinge zu sehen. So ist sie mein Vorbild und ihre Idee, langsam nach einer solchen Reise wieder nach Hause zu kommen, fand ich genial.
Doch ehrlicherweise hatte ich mich nicht wirklich darauf vorbereitet…
Ich bin froh, am Morgen meiner Abreise noch an einer Yogastunde in Wilmington teilzunehmen.Das beruhigt die Nerven und lässt den Tag entspannt starten. Denn ganz ehrlich – ich bin aufgeregt. Mehr als bei allen anderen Etappen meiner Reise. Innerlich lässt mich das schmunzeln, denn ich habe in den letzten 120 Tagen mehr als 50.000 Kilometer auf verschiedenste Art und Weise zurückgelegt. Die langen Distanzen natürlich per Flugzeug, doch ansonsten war von Zug, über Bus, Auto, Fähre, Tuk Tuk bis zum Eselkarren und Longboat wirklich alles dabei. Und nun bin ich aufgeregt, die letzten 6000 Kilometer mit einem Schiff fahren?
Nachdem ich meinen Mietwagen am Flughafen zurückgegeben habe, sammelt mich der Fahrer des Port City Taxis auf. Er hat die spezielle Genehmigung, auf das Gelände des Frachthafens fahren zu dürfen. Kommentarlos nimmt ermeine nervösen Erklärungen hin, dass das meine erste Frachtschiff-Reise ist und dass ich doch etwas aufgeregt bin.Auf meine Frage nach den Regeln der offiziellen Ausreise aus den USA bringt er mich zum amerikanischen Zoll.
Dort warten wir eine gefühlte Ewigkeit – während sein Taxameter tickt – um zu erfahren, dass es keinen offiziellen Ausreisestempel gibt. Der Kapitän meldet meine Ausreise per Formular. Ich hoffe sehr, dass diese Auskunft stimmt, denn ohne offizielle Ausreise nie wieder eine Einreise in die USA – und wer weiss ….
Wir erreichen das Hafengelände, fahren von einem Ende zum anderen bis wir endlich am Schiff ankommen. Der Fahrer braucht eine Ewigkeit, bis er meine Kreditkartendaten erfasst hat. Das geht in jedem Kiosk schneller und ich werde immer nervöser. Gleichzeitig verabschiede ich mich von meiner Vorstellung, ein schickes Foto von mir vor dem Schriftzug des Schiffes zu erhalten. Dafür ist das viel zu groß und allein darf ich hier sowieso nicht rumlaufen. Zögernd gehe ich auf die schmale Gangway zu.
Ein fröhlicher Filipino nimmt mir meinen Rucksack ab. Im Offiziersbüro unterschreibe ich, dass ich mich freiwillig auf diese gefährliche Fahrt einlasse. In der offiziellen Sprache nennt man das wohl „Haftungsausschlussrklärung“ . Kurze Zeit späterklettern wir die Treppe hinauf bis zum 5. Deck, auf dem sich neben der Kapitänskabine, der Kabine des 1. Offiziers nur noch die Eigner-Kabine und damit mein zu Hause für die nächsten 11 Tage befindet.
„Call me, if you have any questions“ ruft mir mein Begleiter noch zu und ist verschwunden. Ich stelle mein Gepäck ab und lasse mich auf die Bank fallen. Fragen? Ja, tausend und die allererste:„Bin ich denn verrückt geworden?“
Aber diese Frage wird mir der junge Filipino nicht beantworten können und so gehe ich meine Möglichkeiten durch:Heimlich wieder von Bord schleichen? Nicht wirklich eine Lösung. Nur außerhalb unserer Komfortzone wachsen wir und überhaupt, es gab Gründe, mich für diesen Weg zu entscheiden.
Doch im Augenblick fühle ich mich wie im Gefängnis. Die Zelle ist ausreichend groß und komfortabel. Sie besteht aus einem Wohnbereich, einer Schlafkoje mit Ausblick aufs Meer und einem kleinen Duschbad.
Woran ich überhaupt nicht gedacht habe: natürlich kann man kein Fenster, die hier wohl Bullaugen heißen, öffnen. Und schon beginne ich schwer zu atmen. Was für ein Blödsinn, es gibt eine Lüftungsanlage. Erstickt ist hier vermutlich noch keiner.
Noch bis Mitternacht liegt das Schiff im Hafen und so schreibe ich mit meinem letzten Datenvolumen meine Bedenken in die Welt, telefoniere mit einer Freundin und später mit einem Freund, der mich schließlich etwas beruhigt. „Es wird eine Erfahrung – sicher eine spezielle, aber eine von dir selbst selbst gewählte“. Meine Bedenken, die ich habe, seitdem ich letzte Nacht in einem Blog gelesen habe, dass es keine gute Idee ist, als Frau allein auf einen Frachter zu gehen – und immerhin sind hier 20 Männer und nur eine Passagierin, nämlich ich – lässt er nicht gelten. „Die ganze Welt weiß, wo du bist.“ Recht hat er. Also gerade aufgesetzt, durchgeatmet und ausgepackt.
Der Ablauf auf dem Schiff richtet sich für mich als Passagier nach den Mahlzeiten. Zwischen 7:30 Uhr und 8:30 Uhr Frühstück, Lunch gibt es zwischen 12 und 13 Uhr und Abendessen wird von 17:30 bis 18:30 serviert.
Letzteres ist dann auch meine erste Mahlzeit an Bord. Ich esse in der Offiziersmesse. Zwei Tische gibt es hier, einen großen mit acht Stühlen und einen kleinen mit vier.
Der rumänische Kapitän und ich sitzen uns an den Stirnseiten gegenüber. Er ist freundlich reserviert und vorsichtig frage ich nach WLAN. Tatsächlich gibt es dies an Bord. Limitiert und teuer und trotzdem freue ich mich über meinen Zugang zur Welt. WLAN an Bord ist so etwas wie ein Fünfer im Lotto und auch nur dann nutzbar, wenn das Schiff entsprechend positioniert ist. Der Kapitän dämpft dann auch gleich meine Erwartungen: von Dienstag bis Freitag werden wir offline sein. Nun ja, ich bin sicher, ich werde es überleben.
Als ich am nächsten Morgen erwache, sind wir auf hoher See. Das Schiff bewegt sich nicht nur einfach vorwärts,sondern es geht auch leicht auf und ab und schwankend von Seite zu Seite. Noch ist das recht harmlos. Ich stelle mir aber besser nicht vor, wie sich das bei hohem Seegang anfühlen mag.
Ich versuche heimlich die Tür zum Außenbereich zu öffnen. Doch sie ist mehrfach verriegelt und der Mut verlässt mich.
Beim Frühstück bin ich ganz allein, nur am Besteck erkenne ich, ob die Offiziere schon da waren oder noch erwartet werden. Beim Mittagessen sitzt mir der Kapitän dann wieder gegenüber. „Wo darf ich denn den Außenbereich des Schiffes betreten?“ Verwundert schaut er mich an: „Na überall. Bitte melden Sie sich bei der Brücke telefonisch ab und wieder an.“
Einer der philippinischen Techniker erhält die Anweisung, mir das Schiff zu zeigen. Und tatsächlich verabreden wir uns für Dreizehnhundert, sprich für 13:00 Uhr und proben zunächst den Ernstfall. Ich klettere bei der Hitze jetzt schon schwitzend in das schräg aufgestellte Rettungsboot, schnalle mich an und wieder ab, probiere die Schwimmweste an und erfahre auch sonst allerhand Nützliches über einen möglichen Schiffsuntergang, der bitte niemals eintreten möge.
Dann zeigt er mir den kleinen Fitnessraum,
die Waschmaschinen und das Allerwichtigste, meinen Weg in die Freiheit. Sechs Riegel hat jede Tür, die von innen und außen zu öffnen sind. Mit etwas Gewalt öffnen wir diese auf meinem Deck und ich bin frei. Fröhlich rufe ich auf der Brücke an und melde mich ab. Die Sonne scheint und weil wir uns im Golfstrom befinden, ist es wunderbar warm. Ich bin froh, meine Yogamatte dabei zu haben, denn natürlich gibt es hier kein sundeck mit Liegestühlen. Ich suche mir einen windgeschützten Platz zwischen 4. und 5. Deck – lehne mich entspannt an die Wand und versinke in meinem Buch.
Etwas mehr als zwei Stunden später höre ich undeutlich eine Durchsage, die ich in keiner Weise auf mich beziehe. Zwei Offiziere kommen an Deck: ich werde vermisst und solle mich schnellstmöglich zurückmelden. Keiner Schuld bewusst, rufe ich auf der Brücke an. Eine Rückmeldung war doch erst dann gewünscht, wenn ich wieder in der Kabine bin und das war ich schlicht mal nicht. „“Okay, das nächste mal geben Sie bitte an, wie lange Sie draußen bleiben werden …“
Zerknirscht komme ich zum Abendessen, der Kapitän ist gerade im Aufbruch und so komme ich mit dem 1. Offizier ins Gespräch. Wir reden über den Ablauf an Bord, über Landgänge und Regeln. Die meisten Offiziere bleiben höchstens vier Monate an Bord, die Filipinos stattdessen bis zu neun Monaten. Das ist eine extrem lange Zeit. Umso mehr schätze ich heute das Engagement des Duckdalben im Hamburger Hafen, in dem ein Freund von mir ehrenamtlich tätig ist. Dort werden die Besatzungsmitglieder der einlaufenden Schiffe abgeholt. Im Duckdalben gibt es einen Pub, du kannst Kleinigkeiten einkaufen, in einem Raum der Stille dich deiner Religion widmen, in der Bibliothek lesen oder die Telefonzellen zum Telefonieren in die Heimat nutzen. Pünktlich zur vorgegebenen Zeit erreichen die Seemänner stressfrei wieder ihr Schiff.
In der Nacht wird der Wind stärker. Ich verstehe, warum an Bord immer alles ordentlich weggeräumt wird, denn in kurzer Zeit teile ich mein Bett mit meiner Wasserflasche, einem Glas, meinem Buch und was sonst noch so rumlag.
Ich räume kurz auf und versuche eine Stellung zu finden, in der nicht ich als nächstes aus dem Bett rolle. Noch immer habe ich mich nicht an die Geräusche gewöhnt, die in der Nacht besonders laut scheinen. Es ist ein Mix aus Motorbrummen, dem ununterbrochenen Zischen der Lüftungsanlage und dem leisen Klappern der Schranktüren.
Auch am nächsten Morgen hat sich der Wind noch nicht beruhigt. Ich halte meine Kaffeetasse beim Frühstück fest in der Hand, während mir der Koch Geschichten erzählt von der Herfahrt zwischen Chester und Wilmington, als das Schiff quer zu den Wellen lag …. Tief in meinem Inneren hoffe ich, dass es sich dabei auch um eine Menge Seemannsgarn handelt und befrage beim Mittagessen dazu den Kapitän: „Das ist normal auf dem Atlantik“ – okay …
Doch zunächst hat sich das Meer wieder beruhigt. Das ist auch gut so, denn einmal während jeder Überfahrt – und das ist heute – findet ein abendliches Barbecueauf dem Masterdeck statt. Es wird gegrillt und ein wenig getrunken, doch um so mehr gesungen. Die Sonne meint es gut mit uns und so ist es noch richtig warm, als ich mich am Abend neben den Kapitän setze. Es ist spannend zu erleben, wie sehr er das Meer als seine Heimat sieht. Küste ist für die meisten von uns der Übergang vom Land zum Meer, für ihn ist es anders. Er erlebt die Küste als das Tor vom Meer zum Land. Und so kann er meine naiven Landrattenfragen eher nicht verstehen.
Und dann wird gesungen, mit E-Gitarre, Verstärker, Mikrofon und einer Menge Spaß musizieren die Filipinos: laut, nicht immer richtig und aus vollem Herzen. Später als die meisten Offizieren gegangen sind, wird es ruhiger und sie singen aus tiefster Seele die Lieder ihres Landes.
An einem der nächsten Nachmittage bin ich dann auch mutig genug, um die Brücke zu entern.Ehrfürchtig betrete ich den riesigen, lichtgefluteten Bereich. Eine Menge Arbeitsplätze sind zu sehen, doch in dem ruhigen Raum befindet sich nur einer der Offiziere. Er ist gern bereit, mir alles zu zeigen und so erfahre ich viel über Radar, Geschwindigkeit und Windstärke und bin mächtig beeindruckt von dem multifunktionalen Instrumentenpult.
Das eigentlich spektakuläre ist aber das Meer, das ich von hier oben in der 360 Grad Perspektive bewundern kann.
Die Tage der ersten Woche vergehen wie im Flug und das liegt nicht nur daran, dass sie uns in sechs Nächten regelmäßig je eine Stunden klauen – das geht immer mit abendlicher Durchsage:„Achtung, diese Nacht werden die Uhren um eine Stunde vorgestellt“, sondern weil es trotzdem viel zu tun gibt. In den nächsten Tagen entwickle ich eine Routine und bin überrascht darüber, wie schnell das doch immer wieder gelingt. Ich teile mir meinen Tag ein mit Sport – insbesondere Balanceübungen sind bei dem schwanken Schiff eine Herausforderung, lesen, endlich meine letzten Blogbeiträge schreiben und das wichtigste:das Meer zu bewundern, das sich glitzernd und nachtblau um unser Schiff schlingt. Nur dort, wo wir es zerschneiden, färbt sich das Wasser hellblau und bildet sich eine schneeweiße Gischt. Auch die Sonnenuntergänge sind spektakulär. Die Sonne versinkt in einem Meer aus Farben hinter dem dem Horizont – es ist ein atemberaubendes Schauspiel, das kein Foto der Welt wiedergeben kann. Ich wünschte, ich wäre ein Maler.
Doch dann wird das Wetter schlechter. Es ist zu kalt, um draußen zu sitzen. Selbst mit Decke, Mütze und dicken Socken in den Schuhen, macht das nur bedingt Spaß. Dazu kommt dann irgendwann Nebel, das Meer ist kaum noch zu erkennen.
Dass ich trotzdem viel Glück mit dem Wetter habe, erklärt mir einer der jungen Ingenieure. Er hat noch nie eine solch ruhige Überfahrt über den Atlantik erlebt.
Dann reden wir auch über das Schiff. 2011 wurde es in Rostock gebaut und fährtseit dem ohne Unterlass. Es ist dass beste Schiff, auf dem er bisher gewesen sei. Normalerweise werden die Schiffe nach 5 Jahren auf der Werft überholt, die Independent Voyager kommt erst diesen Sommer dorthin.
Mittlerweile zähle ich die Nächte – noch vier, noch drei, noch zwei …
Der Internetentzug macht mir erstaunlicherweise wenig aus. Einige der Apps kann ich auch offline nutzen: heruntergeladene Hörbücher und Bücher, Englisch-Lektionen und Fitnesseinheiten begleiten meine Tage.
In den Chat-Kanälen ist es sowieso ruhig, da alle wissen, dass ich auf dem Meer bin. Stattdessen schreibe ich lange Briefe, die per email das Schiff verlassen, sobald wir online sind. So sehr ich die Kommunikation über die verschiedenen Messenger auch schätze – für einen schnellen Austausch, ein witziges Foto, ein „Ich hab gerade an dich gedacht“ und keinesfalls missen möchte, so sehr merke ich jetzt auch, wie schön es sein kann, sich in Ruhe in einen Brief vertiefen zu können – beim schreiben und natürlich auch beim Antwort erhalten. Vielleicht ist es das, was ich von dieser Schiffsreise mitnehmen werde: den Genuss der Langsamkeit …
Und als ob das Universum mir zustimmt, legt sich heute Abend der Wind und der Atlantik breitet sich sanft wie ein Seidentuch vor mir aus. Lange schaue ich auf die breite Fahrrinne, die wir hinter uns lassen, Meile für Meile kommen wir dem Hafen und damit dem Ende meiner Weltreise entgegen. Dieses Bild gleicht dem Abspann in einem Hollywoodfilm und fast erwarte ich, dass am Horizontin weißer Schrift auf dem blauen Himmel „The End“ auftaucht… und wenn das Ende aber doch auch ein Anfang ist?
Der Nachtflug von Honolulu nach New York verläuft unkompliziert. Am frühen Morgen lande ich am Flughafen JFK, kaufe mir eine Metrokarte, nur um dann festzustellen, dass diese in der Regionalbahn nicht gilt. Die Schaffnerin ist freundlich und lässt mich kostenlos weiterfahren. Kurze Zeit später stehe ich mitten in Brooklyn – umgeben von einem Mix aus modernen Hochhäusern und den braunen Backsteinhäusern, die ihren Charme verströmen. Schon stellt sich dieses energetisierende Gefühl wieder ein, das ich von New York so gut kenne. Die Stadt vibriert und nimmt mich vom ersten Moment an in ihren vollen Besitz.
Vergessen ist der lange Flug und der schwere Rucksack auf meinen Schultern. Vergessen ist auch, dass ich erst am Nachmittag mein Appartement beziehen kann und daher erstmal völlig planlos bin.
Google Maps verrät mir, dass ich mich ganz in der Nähe des Prospect Parks befinde.
Und wieder einmal erinnere ich mich daran, wie unterschiedlich die Stadt wahrgenommen wird. Ich höre all die Stimmen in meinem Ohr, die New York als schmutzig, laut und hektisch beschreiben. Natürlich weiß ich, dass ich als Reisende das Privileg habe, mich nur mit den schönen Dingen umgeben zu können und genau dies genieße ich hier in vollen Zügen. So wandere mit offenen Augen und einem offenen Herzen in den wundervollen Stadtpark, bestaune die Kirschblütenpracht
und spüre die Strahlen der Frühlingssonne in meinem Gesicht. Wenige Minuten später falle ich unter einem der Bäume in einen süßen Schlaf.
Kurz danach treibt mich dann doch der Kaffeedurst an, den ich in einem Café mit dem schönen Namen Cheryl’s Global Soul stille. Ich laufe durch die Straßen von Brooklyn, sehe die Sonnenstrahlen auf den Häusern tanzen und erreiche mein liebevoll eingerichtetes Appartement in der Deanstreet. Ich werfe meinen Rucksack ab und tauche bald darauf in die Blütenpracht des Botanischen Gartens von Brooklyn ein. Die Natur meint es gut mit mir, Kirschblüten, Tulpen, und Pfingstrosen blühen um die Wette und wetteifern um meine Gunst. Der intensive Duft von Flieder liegt in der Luft und um mich herum brummt und summt es von Bienen, die davon genauso betört sind wie ich.
Am Nachmittag holt Douglas mich in meinen Appartement ab. Wir haben uns während der Tour im Outback Australiens kennengelernt und als er hörte, dass ich nach New York kommen werde, versprach er, mich hier zu unterhalten. Und dieses Versprechen nimmt er nun auch sehr ernst. Wir laufen über die Brooklyn Bridge und ich bestaune die Skyline von Manhattan, später essen wir in Chinatown und trinken zwei Bier in einem Pub in Soho. Warum zwei Bier? Weil die hier witzigerweise immer nur im Doppelpack verkauft werden.
Auf einer Leinwand wird ein Baseball-Spiel übertragen. Meine Bitte, mir die Regeln dieses Spiels zu erklären, endet in einem großen Gelächter, denn leider, leider – ich verstehe nichts davon.
Wir laufen noch ein wenig durch die Straßen, bis es Zeit wird, nach Brooklyn zurückzukehren.
Am nächsten Morgen zeigt sich die Stadt wolkenverhangen und kühl. Ich bringe meine Wäsche in den Waschsalon, erledige ein paar Einkäufe und komme mir so herrlich untouristisch dabei vor.
Später fahre ich nach Manhattan, bummle über den Times Square und die 5. Avenue und schütze mich in der Central Station vor dem aufkommenden Regen. Als dieser nachlässt, spaziere ich am Fluss entlang immer mit Blick auf die Brooklyn Bridge. Könnte ich wirklich hier leben, mich dem Tempo der Stadt anpassen und sie trotzdem noch genießen?
Der Hunger vertreibt tiefschürfendes Gedankengut. Auf meiner Liste steht noch immer „Katz Delikatessen“ – DAS New Yorker Restaurant, das seit 1888 berühmt ist speziell für seine üppig belegten Pastrami-Sandwichs. Vor meinen Augen wird nun genau dies frisch zubereitet mit saftigem Fleisch, würzigen Gurken und viel Senf – das Ergebnis kann sich echt sehen lassen, von dem Teil wird locker eine vierköpfige Familie satt.
Am Abend entscheiden Douglas und ich spontan, uns nach Restkarten für den Broadway zu erkundigen. Tatsächlich ergattern wir zwei Plätze für das Musical, das seit 30 Jahren hier aufgeführt wird und noch immer Vorstellung für Vorstellung fast ausverkauft ist: „Das Phantom der Oper“
Die Aufführung ist überwältigend, brilliant die Stimmen, die sich bis zu Operngesängen hinauf wagen. Das Bühnenbild entführt uns in die Welt der Pariser Oper. Schnell sind wir gefangen von der berührende Geschichte um Christine, Raoul und das Phantom.
Am nächsten Morgen breche ich zeitig auf. Auf meiner „Überhang-To Do list“ meines letzten Besuches in New York steht noch das Guggenheim Museum mit seiner berühmten Rotunde.
Nach 70 Minuten Fahrtzeit mit der Metro von Tür zu Tür stehe ich vor dem Eingang und bin zunächst schwer enttäuscht. Die Rotunde ist für den Aufbau der nächsten Ausstellung gesperrt.
Der Besuch lohnt sich trotzdem. Neben zwei Wechselausstellungen, ist es vor allem die Thannhauser Collection mit Bildern von Degas bis Picasso, die mich fasziniert.
Herrlichster Sonnenschein erwartet mich, als ich wieder nach draußen komme.
So lockt der nahe Centralpark. Schon gegen Mittag meldet sich Douglas. Wir laufen uns entgegen, um uns an der Ecke 5 Av und 65. St zu treffen.
Mit einem Coffee to go aus einem nahegelegenen Diner in der Hand hören wir einem der vielen Straßenmusiker im Park zu.
Später fahren wir über Brooklyn nach Long Island, was einer Weltreise gleichkommt. Douglas daran erinnernd, dass er mir im Outback erzählt hat, er wohnt sehr nah am Ozean, will er mir das Wasser nun auch zeigen.
Normalerweise ist es seine Radstrecke, die wir zu Fuß zurücklegen, immer am Highway entlang. Nach einer gefühlten Ewigkeit sehe ich in der Ferne Ausläufer einer Bucht. Doug entscheidet, wir gehen noch fünf Minuten, dann drehen wir um. Das treibt mir die Lachtränen in die Augen. Der Spaziergang am Highway ohne Ozean wird zu unserem runing gag für die nächsten Tage.
Der nächste Morgen beginnt trüb, die Sonne hat sich hinter dichten Wolken verkrochen. Trotzdem entscheiden wir uns zu einer Wanderung am Hudson River. Noch immer nicht an die hiesigen Entfernungen gewöhnt, bin ich über die zweistündige Autofahrt zu unserem Ziel etwas überrascht. Zwischendrin regnet es in Strömen und jeder hängt seinen Gedanken nach. Doch Petrus meint es gut mit uns und schließt seine Schleusen für die nächsten zwei Stunden. Der Aufstieg ist anstrengend, doch die Aussicht auf die Landschaft rund um den Hudson ist es auf jeden Fall wert.
Von einem jungen Mann bekommen wir eine Landkarte geschenkt, was sich als sehr nützlich erweist, denn die Ausschilderung ist ganz sicher noch ausbaufähig. Von mir selbst überrascht, meistere ich den Abstieg problemlos – ob ich hier wohl eine Blockade durchbrochen habe?
Kurz bevor wir unseren Ausgangspunkt erreichen, schüttet es wieder wie aus Kannen. Klitschnass und durchfroren setzen wir uns ins Auto und sind uns einig, dass wir trotzdem viel Glück mit dem Wetter hatten.
Das Riverview Restaurant, das wir uns zu einem späten Lunch ausgesucht haben, ist gut gefüllt mit einigen Gesellschaften. Leicht underdressed und auch noch ein bisschen tropfend, bekommen wir trotzdem einen Tisch und ein ausgezeichnetes Mittagessen.
Zwei Stunden zurück nach Long Island – ich habe den Schlüssel für mein Appartement vergessen – gut eine Stunde Autofahrt nach Brooklyn und dann nochmal 30 Minuten mit der Metro lassen wir den Abend in einer kleinen Bar in DUMBO bei Livemusik ausklingen.
Auch am nächsten Morgen ist das Wetter unbeständig und der Spaziergang durch den Prospect Park eher ungemütlich. Wir flüchten uns vor dem kühlen Regen in das Brooklyn Museum, dem zweitgrößten Museum von NYC, und wandern durch die vielseitigen Ausstellungen. Insbesondere die „Mecca Journeys“ faszinieren uns beide, hatten wir wohl beide ein völlig anderes Bild im Kopf, als sich hier von der modernen Stadt in der Wüste zeigt.
Noch ein weiteres Museum steht am nächsten Morgen auf Dougs Besichtigungsprogramm: das Museum of New York City in Manhattan. Dabei hat es mir vor allem die Ausstellung mit Fotografien von Stanley Kubrick angetan. Es ist kaum bekannt, dass der junge Kubrick vor seiner großen Filmkarriere auch als Fotograf für die Zeitschrift „The Look“ sehr erfolgreich war.
In der Ausstellung „NY at its core“ werden die 400 Jahre Geschichte der Stadt dargestellt. Bisher hatte ich nicht wirklich darüber nachgedacht, doch nun drängt sich mir die Frage auf „Wo warst du an 9/11?“. Tatsächlich war Douglas in der Stadt, glücklicherweise nicht in Downtown, doch die Explosionen waren auch in Midtown zu hören und natürlich gibt es niemanden in New York, der nicht jemanden, den er gekannt hat, an dem Tag verloren hat …
Doch dann zieht es uns zurück in die Sonne. Durch den Centralpark laufen wir ins City Center, ich winke Manhattan noch einmal liebevoll zu, bevor wir in der U-Bahn verschwinden.
In Queens aufgewachsen, zeigt Douglas mir sein Elternhaus und seine Schule.
Gut ausgerüstet mit einer kühlen Flasche Weißwein lassen wir uns danach an der Bayside in Queens nieder und so bekomme ich doch noch meinen Ausblick auf das in der Sonne glitzernde Wasser.
Am nächsten Morgen lässt Doug es sich nicht nehmen, mit mir noch für einen kurzen Abstecher an den Jones Beach zu fahren und ehrlicherweise ist dieser dann doch recht nah an seinem Haus.
Genauso nah wie wenig später der Flughafen La Guardia, von dem ich weiter nach Wilmington fliege, um von dort die Heimreise anzutreten.
Der Abschied geht schnell und schon stehe ich mit meinem Rucksack wieder an dem Punkt, der mir so vertraut ist: Allein auf Weltreise
Mein heutiges Ziel ist es, den südlichsten Punkt der USA zu erreichen. Dazu biege ich auf eine Landzunge ein. War die Umgebung bisher vulkanisch schwarz, so gleicht sie nun dem Weg zum Kap Arkona. Saftig grünen Wiesen säumen den Weg, weiße Wolken am hellblauen Himmel lassen Ostseefeeling aufkommen. Angekommen an meinem Ziel beobachte ich ein paar junge Männer, die todesmutig von den Klippen ins tief unter ihnen liegende Meer springen. Wie auch immer sie die Steilküste wieder erklimmen werden, eine Mutprobe war es auf jeden Fall.
Ganz in der Nähe befindet sich der Green Sand Beach, benannt nach dem olivfarbigen Sand. Während ich am Ende der Straße aus meinem Auto klettere, ahne ich noch nicht, dass unweit von hier, ein Erdbeben der Stärke 6,9 für eine Minute die Insel erschüttert hat. Es ist das stärkste Beben seit 1974, seine Ausläufer sind bis nach Honolulu zu spüren. Felsbrocken lösen sich im Vulcano Nationalpark. Die Besucher werden evakuiert.
Doch wir merken hier nichts davon. Einheimische bieten Ladeflächen auf Allradfahrzeugen als Shuttleservice zum vier Kilometer entfernten Beach an. Ich kaufe mir ein Wasser an dem einzigen Stand, setze mir mein Cape gegen die Sonne auf und will loslaufen. „Überlegen Sie sich das gut“ warnt die Verkäuferin mich und will mir den Shuttle schmackhaft machen. Ich weiß, worauf ich mich einlasse, antworte ich freundlich. Das glaube ich nicht, sagt die Frau. Doch die kennt mich schlecht. Das hier ist ein echter Spaziergang. Noch dazu einen, den ich sehr genieße.Dass nicht jedes Fahrzeug für die Strecke geeignet ist, sehe ich gleich zu Beginn meiner Wanderung.
Immer entlang an der Küste führt der sandige Weg durch grüne Dünen, über kleine Berge und bietet einen faszinierenden Ausblick. Um nichts in der Welt würde ich tauschen wollen mit den zusammengepferchten Menschen auf der Ladefläche eines Jeeps, deren Bandscheiben bei jedem Hügel vor Schmerz aufjaulen. So ist es schön und so kann es bleiben, denke ich mir, bis ich den Strand erreiche…Darauf hat mich keiner vorbereitet, denke ich weiter, und bekomme große Augen.
Um in die Bucht zu kommen, gilt es einen steilen Abhang hinunterzuklettern.
Ich schaue mir das ganze von nahen an. Ungefähr 50 oder 60 Leute entdecke ich unten am Strand. Irgendwie müssen die ja auch dahin gekommen sein. Manche haben Klappstühle dabei und Picknickkörbe. Ich finde einen schmalen Abgang, in dem man sich weitestgehend rechts und links festhalten kann, versichere mich bei zwei jungen Mädchen, dass man das auf jeden Fall überlebt und klettere todesmutig nach unten.
Und tatsächlich ist die Bucht einzigartig. Mit großer Kraft werfen sich die Wellen an den Strand, der Sand schillert olivfarben in der Sonne und die ausgewaschene Felsformation gibt dem ganzen einen besonderen Reiz. Ich halte es eine Weile hier aus, doch Strandliegen macht mir einfach keinen Spaß und so wandere ich einen anderen Weg nehmend wieder zurück. Der Stand ist leider schon abgebaut, so dass ich von der Schönheit des Weges leider nicht schwärmen kann.
Ich erreiche mein kleines Häuschen in the middle of nowhere. Es ist herrlich ruhig hier, mitten auf einer riesigen Wiese steht das Mini-Domizil, eine umlaufende Terrasse lädt zum Verweilen ein. Doch so recht kann ich es nicht genießen, denn beim Abendessen in einer kleinen Kneipe hier im Ort habe ich von dem Erdbeben gehört und den Vulkanausbrüchen. Von einem möglichen Tsunami ist die Rede und von der Schließung des Flughafens. Zum ersten Mal auf meiner Reise komme ich an meine mentalen Grenzen. Ich habe keine Ahnung, was zu tun ist. Ab übermorgen habe ich ein Quartier direkt am Volcano Nationalpark gebucht. Wieviel Sinn macht das? Soll ich die Insel lieber verlassen? Mit einer guten Portion Halbwissen schlafe ich beunruhigt ein.
Am nächsten Morgen informiere ich mich auf den offiziellen Webseiten der Insel. Es hat erste Evakuierungen gegeben in dem Bereich, wo die Lava Straßen und Häuser zerstört. Endlich begreife ich, dass sich das nicht direkt am Vulkan abspielt, sondern das der unterirdische Weg der Lava weit in den Osten der Insel führt, der betroffen ist. Erste Nachrichten aus Deutschland erreichen mich: „Geht es dir gut?“. Sie haben Bilder im Fernsehen aus der betroffenen Region gesehen, die ich hier noch nicht kenne. Hier ist alles ruhig und trotzdem fühle ich mich wie gelähmt. Meine Gastgeberin des B&B in Volcano meldet sich. Hier ist alles ruhig, ihrem Aufenthalt steht nichts im Weg.
Ich fahre zum Black Beach, der dafür bekannt ist, dass grüne Meeresschildkröten brüten. Tatsächlich bekomme ich diese zu sehen und erinnere mich an John Streleckys „Café am Rande der Welt“. Er lässt seine Protagonistin von einer wichtigen Lebenserfahrung berichten: Als sie auf Hawaii war, hat sie eine grüne Meeresschildkröte beobachtet, die, obwohl es gar nicht so aussah, viel schneller im Meer vorankam, als sie selbst. Nach einer Weile erkannte sie, dass sich Schildkröte den Wellen anpasst, um die Bewegung des Wassers für Ihre Fortbewegung zu nutzen. Sie kämpft nie gegen die Wellen an, sondern nutzt sie für sich. So spart sie eine Menge Energie. Wenn wir in unserem Leben nicht darauf ausgerichtet sind, was wir gern tun möchten, können wir unsere Zeit mit einer Menge anderer Energie verschwenden. Wenn sich dann die Gelegenheit bietet, das zu tun, was man tun möchte, hat man möglicherweise nicht mehr die Kraft oder Zeit dazu.
Wie wahr das tatsächlich ist, habe ich erkannt, seitdem ich mich selbst auf das konzentriere, was ich gern machen möchte. Meine Weltreise ist einer von fünf Herzenswünschen, auf die ich mich fokussiere und die ich tatsächlich in relativ kurzer Zeit umgesetzt habe.
Nachdenklich fahre ich zurück zu meinem kleinen Häuschen im Nirgendwo, koche mir einen Kaffee und setze mich mit einem Buch auf die Terrasse. Den Weg der Dinge kann ich heute sowieso nicht mehr ändern. Morgen sieht die Welt ganz anders aus.
Am nächsten Morgen fahre ich in die Mitte der Insel. Tatsächlich sind alle Wege, die in den Nationalpark führen, mit Schranken versperrt.
Ich halte an der Kilauea Lodge, einem gemütlichen Hotel, dessen Hamburger Besitzer früher bei der Serie Magnum als Visagist gearbeitet hat.
Seine liebenswerte hawaiianische Frau begrüßt mich. Den Kaffee gibt es auf Kosten des Hauses, denn sie schließen gleich bis zum Abendessen. Die Gasleitung muss repariert werden. Gerade bekam sie auch einen Anruf, dass der Nationalpark heute Mittag wieder öffnet und bis dahin – es ist 10 Uhr morgens – würde sie mir im benachbarten Weingut eine Verkostung empfehlen.
Dafür ist es mir dann doch viel zu früh. Ich biege mit meinem Auto zum Haupteingang des Nationalparks ein. Zwei Frauen, die offensichtlich für die Sicherheit zuständig sind, bedeuten mir harsch, wieder zu wenden. Ich fahre rechts ran und lächle freundlich. „Ich möchte doch nur eine Frage stellen.“ „Ja, aber dann fahren sie wieder“. „Stimmt es, dass der Park 12 Uhr wieder öffnet“. „Davon wissen wir nichts und nun fahren sie endlich wieder“. „Ja, aber woher soll ich denn meine Information bekommen“ „Nutzen sie die sozialen Netzwerke“ knallt sie mir entgegen und beendet damit das Gespräch. Genauso wütend wie die Beiden knalle ich nun auch meine Autotür wieder zu. An der Situation ändert es nichts. Achselzuckend fahre ich los. Bis Hilo, in die Hauptstadt der Insel, ist es nur eine Dreiviertelstunde und ich habe noch genug Benzin im Tank.
In Hilo suche ich vergeblich ein Stadtzentrum. Es gibt eine Hauptstraße, auf der sich Läden, Cafés und Restaurants befinden – that’s it … Ich streife durch Lili‘uokalani Gardens, einer zauberhaften Parkanlage direkt an der Bucht, versuche mein Glück bei zwei Cafés, die beide am Sonntag geschlossen haben und … verlasse Hilo wieder.
Weiter geht es Richtung Norden zu den Kahuna Falls, die in einen kleinen Park eingebettet sind, den ich gut in einer halben Stunde umrundet habe.
Der eigentliche Höhepunkt des Tages folgt jetzt: der Hawaii Tropical Botanical Garden. In einem Valley direkt am Ozean angelegt, ist die Vielzahl der tropischen Pflanzen überbordend. Ich sehe alles wieder, was mir an auf meiner Reise bisher begegnet ist: riesige Ingwerstauden
Pfeffersträucher, ein Dschungel aus Palmen, wild wachsende Orchideen.
Es ist ein Fest für die Sinne. Dazwischen Wasserfälle, versteckte Brücken über kleine Bäche und immer wieder der Blick auf das Meer.
In der Bucht unweit vom Strand entdecke ich die Twin Rocks im Wasser, um die sich – wie könnte es anders sein – eine Legende von zwei Liebenden rankt.
Voll von Eindrücken und von der Sonne aufgetankt, fahre ich zurück nach Volcano Village. Tatsächlich hat der Nationalpark nun geöffnet. Zumindest die Zufahrt zu der Besucherplattform des Kilauea Kraters.
Das lasse ich mir natürlich nicht entgehen und bekomme einen ersten kleinen Eindruck von der Landschaft. Der Krater raucht in der Ferne. Kaum vorstellbar, dass man normalerweise bis an den Kraterrand spazieren kann.
Doch das geht heute leider nicht, alle Wege ringsum sind versperrt.
So hole ich mir meinen Schlüssel für mein Quartier der nächsten beiden Tage bei Joan, einer zauberhaften älteren Lady ab. Sie ist „keinen Tag älter als 39“ und selbst auch unzufrieden mit dem geschlossenen Nationalpark, da sie jeden Tag ihre Runden dort dreht. Ich bewundere den liebevoll eingedeckten Tisch in dem großen Wohnraum und frage, ob es etwas zu feiern gibt. „Aber nein, ich lade alle meine Gäste morgens immer zum Frühstück ein.“
Wie wunderbar – sie verwaltet 8 Ferienhäuser und morgen früh erwartet sie 7 Gäste zum Frühstück. Ich kann es kaum erwarten.
Doch zunächst gibt es – nach einem ausgiebigen Dinner in der Kilauea Lodge – noch einen nächtlichen Blick auf den rauchenden Vulkan. Der Himmel hat sich zugezogen, es ist regnerisch und kalt. Umso beeindruckender ist der Lichtkegel, der aus dem inneren des Vulkans scheint.
Pünktlich treffen wir alle bei Joan zum Frühstück ein. Es duftet süß, denn es gibt frisch gebackene Waffeln mit Ahornsirup. So lassen zwei junge Frauen aus München, ein Pärchen aus Berlin und eines aus der Schweiz es sich gemeinsam mit mir schmecken. Ob ich denn das Erdbeben letzten Abend gespürt hätte? Nein – wieder schüttle ich den Kopf. Staunend höre ich zu, dass die beiden Frauen aufpassen, dass in der Nacht nichts über ihnen hängt, was runterfallen könnte. Das Pärchen aus München hat immer die Tasche mit den wichtigsten Papieren griffbereit. Bin ich zu leichtsinnig? Die Bilder auf dem großformatigen Fernseher in Joans Wohnzimmer sprechen eine beredete Sprache. Wir sehen, wie die Lava Autos wegschiebt, als wären es Spielzeuge. 39 Häuser sind bisher zerstört. Glücklicherweise sind keine Menschen verletzt. Gewarnt wird vor den giftigen Schwefeldämpfen, die die Lava mit sich bringt. Das ist alles nicht wirklich weit weg von uns.
Es regnet in Strömen, als ich mich auf dem Weg ins Besucherzentrum mache. Der Guide dort macht es kurz: 99,9 % des Parks sind gesperrt. Hier auf der Karte können Sie sehen, welche Bereiche zugänglich sind.
Ich kann das verstehen, keiner weiß, wie sich der Vulkan weiter verhalten wird und mir ist es auch bisher noch immer unverständlich, wie der Park am Tag des großen Erdbebens evakuiert werden konnte. Er ist einfach riesig und keiner möchte ein weiteres Risiko eingehen.
So spaziere ich zu den Schwefelbänken, deren Farben mich stark an Rotorua in Neuseeland erinnern, wandere durch einen verzauberten Wald, klettere über Vulkanfelder vergangener Jahre und auf einen Ausblick, von dem man normalerweise die beiden hohen Berge der Insel, den Mauna Kea (4205 m) und den Mauna Loa (4169 m) sehen kann. Der Mauna Kea darf theoretisch sogar als höchster Berg der Erde gelten, denn es ist nachgewiesen, dass seine Basis 5500 Meter tief im Meeresboden liegt und er damit eine stolze Gesamthöhe von 9700 Meter erreicht. Doch heute liegt alles im Nebel und ich werde die Insel verlassen haben, ohne einen Blick auf die mächtigen Schildvulkane geworfen zu haben, von denen der aktive Kilauea tatsächlich nur ein kleiner Ableger ist.
Später mache ich es mir im Haus gemütlich, lese entspannt ein Buch, als die Erde sich bewegt. Mir wird himmelangst, so fühlt sich also ein Erdbeben an.
Ich schaue aus dem Fenster, was die Nachbarn machen. Alles ist ruhig. Vielleicht sollte ich doch mal nach meinen Papieren schauen, denke ich. Es wird eine unruhige Nacht – zumindest für mich. Denn als ich am nächsten Morgen beim Frühstück in die Runde frage, hat keiner etwas gespürt …
Die Tage hier waren intensiv und auch besonders und gleichzeitig bin ich doch irgendwie froh, als ich an Bord der kleinen Propellermaschine die Insel wieder verlasse …
Nelson – Wellington – Sydney – Honolulu – Kona – die Reise nach Big Island, Hawaii war die weiteste in den vier Monaten. An der Antarktis und Südamerika vorbei – der Nachtflug von Sydney nach Honolulu ist lang, laut und eng. Ich sitze in der Mitte der Mittelreihe in dem völlig ausgebuchten Flugzeug. Neben mir ein junges Paar mit ihrem zweijährigen Sohn, der langausgestreckt über uns liegt. Vor uns schreien kleine Kinder die ganze Nacht hindurch. Nur das intensive Gespräch mit meinem Sitznachbar zur Linken, einem Musikprofessor aus Sydney, macht den Flug für mich erträglich.
Wir fliegen nicht nur durch die Nacht, sondern auch durch die Zeit. Mittags am 1. Mai in Nelson losgeflogen, erreiche ich immer noch am 1. Mai nur zwei Stunden später Big Island. 22 Zeitzonen haben wir durchquert und all die Stunden, die mir nach und nach auf dem Weg nach Neuseeland geklaut wurden, gibt es nun auf einen Schlag zurück und einen fetten Bonus obendrauf. Ein bisschen verrückt ist das schon.
Die Einreise verläuft unproblematisch und bald schon rolle ich mit meinem Mietwagen vom Parkplatz des Flughafens. Und während ich mich dabei an das überwältigende Glücksgefühl bei meiner ersten Begegnung mit den hawaiianischen Inseln erinnere – vor drei Jahren auf Mauii – fühle ich jetzt … nichts. Das kann an der Übermüdung liegen, an der Größe der Insel, die fast doppelt so groß ist, wie die übrigen Inseln zusammen oder daran, dass ich direkt nach der Auffahrt auf dem Highway im Stau stehe. Das war so ziemlich das letzte, was ich auf Hawaii erwartet hätte. Und so rolle ich gemeinsam mit den anderen die Bundesstraße 19 entlang, komme durch den Ort Kailua-Kona, der mir auf Anhieb gut gefällt und lande schließlich in meiner Ferienwohnung. Der Komplex ist groß, zu groß für meinen Geschmack, doch der Blick auf das Meer, dessen Ufer direkt unter meinem Balkon liegt, entschädigt für alles.Obwohl ich eigentlich gar keinen Jetlag haben dürfte, gelingt es mir diesmal nicht, direkt wieder loszustromern. Ich rollere mich auf dem Bett ein und wache erst wieder auf, als es draußen schon dunkel ist. Hunger treibt mich an. Ich vertraue der Empfehlung von Tripadvisor und wandere durch die Nacht. Für Fußgänger ist die Straße nicht ausgelegt. Immer wieder weiche ich Autos aus, bis ich das Restaurant erreiche. Es ist gut gefüllt, ich bekomme einen Platz an der Bar und meinen ersten kalifornischen Chardonnay auf dieser Reise.
Neben mir sitzt ein sympathischer Zimmermann. Schnell kommen wir ins Gespräch. Ein gebrochenes Herz hat ihn vor vielen Jahren vom Festland nach Hawaii gebracht. Es ist die heilende Kraft, die der Insel nachgesagt wird und genau diese Energie hoffe ich hier zu finden.
Die vulkanische Insel hat zehn !!! verschiedene Klimazonen und es war von mir gut gewählt, im Westen auf der Sonnenseite zu starten. Den Morgen vertrödle ich in Kailua-Kona, bevor ich mich mit meinem Auto die Serpentinen hoch über das Meer schraube. Ich habe kein wirkliches Ziel, als mir das bunte Schild am Straßenrand „Botanical Garden“ auffällt.
Fast mache ich eine Vollbremsung, um die Ausfahrt noch zu erreichen und stelle mein Auto auf dem kleinen Parkplatz ab. Und dann erreiche ich das Paradies – was anderes kann das hier gar nicht sein. Der Paleaku Garden hoch über dem Meer ist ein Platz des Friedens und der Harmonie. Ich spaziere durch den Galaxy Garten – dem wohl ersten aus bunten Blumen gebauten Modell der Milchstraße.
Folge dem von hohen Palmen gesäumten Weg und erreiche den Mittelteil des Gartens, der aus einem riesigen Rasenherz besteht. Überall finde ich liebevoll angelegte Orte, die den verschiedenen Glaubensrichtungen gewidmet sind. Hier existieren sie friedlich nebeneinander, die Madonna im Schatten des buddhistischen Tempel, die neun Prinzipien des Bahaií Faith neben den Mantras des Guru Rinpoche. Am meisten berührt mich das klassische aus Kreta stammende Labyrinth. Mit einer Frage im Herzen folge ich den in Kreisen ausgelegten Steinen. Ruhig atmend und konzentriert gleicht es dem meditativen Gehen. Im Mittelpunkt des Labyrinths – so heißt es – erhält man die Antwort und tatsächlich schenkt mir das Universum einen Gedanken, der mich zum Strahlen bringt.
Mit diesem Strahlen verlasse ich den Ort voller Zauber und fahre zurück ans Meer. An einer ruhigen Bucht aus schwarzem vulkanischen Gestein spüre ich, was damit gemeint ist, dass die Insel heilende Kräfte hat…
Am nächsten Morgen kehre ich noch einmal pünktlich zu einer Yogastunde zurück und genieße so den Tagesbeginn mit Blick auf die Milchstraße.Eher am Rande höre ich mit, wie sich die Frauen danach über ein Erdbeben unterhalten, das gestern Abend die Insel leicht erschüttert hat.
Das ist eigentlich nichts Ungewöhnliches. Der Kilauea Crater ist einer der aktivsten Vulkane dieser Erde, ständig fließt Lava, die tief unter der Erde entsteht und sich ihren Weg bahnt. Bis zum Meer fließt sie und lässt die Insel dadurch ständig wachsen. Durch den Druck der Lava nach oben, bebt die Erde.
Doch diesmal scheint es stärker als normal gewesen zu sein. Doch noch mache ich mir keine Gedanken …
Nach Australien und Neuseeland ist es nur konsequent, nach Hawaii zu reisen. All dies gehört zu Ozeanien und wurde zuerst von den Polynesiern entdeckt. Auf den sechs größten Inseln von rund 130, die zu Hawaii gehören, siedeln sie seit 1300 Jahren. Nicht nur die Sprache ähnelt der der Maoris, auch die Kulturen weisen Gemeinsamkeiten auf. In Pu’uhonua o Honaunau – am schwarzen Lavastrand der südlichen Küste gehe ich in der ehemaligen Residenz der Häuptlinge auf Spurensuche. Das Anwesen ist gewaltig – mit Fischteichen, Tempeln und der königlichen Residenz, die aus 10 Hütten bestand.
Am faszinierenden ist der Bereich hinter einer massiven Steinmauer.
Das Pu‘uhonau war ein Refugium, in dem Menschen eine zweite Chance geboten wurde. Wer auch immer Kapu (das Gesetz) gebrochen hat – und das ging hier sehr schnell, bis hin, dass du deinen Schatten nicht auf das königliche Anwesen fallen lassen durftest – versuchte hierher zu fliehen. In seiner Begrenzung durfte kein Blut fließen. Hier bekam der Beschuldigte seine Absolution und konnte unbeschadet nach Hause zurückkehren.
Es ist heiß in der Mittagssonne, doch der würzige Duft des Meeres steigt mir in die Nase und verführt mich, einige Zeit auf den schwarzen Klippen zu verweilen.
Später am Nachmittag fahre ich noch einmal den Hang hinauf. Mich locken die Kaffeeplantagen, auf denen einer der teuersten Kaffees der Welt angebaut wird: der Kona-Kaffee. Während ich mich in Sri Lanka schon intensiv mit Wildkaffee und der Robusta-Bohne beschäftigt habe, reizt mich nun zu sehen, wie hier mit der Kaffeebohne verfahren wird.Ich habe Glück, die Greenwell Farms bietet kostenlose Führungen an. Während ich auf den Beginn der nächsten Tour warte und dabei den starken, aromatischen Kaffee verkosten darf, komme ich mit Amalia, einer jungen Praktikantin, ins Gespräch. Sie ist so herrlich offen und es macht Spaß mit ihr zu plaudern und so erzähle ich ihr auch, dass der Hintergrund meiner Reise ist, ein Buch darüber zu schreiben. „Wie ist der Name des Buches“ fragt sie mich. Das erste, was mir in englisch in den Sinn schießt, ist „The way to myself“. Sie schaut mich ernsthaft an, schreibt sich den Namen auf ihren Zettel und verkündet: Dein Buch wird in zwei Jahren veröffentlicht und es wird ein Bestseller der New York Times. Meinen lachenden Einwand, dass das Buch in deutsch erscheinen wird, lässt sie nicht gelten.
Vieles, was ich danach in der halbstündigen Führung erfahre, kenne ich schon vom Wildkaffee. Kaffeepflücken ist auch heute noch Handarbeit. Die roten Kirschen werden von den Zweigen gestreift. Danach werden sie als Ganzes mit Fruchtfleisch und Silberhäutchen bis zu 12 Tage in der Sonne getrocknet.
Durch diesen lange Trockenzeit ist die Bohne besonders würzig und entwickelt einen süßen und intensiven Eigengeschmack. Anschließend werden die Kirschen in Schälmaschinen verarbeitet, welche die Kerne – also die eigentlichen Bohnen extrahieren. Danach werden die Bohnen dreimal in einer automatischen Vorrichtung sortiert, bevor es dann zum rösten geht.
Warum der Kona-Kaffee so besonders teuer ist, möchte ich wissen. Das ist eine Sache der Betrachtung, erfahre ich. Das eigentliche Problem liegt eher daran, dass der Kaffeeanbau in Südamerika, Afrika und Asien deutlich unterbezahlt ist. Dem kann ich, nachdem ich selbst erfahren habe, wie aufwändig Kaffeeanbau ist, nur zustimmen.
Ich fahre weiter die Straße entlang in diesem Garten Eden. Denn nicht nur der Kaffee gedeiht hier prächtig, sondern jede exotische Frucht, die man sich vorstellen kann. Durch die Wärme der Sonne und den ständig über den Berg hängenden Wolken entsteht das perfekte Klima. Ich sehe Bäume, die sich unter Avocados nur biegen, saftigen Mangos, grünen Papayas – mir läuft das Wasser im Mund zusammen. Doch mein Ziel ist ein ganz anderes: eine weitere Spezialität der Insel sind Macadamias, die Könige unter den Nüssen. Ganz in der Nähe ist eine Plantage, die ich mir gern anschauen möchte. Schwungvoll fahre ich in die Einfahrt und werde direkt von einem Hünen von Mann und seinen fünf Hunden gebremst. Ich lächle den Riesen freundlich an und erkläre ihm, dass ich aus Deutschland komme und leider noch nie einen Macadamia Baum gesehen habe, was ich jetzt gern nachholen möchte. Na, dann kommen sie mal, lädt er mich ein und zeigt mir stolz die prächtigen Bäume, die hier im Spalier stehen. Macadamia-Ernte ist das ganze Jahr über. Die Früchte werden vom Boden gelesen und noch mit den Schalen geröstet, bevor sie dann geknackt und anschließend verkauft werden. Ob das stimmt, dass Hawaii der größte Lieferant weltweit sei, frage ich ihn. Schmunzelnd schüttelt er mit dem Kopf: Das sind die Australier. Ich hätte es wissen müssen …
Obwohl es bereits später Nachmittag ist, ist es noch immer herrlich warm und nach soviel Wissensaufnahme wird es Zeit für eine Abwechslung. Und so beschließe ich, schwimmen zu gehen.
Einer der fünf schönsten Strände der Insel ist gar nicht so weit weg, sieht man mal davon ab, dass ich auch hier von der Straße bis zur Bucht eine endlos währende Lavafeld hinter mich zu bringen habe. Erschwerend kommt hinzu, dass der Nationalpark, in dem der Strand liegt, 19 Uhr mit einer Schranke verschlossen wird. Also immer schön die Uhr im Auge behalten. Mein iPhone zeigt an, dass eine neue Nachricht eingegangen ist. „Möchten Sie immer noch morgen anreisen?“ fragt mich meine Vermieterin des Quartiers, dass ich mir im Osten der Insel für die nächsten Tage ausgesucht habe. „Ja, warum denn nicht“ frage ich sie und ob das Erdbeben Auswirkungen gehabt hat. Sie antwortet, dass es sein kann, dass die Straße wegen der Lava gesperrt wird und wir werden es morgen sehen.
Doch erst einmal schnappe ich mir mein Handtuch und wandere zum Strand. Es ist menschenleer hier, die Sonne spiegelt sich im Wasser und schnell schwimme ich ihr entgegen und bade in ihren Strahlen. Die Umgebung ist mystisch. Grüne Palmen wiegen sich im Wind, direkt dahinter die schwarze Lava und in der Ferne hüllen die weißen Wolken den Berg ein.Es ist schon spät und seufzend packe ich meine Badesachen wieder ein.
Auf dem Rückweg sehe ich in der Ferne zwei Menschen aufs Meer schauen. Neugierig geselle ich mich dazu. Sie beobachten ein Seehundekind, dass fröhlich mit den Wellen spielt. Die beiden Frauen gehören der KeKaiOla-Organisation an, die sich um Seehunde in Not kümmern.
Ich ergreife meine Chance, mit Einheimischen zu sprechen und zeige ihnen die eigenartige Nachricht meiner Vermieterin. Sie schauen auf die Karte und zeigen mir, dass mein Quartier genau in der Zone liegt, wo die Lava gerade die Straße aufreißt. Natürlich empfehlen sie mir, eine andere Unterkunft zu suchen und zeigen auf den Süden der Insel.
Die Interislander Ferry ist so gewaltig, dass ich es schnell aufgebe, sie im Ganzen auf ein Foto pressen zu wollen. Auf jeden Fall ist sie schon mal ein Vorgeschmack auf das Containerschiff, mit dem ich von den USA nach Europa fahren werde.
Pünktlich legen wir ab und obwohl es sehr kalt an der Reling ist, würde ich um nichts in der Welt die wunderbaren Ausblicke verpassen wollen.
Vier Stunden dauert die Überfahrt von Wellington nach Pixton, dem Hafen auf der Südinsel.
Mit etwas Verspätung kommen wir an. Die Fußgänger beeilen sich zwischen den Autos auf dem Parkdeck durchzukommen. Auch ich haste dem Ausgang entgegen und sehe draußen schon meinen Bus nach Nelson stehen. Dem Ort, der heute mein Ziel ist. Aufgeregt erkläre ich dem Busfahrer, dass ich noch auf mein Gepäck warte und er keinesfalls abfahren soll. Das tun außer mir allerdings noch eine Reihe anderer Passagiere und so geht es einige Minuten später entspannt los.
Endlose Weinspaliere fliegen an uns vorbei. Marlborough ist das bekannteste Weinanbaugebiet Neuseelands.
Später geht es in unendlichen S-Kurven auf der Straße auf und ab. Die Aussicht ist ewig grün und ich kann mich dem Eindruck nicht erwehren, wenn noch einer dieser grünen Hügel um die Ecke fliegt, werde ich mich übergeben müssen. Doch soweit kommt es nicht. Wir erreichen Nelson und tief durchatmend steige ich aus und bin auf der Stelle verliebt.
Der Weg zu meiner Unterkunft führt am Matai River entlang. Die Bäume haben sich herbstlich bunt geschmückt und ich kann mich an der Idylle überhaupt nicht sattsehen. Es ist einer dieser „Auf den ersten Blick“-Orte, die mich tief im Inneren berühren.Außerdem ist er das Tor zum Abel Tasman Nationalpark, der mein eigentliches Ziel ist. So schaue ich wenig später zusammen mit dem netten Herrn von der Stadt-Information auf den Wetterbericht der nächsten Tage. Der sieht leider gar nicht gut aus und wir entscheiden gemeinsam, dass vermutlich übermorgen die geringste Niederschlagsmenge zu erwarten ist. Ich buche mein Rund-um-Sorglos-Ausflugsprogramm und laufe ins Städtchen. Vorbei an einem wirklich unansehnlichen Bürogebäude, das allerdings mit seiner Turmuhr glänzt. Regelmäßig höre ich den Glockenschlag, der Big Ben täuschend ähnlich klingt.
Die Trafalgar Street ist die Hauptstraße von Nelson, auf der sich eine Reihe von Cafés, Bars und Restaurants angesiedelt haben. Eines davon lockt mit einer gemütlichen Draußen-Couch unter einem Heizschirm. Dem kann ich nicht widerstehen und während ich bei einem Glas leckersten Wein mit einer Freundin in Deutschland telefoniere, setzt sich mir eine Frau gegenüber.
Später kommen wir ins Gespräch. Marie kommt aus dem Süden Australiens (und hat damit schon meine vollste Sympathie) und obwohl sie schon Anfang Sechzig ist, hat sie sich für ein Jahr work and travel in Neuseeland entschieden. „Out of the box“ ist ihr Motto. Sie verdient sich ihr Geld für das weitere Reisen in einer Gärtnerei und hört gespannt meinem Bericht über meine Weltreise zu. „Du machst mir Mut“ sagt sie „Wenn du das kannst, dann kann ich das auch schaffen“. Dann liest sie mir aus ihrem Tagebuch vor, dass sie während meines Telefonates geschrieben hat: „Mir gegenüber sitzt eine Deutsche. Sie strahlt soviel Frische aus und scheint ganz bei sich selbst zu sein“. Wow – was für ein Kompliment. Später verabschiedet sie sich mit einem Dank, dass ich ihr mein Lächeln geschenkt habe und mit genau diesem wandere auch ich zurück in meine kleine Unterkunft.
Am nächsten Tag warte ich den schlimmsten Regen ab, bevor ich mich auf den Weg mache. Die Berge dampfen noch von der Feuchtigkeit und es ist herbstlich kühl. Ein Bummel durch die South Street gleicht einer Zeitreise.Gleich um die Ecke führt ein pompöser Aufgang zur Christ Church.
Mich zieht es ins Heimatmuseum zur Sonderausstellung der 100 besten Fotos von National Geography. Immer wieder fasziniert mich, welche Geschichten sich mit Fotografien erzählen lassen.
Kunst wird in Nelson großgeschrieben. Bekannte Bildhauer haben hier ihre Ateliers. Der Juwelier Jens Hansen, der einen der Ringe für Tolkiens-Verfilmungen kreiert hat, sitzt in der Stadt und überall gibt jede Form von Streetart zu bewundern.
Während mich später die Suter Art Gallery nicht ganz so packt, kann ich mich kaum an dem sich direkt anschließenden Queens Garden satt sehen.
Es regnet in Strömen, als ich den Botanical Hill erklimme. Hier befindet sich nicht nur der Mittelpunkt Neuseelands, auch die Aussicht ist die Anstrengung wert.
Glücklicherweise hat sich der Regen am nächsten Morgen verzogen, als ich den Bus Richtung Kaiteriteri besteige. Von hier startet das Boot in den Abel Tasman Nationalpark.
Tasmanien, Tasman Sea, Abel Tasman Nationalpark – wer war das eigentlich, dessen Name so oft genannt wird. Google verrät es mir: Abel Janszoon Tasman war ein niederländischer Seefahrer. Auf seinen Entdeckungsreisen umsegelte er den australischen Kontinent und erreichte am 13. Dezember 1642 als erster Europäer Neuseeland.
Als unser kleines Boot ablegt, schaut sogar die Sonne hinter den Wolken hervor. Wir umfahren den Split Apple Rock,
sehen von weitem einer Seelöwenkolonie zu und legen schließlich am Medlands Beach an. Eine Handvoll Wanderer und ich haben uns für einen circa 8 Kilometer langer Track entschieden, bevor wir am Anchorage Beach wieder eingesammelt werden.
Ein üppiger Regenwald liegt vor mir, ab und zu erhasche ich einen Blick auf goldgelbe Strände und das Meer.
Eine Hängebrücke führt über einen idyllischen Fluss. Mit Blick auf einen türkisfarbenen Naturpool verputze ich mein trockenes Sandwich. Später schließt ein junges Mädchen aus Berlin zu mir auf. Obwohl die Zeit schon reichlich fortgeschritten ist, gönnen wir uns den Umweg über „Cleopatras Pool“ , um uns dann pünktlich am vereinbarten Treffpunkt einzufinden.
Nelson, die Südinsel, sogar ganz Neuseeland machen mir den Abschied so schwer wie möglich. Ein stahlblauer Himmel wartet am nächsten Morgen auf mich. Stilvoll nehme ich im Melrose Gardens einen letzten Tee zu mir,
biege noch einmal in Queens Garden ab
bevor mich die Mini-Propeller-Maschine innerhalb einer halben Stunde zurück nach Wellington fliegt.