Nelson – Wellington – Sydney – Honolulu – Kona – die Reise nach Big Island, Hawaii war die weiteste in den vier Monaten. An der Antarktis und Südamerika vorbei – der Nachtflug von Sydney nach Honolulu ist lang, laut und eng. Ich sitze in der Mitte der Mittelreihe in dem völlig ausgebuchten Flugzeug. Neben mir ein junges Paar mit ihrem zweijährigen Sohn, der langausgestreckt über uns liegt. Vor uns schreien kleine Kinder die ganze Nacht hindurch. Nur das intensive Gespräch mit meinem Sitznachbar zur Linken, einem Musikprofessor aus Sydney, macht den Flug für mich erträglich.

Wir fliegen nicht nur durch die Nacht, sondern auch durch die Zeit. Mittags am 1. Mai in Nelson losgeflogen, erreiche ich immer noch am 1. Mai nur zwei Stunden später Big Island. 22 Zeitzonen haben wir durchquert und all die Stunden, die mir nach und nach auf dem Weg nach Neuseeland geklaut wurden, gibt es nun auf einen Schlag zurück und einen fetten Bonus obendrauf. Ein bisschen verrückt ist das schon.

Die Einreise verläuft unproblematisch und bald schon rolle ich mit meinem Mietwagen vom Parkplatz des Flughafens. Und während ich mich dabei an das überwältigende Glücksgefühl bei meiner ersten Begegnung mit den hawaiianischen Inseln erinnere – vor drei Jahren auf Mauii – fühle ich jetzt … nichts. Das kann an der Übermüdung liegen, an der Größe der Insel, die fast doppelt so groß ist, wie die übrigen Inseln zusammen oder daran, dass ich direkt nach der Auffahrt auf dem Highway im Stau stehe. Das war so ziemlich das letzte, was ich auf Hawaii erwartet hätte. Und so rolle ich gemeinsam mit den anderen die Bundesstraße 19 entlang, komme durch den Ort Kailua-Kona, der mir auf Anhieb gut gefällt und lande schließlich in meiner Ferienwohnung. Der Komplex ist groß, zu groß für meinen Geschmack, doch der Blick auf das Meer, dessen Ufer direkt unter meinem Balkon liegt, entschädigt für alles.Obwohl ich eigentlich gar keinen Jetlag haben dürfte, gelingt es mir diesmal nicht, direkt wieder loszustromern. Ich rollere mich auf dem Bett ein und wache erst wieder auf, als es draußen schon dunkel ist. Hunger treibt mich an. Ich vertraue der Empfehlung von Tripadvisor und wandere durch die Nacht. Für Fußgänger ist die Straße nicht ausgelegt. Immer wieder weiche ich Autos aus, bis ich das Restaurant erreiche. Es ist gut gefüllt, ich bekomme einen Platz an der Bar und meinen ersten kalifornischen Chardonnay auf dieser Reise.
Neben mir sitzt ein sympathischer Zimmermann. Schnell kommen wir ins Gespräch. Ein gebrochenes Herz hat ihn vor vielen Jahren vom Festland nach Hawaii gebracht. Es ist die heilende Kraft, die der Insel nachgesagt wird und genau diese Energie hoffe ich hier zu finden.

Die vulkanische Insel hat zehn !!! verschiedene Klimazonen und es war von mir gut gewählt, im Westen auf der Sonnenseite zu starten. Den Morgen vertrödle ich in Kailua-Kona, bevor ich mich mit meinem Auto die Serpentinen hoch über das Meer schraube. Ich habe kein wirkliches Ziel, als mir das bunte Schild am Straßenrand „Botanical Garden“ auffällt.

Fast mache ich eine Vollbremsung, um die Ausfahrt noch zu erreichen und stelle mein Auto auf dem kleinen Parkplatz ab. Und dann erreiche ich das Paradies – was anderes kann das hier gar nicht sein. Der Paleaku Garden hoch über dem Meer ist ein Platz des Friedens und der Harmonie. Ich spaziere durch den Galaxy Garten – dem wohl ersten aus bunten Blumen gebauten Modell der Milchstraße.
Folge dem von hohen Palmen gesäumten Weg und erreiche den Mittelteil des Gartens, der aus einem riesigen Rasenherz besteht. Überall finde ich liebevoll angelegte Orte, die den verschiedenen Glaubensrichtungen gewidmet sind. Hier existieren sie friedlich nebeneinander, die Madonna im Schatten des buddhistischen Tempel, die neun Prinzipien des Bahaií Faith neben den Mantras des Guru Rinpoche. Am meisten berührt mich das klassische aus Kreta stammende Labyrinth. Mit einer Frage im Herzen folge ich den in Kreisen ausgelegten Steinen. Ruhig atmend und konzentriert gleicht es dem meditativen Gehen. Im Mittelpunkt des Labyrinths – so heißt es – erhält man die Antwort und tatsächlich schenkt mir das Universum einen Gedanken, der mich zum Strahlen bringt.

Mit diesem Strahlen verlasse ich den Ort voller Zauber und fahre zurück ans Meer. An einer ruhigen Bucht aus schwarzem vulkanischen Gestein spüre ich, was damit gemeint ist, dass die Insel heilende Kräfte hat…

Am nächsten Morgen kehre ich noch einmal pünktlich zu einer Yogastunde zurück und genieße so den Tagesbeginn mit Blick auf die Milchstraße.Eher am Rande höre ich mit, wie sich die Frauen danach über ein Erdbeben unterhalten, das gestern Abend die Insel leicht erschüttert hat.
Das ist eigentlich nichts Ungewöhnliches. Der Kilauea Crater ist einer der aktivsten Vulkane dieser Erde, ständig fließt Lava, die tief unter der Erde entsteht und sich ihren Weg bahnt. Bis zum Meer fließt sie und lässt die Insel dadurch ständig wachsen. Durch den Druck der Lava nach oben, bebt die Erde.
Doch diesmal scheint es stärker als normal gewesen zu sein. Doch noch mache ich mir keine Gedanken …

Nach Australien und Neuseeland ist es nur konsequent, nach Hawaii zu reisen. All dies gehört zu Ozeanien und wurde zuerst von den Polynesiern entdeckt. Auf den sechs größten Inseln von rund 130, die zu Hawaii gehören, siedeln sie seit 1300 Jahren. Nicht nur die Sprache ähnelt der der Maoris, auch die Kulturen weisen Gemeinsamkeiten auf. In Pu’uhonua o Honaunau – am schwarzen Lavastrand der südlichen Küste gehe ich in der ehemaligen Residenz der Häuptlinge auf Spurensuche. Das Anwesen ist gewaltig – mit Fischteichen, Tempeln und der königlichen Residenz, die aus 10 Hütten bestand.
Am faszinierenden ist der Bereich hinter einer massiven Steinmauer.
Das Pu‘uhonau war ein Refugium, in dem Menschen eine zweite Chance geboten wurde. Wer auch immer Kapu (das Gesetz) gebrochen hat – und das ging hier sehr schnell, bis hin, dass du deinen Schatten nicht auf das königliche Anwesen fallen lassen durftest – versuchte hierher zu fliehen. In seiner Begrenzung durfte kein Blut fließen. Hier bekam der Beschuldigte seine Absolution und konnte unbeschadet nach Hause zurückkehren.

Es ist heiß in der Mittagssonne, doch der würzige Duft des Meeres steigt mir in die Nase und verführt mich, einige Zeit auf den schwarzen Klippen zu verweilen.

Später am Nachmittag fahre ich noch einmal den Hang hinauf. Mich locken die Kaffeeplantagen, auf denen einer der teuersten Kaffees der Welt angebaut wird: der Kona-Kaffee. Während ich mich in Sri Lanka schon intensiv mit Wildkaffee und der Robusta-Bohne beschäftigt habe, reizt mich nun zu sehen, wie hier mit der Kaffeebohne verfahren wird.Ich habe Glück, die Greenwell Farms bietet kostenlose Führungen an. Während ich auf den Beginn der nächsten Tour warte und dabei den starken, aromatischen Kaffee verkosten darf, komme ich mit Amalia, einer jungen Praktikantin, ins Gespräch. Sie ist so herrlich offen und es macht Spaß mit ihr zu plaudern und so erzähle ich ihr auch, dass der Hintergrund meiner Reise ist, ein Buch darüber zu schreiben. „Wie ist der Name des Buches“ fragt sie mich. Das erste, was mir in englisch in den Sinn schießt, ist „The way to myself“. Sie schaut mich ernsthaft an, schreibt sich den Namen auf ihren Zettel und verkündet: Dein Buch wird in zwei Jahren veröffentlicht und es wird ein Bestseller der New York Times. Meinen lachenden Einwand, dass das Buch in deutsch erscheinen wird, lässt sie nicht gelten.

Vieles, was ich danach in der halbstündigen Führung erfahre, kenne ich schon vom Wildkaffee. Kaffeepflücken ist auch heute noch Handarbeit. Die roten Kirschen werden von den Zweigen gestreift. Danach werden sie als Ganzes mit Fruchtfleisch und Silberhäutchen bis zu 12 Tage in der Sonne getrocknet.
Durch diesen lange Trockenzeit ist die Bohne besonders würzig und entwickelt einen süßen und intensiven Eigengeschmack. Anschließend werden die Kirschen in Schälmaschinen verarbeitet, welche die Kerne – also die eigentlichen Bohnen extrahieren. Danach werden die Bohnen dreimal in einer automatischen Vorrichtung sortiert, bevor es dann zum rösten geht.
Warum der Kona-Kaffee so besonders teuer ist, möchte ich wissen. Das ist eine Sache der Betrachtung, erfahre ich. Das eigentliche Problem liegt eher daran, dass der Kaffeeanbau in Südamerika, Afrika und Asien deutlich unterbezahlt ist. Dem kann ich, nachdem ich selbst erfahren habe, wie aufwändig Kaffeeanbau ist, nur zustimmen.

Ich fahre weiter die Straße entlang in diesem Garten Eden. Denn nicht nur der Kaffee gedeiht hier prächtig, sondern jede exotische Frucht, die man sich vorstellen kann. Durch die Wärme der Sonne und den ständig über den Berg hängenden Wolken entsteht das perfekte Klima. Ich sehe Bäume, die sich unter Avocados nur biegen, saftigen Mangos, grünen Papayas – mir läuft das Wasser im Mund zusammen. Doch mein Ziel ist ein ganz anderes: eine weitere Spezialität der Insel sind Macadamias, die Könige unter den Nüssen. Ganz in der Nähe ist eine Plantage, die ich mir gern anschauen möchte. Schwungvoll fahre ich in die Einfahrt und werde direkt von einem Hünen von Mann und seinen fünf Hunden gebremst. Ich lächle den Riesen freundlich an und erkläre ihm, dass ich aus Deutschland komme und leider noch nie einen Macadamia Baum gesehen habe, was ich jetzt gern nachholen möchte. Na, dann kommen sie mal, lädt er mich ein und zeigt mir stolz die prächtigen Bäume, die hier im Spalier stehen. Macadamia-Ernte ist das ganze Jahr über. Die Früchte werden vom Boden gelesen und noch mit den Schalen geröstet, bevor sie dann geknackt und anschließend verkauft werden. Ob das stimmt, dass Hawaii der größte Lieferant weltweit sei, frage ich ihn. Schmunzelnd schüttelt er mit dem Kopf: Das sind die Australier. Ich hätte es wissen müssen …

Obwohl es bereits später Nachmittag ist, ist es noch immer herrlich warm und nach soviel Wissensaufnahme wird es Zeit für eine Abwechslung. Und so beschließe ich, schwimmen zu gehen.
Einer der fünf schönsten Strände der Insel ist gar nicht so weit weg, sieht man mal davon ab, dass ich auch hier von der Straße bis zur Bucht eine endlos währende Lavafeld hinter mich zu bringen habe. Erschwerend kommt hinzu, dass der Nationalpark, in dem der Strand liegt, 19 Uhr mit einer Schranke verschlossen wird. Also immer schön die Uhr im Auge behalten. Mein iPhone zeigt an, dass eine neue Nachricht eingegangen ist. „Möchten Sie immer noch morgen anreisen?“ fragt mich meine Vermieterin des Quartiers, dass ich mir im Osten der Insel für die nächsten Tage ausgesucht habe. „Ja, warum denn nicht“ frage ich sie und ob das Erdbeben Auswirkungen gehabt hat. Sie antwortet, dass es sein kann, dass die Straße wegen der Lava gesperrt wird und wir werden es morgen sehen.

Doch erst einmal schnappe ich mir mein Handtuch und wandere zum Strand. Es ist menschenleer hier, die Sonne spiegelt sich im Wasser und schnell schwimme ich ihr entgegen und bade in ihren Strahlen. Die Umgebung ist mystisch. Grüne Palmen wiegen sich im Wind, direkt dahinter die schwarze Lava und in der Ferne hüllen die weißen Wolken den Berg ein.Es ist schon spät und seufzend packe ich meine Badesachen wieder ein.
Auf dem Rückweg sehe ich in der Ferne zwei Menschen aufs Meer schauen. Neugierig geselle ich mich dazu. Sie beobachten ein Seehundekind, dass fröhlich mit den Wellen spielt. Die beiden Frauen gehören der KeKaiOla-Organisation an, die sich um Seehunde in Not kümmern.
Ich ergreife meine Chance, mit Einheimischen zu sprechen und zeige ihnen die eigenartige Nachricht meiner Vermieterin. Sie schauen auf die Karte und zeigen mir, dass mein Quartier genau in der Zone liegt, wo die Lava gerade die Straße aufreißt. Natürlich empfehlen sie mir, eine andere Unterkunft zu suchen und zeigen auf den Süden der Insel.