Frühstücken werde ich heute am Ninety Miles Beach. Dazu packe ich früh am Morgen in meinem Hotel meine Wasserflasche ein, in die ich frisch gebrühten Kaffee gefüllt habe und eine Rolle Kekse. Eine gute Stunde später finde ich eine Zufahrtstrasse zu dem tatsächlich 88 Kilometer (55 Meilen) langen Strand,

parke mein Auto, klettere über eine hohe Düne und … bin sprachlos. Goldgelber Sand breitet sich bis zum Horizont vor meinen Augen aus. Schnell kennzeichne ich die Stelle, an der ich den Strand erreicht habe, um auch den Rückweg zu finden und kann mich einfach nicht sattsehen. Ganz allein bin ich hier an diesem frühen Morgen, der Kaffee in meiner Wasserflasche ist nur noch lauwarm, die Kekse hart und trocken und trotzdem ist es eines der schönsten Frühstücke auf meiner Reise.
Irgendwann brettert ein SUV an mir vorbei, ein Vorgeschmack auf die 4WheelDrive Fahrzeuge, die später mit Touristen hier lang fahren werden. Doch dann bin ich schon längst wieder weg.

Auch auf der einzigen Straße, die schnurgerade nach Norden führt, fahre ich eine Ewigkeit allein. Irgendwann fällt mein Blick auf die Tankanzeige, die beachtlich tief steht. Eine Tankstelle habe ich schon lange nicht mehr gesehen und wie vom Universum herbeigezaubert, taucht genau jetzt eine solche am Straßenrand auf. Menschenleer ist es auch hier. Tanken funktioniert nach dem Prinzip, Kreditkarte in einem Automaten einlesen, Zapfsäule wählen, tanken und Vertrauen haben, dass später der korrekte Betrag abgebucht wird.

Dann endlich erreiche ich das Cape, wandere dem Leuchtturm an der Spitze entgegen

und nehme die Energie an der Stelle auf, wo der Pazifik auf die Tasman Sea trifft. Von hier – so sagen es die Maori – fliegen die Seelen nach dem Tod ins Paradies. Einen schöneren Absprung kann es kaum geben.

Ich beschließe, dem Trail hinunter in die Bucht zu folgen. Vorsichtig steige ich den Berg hinab, als es passiert. Ich rutsche auf einem rollenden Stein aus und falle hin. Meine ewig währende Horrorvorstellung wird wahr und es geschieht … nichts. Ich rutsche nicht den Abhang hinunter, breche mir weder Arme, Beine oder gar Genick, sondern stehe einfach mit einer kleinen Schürfwunde am Knie wieder auf. Ob nun der Bann meiner Bergabsteigphobie endlich gebrochen sein mag?

Das türkisblaue Meer dröhnt laut in meinen Ohren, als ich den Strand erreiche. Es ist Flut und damit ist ein Weiterlaufen in die nächste Bucht unmöglich. Ich versuche es trotzdem, klettere über die vulkanischen Steine immer näher zur nächsten Kurve, bis die Wellen die natürliche Barriere überrollen. Zeit zum umkehren.

Wieder im Auto sitzend, erinnere ich mich an ein Schild, das ich kurz vor dem Cape gesehen habe: „Spirit Bay“. Ich nehme den Abzweig und fahre kilometerlang über eine Schotterpiste. Am Ende erreiche ich einen kleinen Campingplatz an einem See, in dem Maoris fröhlich baden. Es ist Sonntag Nachmittag – Zeit für einen Familienausflug. Sie winken mir herzlich zu und ich setze meinen Weg zu Fuß fort, bis ich die Bay erreiche. Es ist das erste Mal, dass ich tatsächlich traurig darüber bin, nicht reiten zu können. Wie wunderbar muss das wohl sein, an diesem Strand entlang zu galoppieren. Ich verliere mich in meinen Tagträumen und schlummere ein.

So ist es dann auch schon wieder reichlich spät und klar, dass ich mein angepeiltes Ziel heute nicht mehr erreichen werde. In Ahipara, dem Beginn des Ninety Miles Beach, bekomme ich ein Zimmer in einem Hostel mit dem wunderbaren Namen „Endless Summer Lodge“.

Ich freue mich, endlich mal wieder unter Menschen zu kommen, doch die anderen Gäste sind durchweg Franzosen und ziehen es vor, unter sich zu bleiben. So beobachte ich noch die letzten Minuten eines spektakulären Sonnenuntergangs und mache es mir mit meiner Beute aus dem nahegelegenen Grocery-Shop in meinem Zimmer gemütlich: Rotwein, Käse, eine Dose (ungenießbares) Corned Beef, Chips und für die Gesundheit ein Apfel – was für ein Festmahl.

Auf Zehenspitzen schleiche ich mich am nächsten Morgen aus dem noch tief im Schlaf liegenden Haus. Um weiter auf der Westseite zurück Richtung Auckland fahren zu können, muss ich mit der Autofähre in Kohukohu übersetzen.

Diese fährt leider nur im Stundentakt und ich bestelle beim Universum ein Cafe am Anleger, um die Wartezeit mit einem leckeren Frühstück zu überbrücken. Das Café gibt es dann auch, leider erst nach der Überfahrt auf der anderen Uferseite. Egal, ich genieße den Cappucchino und den Ausblick und fahre weiter in den Waipoua Kauri Forest. Hier finde ich den Tane Mahuta – Lord of the Forest, den höchsten und ältesten Kauri Baum Neuseelands, den ich mir mit gebührenden Abstand ansehen darf.

Kurze Zeit später erreiche ich den nächsten Park, in dem es noch viel mehr Kauri Bäume zu bestaunen gibt. 18 Kilometer lang schlängelt sich die Straße in S-Kurven durch den Regenwald. Nie zuvor habe ich so riesige, dichte Farne wachsen sehen.

Nach jeder Kurve gibt es einen neuen imposanten Ausblick, den ich nur noch teilweise genießen kann, denn langsam schlagen mir die Kurven auf den Magen und ich nehme dankbar den Abzweig geradeaus zum Trounson Kauri Park. Was mir das Schild wieder einmal nicht verrät, ist, dass ca. 10 Kilometer Holperpiste zu dem im Jahre 1921 angelegten historischen Park zurückzulegen sind.
Und so verwundert es mich dann auch gar nicht, dass ich die einzige bin, die den Lehrpfad entlang wandert.

Meinen letzten Stopp an der North Coast lege ich in Baylys Beach ein.
Ich folge den Schildern zum Strand und stehe unvermittelt direkt mit meinem Auto im Sand. Das diffuse Licht gibt dem Strand etwas mysteriöses, fast unheimliches.

Mich treibt dann doch eher der Hunger. Restaurants sind im Norden tatsächlich eher rar gesät. So halte ich an einem Fish&Ships Stand an, packe eine große Portion davon ein und klingle am alten Post Office in Paparoa, das die Wirtin in ein gemütliches B&B Guesthouse verwandelt hat.
Auch hier bin ich ganz allein, verputze mein Abendessen und erfreue mich an meiner Heizdecke in meinem Bett, denn langsam hält der Herbst Einzug in Neuseeland.