Heute  morgen ist der Ausblick aus meinem Fenster zwar immer noch idyllisch, doch es ist kühl und regnerisch und ich brauche eine gute Idee für den Tag.

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Wenn es nach dem Baedecker geht, der mich auf meiner Tour begleitet, hätte mich mein erster Weg auf den mit 1917 Metern höchsten Berg der Nordost Staaten führen sollen. Es gibt mehrere Möglichkeiten, diesen zu erklimmen. Der über sechsstündige Aufstieg scheidet für mich aus. Ebenso alle Arten von Bustouren oder ähnlichem. Bleibt das eigene Auto. Die 12 km lange Serpentinenstraße wird von einer privaten Gesellschaft betrieben und wem es gelingt, den Gipfel zu erreichen, hat sich den Aufkleber „This car climbed the Mount Washington “ verdient. Ich denke, das wäre genau das richtige für mein Ford Mustang Cabrio – aber ob das die Autovermietung auch so sieht …?
Doch zunächst ist es Zeit für das Frühstück und eine gute Gelegenheit, über die Menschen, die mir bisher begegnet sind, zu schreiben. Denn ich habe mich verliebt : Sie ist über 70 Jahre alt, heißt TIni und kommt gebürtig aus Indonesien. Seit den sechziger Jahren lebt sie in den USA und nachdem ihr Mann vor vier Jahren gestorben ist, hat sie sich auf eine Stelle in meinem Inn beworben. Sie hilft beim Frühstück und ist ganz zauberhaft. Hin und weg ist sie, als sie erfährt, dass ich aus Deutschland komme. Lange Zeit in New Jersey für eine deutsche Firma gearbeitet, spricht sie etwas deutsch. Mit verschwörerischer Miene flüstert sie mir “ Guten Morgen“ zu und unterhält sich auf deutsch mit mir. Ich sehe ihr an, wie stolz sie darauf ist und ich öffne mein Herz weit.
Überhaupt ist es so, dass die Menschen, die mir auf meiner Tour begegnen, sehr aufgeschlossen sind. Fast alle haben in irgendeiner Weise eine Beziehung zu Deutschland:
Der Verkäufer in Boston, den ich nach einem Adapter fragte (der für die Kamera liegt zu Hause im Schrank ) kann mir zwar nicht weiterhelfen, dafür kenne ich dann seine ganze Familiengeschichte mit einem deutschen Großvater und einer schwedischen Großmutter. Der nette Mann im Seven Eleven zählt mir, während er meine Einkäufe kassiert, alle deutschen Fußballmannschaften auf, die er kennt, denn gemeinsam mit Freunden wird immer Bundesliga geschaut. Der Mann, der mir an der Tankstelle die Selbstbedienung an der Tanksäule erklärt, hat in Gießen gearbeitet und ist von Leipzig ganz begeistert. Ich könnte die Liste endlos weiter führen. Die meisten behaupten ja, Amerikaner wären aufgesetzt freundlich. Ich kann das so nicht bestätigen. Ich fühle ehrliches Interesse und genieße die kurzen Gespräche.
Dann geht es los gen Mount Washington. Vorgewarnt, dass der Gipfel die übelste Schlechtwetterzone Nordamerikas mit einer Durchschnittstemperatur knapp um den Gefrierpunkt ist und es auch im Sommer Windböen von bis zu 370 km/h gibt, packe ich alles an Jacken und wärmenden Accessoires ein, die mein Koffer so zu bieten hat (zu irgendwas muss das 19 kg schwere Reisegepäck ja gut sein)
Ich passiere die Kasse am Fuße des Berges und dann geht es los. Durchschnittlich 12% Steigung, die Fahrbahn so breit, dass zwei Fahrzeuge aneinander vorbei kommen. Immerhin gibt es die Straße schon seit 1869 und wurde ursprünglich für Kutschen gebaut. Heute finden hier halsbrecherische Auto- und Fahrradrennen statt.
Doch davon sind wir jetzt weit entfernt, die Fahrer vor mir sind übervorsichtig und so schleichen wir den Berg hinauf. Gut, dass der Ford ein Automatikgetriebe besitzt, so einen niedrigen Gang könnte ich manuell gar nicht einschalten.


Am Anfang ist der Ausblick sehenswert, doch dann legt sich tiefer Nebel über die Straße. Ein Auto nach dem anderen fährt rechts ran, bis ich die Kolonne anführe.

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Das wir den Gipfel erreicht haben, ist nur daran zu erkennen, dass uns Security in gelben Warnwesten auf den Parkplatz lotsen. Der Lateinamerikaner, der neben mir aus dem Auto klettert, fragt mich, ob ich keine Angst habe. Dies verneine ich lächelnd – Taxifahrertochter eben – jeder hat so seine ganz eigenen Ängste.
Oben angekommen ist wirklich gar nichts zu sehen. Es ist bitterkalt, kleine Hagelkörner peitschen uns ins Gesicht. Eigentlich ist man hier – neben einer kleinen Ausstellung, dem obligatorischen Shop und einem Schnellrestaurant, für das Beweisfotos neben dem Gipfelschild.

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Der Mann hinter mir und ich fotografieren uns gegenseitig. Einen Moment zu lang schaue ich ihn mir durch die Linse seiner Kamera an und spüre mein Herz etwas stolpern. Doch schon ist er wieder im Nebel verschwunden.
So trete auch ich wieder die Rückfahrt an. Es hat etwas aufgeklart, man sieht jetzt den tiefen ungesichertem Abgrund direkt neben der Straße. Unversehrt erreichen wir das Tal und ich gönne mir nach dieser Serpentinenfahrt einen späten Lunch (oder frühes Dinner – im Nachgang gesehen war es beides ) auf der umlaufenden Panoramaterasse des ehrwürdigen Mount Washington Hotels. Es ist kühl hier draußen, doch auf keinen Fall hätte ich mir den Anblick der Berge entgehen lassen wollen.

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Später strolche ich noch ein wenig durch die Gegend und kehre am frühen Abend in mein Inn zurück

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Und da die Fahrt auf den Mount Washington nun nicht wirklich etwas war, was mich ängstlich gemacht hat, steht mein heutiges „Do one things a day that scares you“ noch aus. Ich beschließe, mein Schweigeseminar zu unterbrechen, schnappe mir mein iPad und setze mich in die kleine Bar. Es dauert nicht lange und es gesellen sich zwei Paare zu mir. Ein junges Pärchen aus London. Ein weiteres, er Amerikaner, sie Chinesin, hat in Japan gelebt und es gehasst und ist jetzt gemeinsam mit ihrem Mann in Florida zu Hause. Auch sie sind vor dem Hurrikan geflohen.
Später kommt noch ein Ehepaar ebenfals aus England dazu. Es entspinnt sich eine interessante Diskussion über den Brexit. Der jüngere Engländer hat dafür gestimmt und fragt mich, ob ich nicht auch die DM wieder haben möchte. Verwundert schaue ich ihn an und kann es nicht lassen, ihn zu fragen, was er beruflich macht. Nichts – antwortet er mir, er hat seine Leidenschaft für eine Job noch nicht gefunden. Seine Freundin geht arbeiten …
Das andere Pärchen aus London hat gegen den Brexit gestimmt. Er hat lange für die EU in Brüssel und Luxemburg gearbeitet, sie lehrt an der Oxford Universität und wir tuscheln leise, damit uns keiner hört, wie enttäuscht wir waren, wie klein der Campus der bedeutenden Harvard Universität ist.
Mit der Chinesin unterhalte ich mich über Kunst und das es eines ihrer Hobbies ist, in europäischen Metropolen in die Museen zu gehen und zu schauen, welche Beutekunst aus China ausgestellt wird. Hier bin ich zu wenig sattelfest, um beantworten zu können, was ist Beute, was Ankauf oder Geschenk.
Später beginnt das TV Duell zwischen Clinton und Trump. Bereits nach der erstem Frage, sind wir uns einig, welcher Kandidat die  professionelleren  Antworten hat.
Zeit Gute Nacht zu sagen, morgen geht es wieder on the Road. Der Acadia National Park wartet auf mich – 400 Kilometer entfernt von hier ….

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