Zeitig am Morgen stehe ich am Bahnsteig in Parnell. In wenigen Minuten wird sich der Panoramazug von Auckland nach Wellington in Bewegung setzen.
Und während die Lokomotive recht historisch anmutet, sind die wenigen Waggons des Zuges nagelneu. Große Fenster ermöglichen einen herrlichen Panoramaausblick, die Sonne strahlt und es verspricht ein schöner, wenn auch langer Tag zu werden, denn die Zugfahrt über 680 Kilometer dauert 12 Stunden.

Doch zunächst bin ich ein wenig enttäuscht, denn ich habe nur einen Gangplatz bekommen. Auch meine Nachfrage wird negativ beschieden. Es ist Ferienzeit in Neuseeland und der Zug voll ausgebucht. Auch der erhoffte halbstündige Stopp im Nationalpark fällt aus. Statt auf halber Strecke dort im Café einen kleinen Imbiss zu nehmen, können wir uns im Bordkiosk verpflegen.

Meine Sitznachbarin ist eine ältere, sehr sympathische Dame. Sie fährt nach dem Besuch ihrer Tochter und ihrer Enkelin in Auckland nun wieder nach Hause. Auf meine Frage, wie sich die beiden Städte unterscheiden, antwortet sie trocken „Auckland benimmt sich als die Hauptstadt, die Wellington ist“.
Später vergnügt sie sich damit, dass ich das nuschelnde Englisch des Zugbegleiters nicht verstehe und übersetzt für mich die Hinweise auf die zu erwartenden Höhepunkte der Strecke. Und die gibt es reichlich.

Nachdem wir den Großraum Auckland verlassen haben, führt unsere Fahrt eine Weile am längsten Fluss Neuseelands, dem Waikato River, entlang.Meine Nachbarin erklärt mir, dass wir RUNTER nach Wellington fahren und das meint sie ganz wörtlich, denn allein zwischen dem Whanganui River Valley, das wir gerade durchquert haben und dem vor uns liegenden Vulkanplateau liegen 132 Meter Höhenunterschied, die der Zug zu überwinden hat. Wir fahren ein in die Raurimu Spirale und meine Sitznachbarin amüsiert sich königlich, denn ich halte ein wenig die Luft an. Auf 6,8 Kilometer schlängelt sich der Zug auf der in 1898 !!! gebauten Spirale vorsichtig nach unten. Sie ist so breit wie die Schienen, rechts und links von uns gähnt der Abgrund. Was für eine technische Leistung.

Mit großer Freude in der Stimme kündigt unser Zugbegleiter die nächste Attraktion, den Mt. Ruapehu an. Der Berg ist über eine halbe Million Jahre alt und mit 2.797 Metern der höchste auf der Nordinsel. Die Besonderheit heute: er zeigt sich und seinen eisbedeckten Gipfel in voller Schönheit. Meine Nachbarin verrät mir, dass er sich größtenteils in Nebel hüllt und auch sie ihn das erste Mal im hellen Sonnenschein betrachten kann.

Das nächste Tal auf unserer Reise ist der Lieblingspunkt unseres Zugbegleiters, was er uns nicht oft genug sagen kann und was auch absolut seine Berechtigung hat.

12 Stunden sind wirklich lang und während ich emails beantworte, Fotos anschaue, ein Buch lese, etwas schlafe, schaut meine Nachbarin entspannt und ununterbrochen aus dem Fenster. Ich frage sie, warum sie denn nicht lieber das Flugzeug nimmt. Für die regelmäßigen Besuche in Auckland wäre das doch viel schneller und auch preiswerter. Doch sie lächelt nur und zeigt nach draußen „Das alles würde ich doch verpassen“. Was für ein Geschenk, so im „Jetzt“ sein zu können
Es ist schon dunkel, als wir Wellington erreichen und unsere Wege trennen sich.

Heute ist mein Glückstag, denn ich muss nach dem Abwerfen des Rucksacks nicht allein durch die Stadt schlendern. Christina holt mich ab. Wir beide kennen uns noch nicht, doch uns verbindet der Podcast meines Coaches Thomas Reich. Als ich ihm erzählte, dass ich nach Neuseeland reise, meinte er in seiner frischen Hamburger Art: „Moment mal, da lebt doch die Christina, die meinen Podcast hört“. Tatsächlich vernetzt er uns per email und schon stehen wir uns gegenüber. Sie ist gebürtige Neuseeländerin, das akzentfreie Deutsch hat sie ihre Mutter gelehrt, die aus Deutschland stammt. Beim Abendessen tauschen wir uns intensiv aus, was ich aus vollem Herzen genieße. Die Zeit in Neuseeland war doch bisher sehr ruhig, so dass ich mich fast sorge, Christina mit meinem Redeschwall zu überfallen. Doch alles ist gut, nach dem Essen zeigt sie mir den Hafen und die kleine Innenstadt und ich verstehe, was sie damit meint, dass hier jeder jeden kennt. Wir verabschieden uns herzlich und wer weiß, vielleicht kommt sie ja mal zum Gegenbesuch nach Leipzig.

Einen ganzen Tag habe ich, um Wellington auf den Zahn zu fühlen, denn morgen geht schon meine Fähre auf die Südinsel.
Es ist kühl und regnerisch als ich über die City to Sea Bridge spaziere. Sie verbindet den Hafen mit der Innenstadt und ich mag die Kunstobjekte, mit der sie gestaltet wurde.

Für das berühmte Nationalmuseum Te Papa ist es noch zu zeitig und so geht es zum Frühsport erst einmal hoch auf den Mt. Victoria, dem Hausberg von Wellington. Der Ausblick auf den Hafen ist grandios und weil ich mich beim Abstieg ein wenig verirre, wird es doch eine recht ausgedehnte Fitness-Einheit.

Im Te Papa Tongarewa fällt mir die Auswahl schwer. Auf sechs Etagen findet man hier alles zur Geschichte des Landes, zur Maori-Kultur, Geografie bis hin zu Flora und Fauna. In einem speziellen Raum kann man sogar ausprobieren, wie sich ein Erdbeben anfühlt. Darauf verzichte ich allerdings. Hätte ich gewusst, dass ich kurze Zeit später auf Hawaii diese live erlebe, dann wäre dies eine gute Vorübung gewesen.
Doch stattdessen beschränke ich mich auf die Geschichte der Maori und ihre Kunst und Kultur und verbringe allein damit mehr als zwei Stunden.
Der Blick auf die Uhr mahnt mich – wieso habe ich mir eigentlich einen so engen Zeitplan gesetzt – und ich verlasse das Museum.

Bei meiner Runde durch die Stadt sehe ich, wovon Christina mir gestern schon berichtet hat: die Stadt ist im Umbruch. Ein Teil der Geschäfte steht leer, ein weiterer Teil wird gerade saniert. In der „Old Bank Arcade“ – einem zauberhaften historischen Einkaufszentrum – gönne ich mir einen Kaffee und einen Blick auf die Goldene Uhr, die sich zur vollen Stunde mit musikalischer Untermalung öffnet. Letzteres habe ich leider gerade verpasst und dann geht es auch schon weiter.

Der Sitz der neuseeländischen Regierung sieht aus wie ein Bienenstock und heißt entsprechend auch so. Der Premierminister sitzt ganz oben im 10. Stock, darunter verteilen sich neben Büros auch Cafés und Schwimmbäder.

Doch vielmehr noch interessiert mich die Old St. Paul’s Church. Sie ist nicht nur die älteste Kirche Wellingtons, sondern auch die einzige neugotische Holzkirche der Welt. Zwar finden hier keine regelmäßigen Gottesdienste mehr statt, sie ist eher ein Museum, doch, wenn der eigene Pfarrer mitgebracht wird, steht sie für Trauungen oder andere Festlichkeiten zur Verfügung.

Vorbei an einer Reihe historischer Gebäude erklimme ich den Botanischen Garten. Verblühende Rosen gehen verschwenderisch mit ihrem Duft um.

Gedenkkreuze erinnern auch hier an die Gefallenen aus dem 1. Weltkrieg.

Doch besonders faszinieren mich eine Reihe von schwarzen Granitstufen, auf denen ich von Body zu Soul wandle

 

und dazu den Spruch auf dem Gedenkstein daneben vor Augen habe:
Without death, there is no life, Without shadow, there is no sunlight (Browne) Eine wunderbare Denkanregung, die ich mit in den historischen Pub nehme, in dem ich den Abend ausklingen lasse…