Bye, bye Kambodscha. 10 Tage sind vergangen, seit ich von Singapur nach Kambodscha gereist bin. Ich sitze auf dem Beifahrersitz eines Mini-Vans – hinter mir sechs schlafende Backpacker-Jungs. Wir sind auf dem Weg von Siem Reap auf die Insel Don Det in Laos.
Nein, Laos liegt nicht am Meer, doch an der Grenze zwischen Kambodscha und Laos verzweigt sich der Mekong so sehr, dass die Landschaft dort „4000 Inseln“ genannt wird und auf eine davon bin ich unterwegs. Sechs von acht Fahrtstunden liegen noch vor uns. Reichlich Zeit, um in meinen Gedanken zurückzuwandern …
Größer könnten die Kontraste kaum sein. Ich erreiche Phnom Penh, die Hauptstadt Kambodschas, am frühen Nachmittag. Es ist laut, sehr laut. Autos und Roller parken die Fußwege zu, schwer sich durchzuschlängeln. Von überall her ruft es „Tuk Tuk Mam – Tuk, Tuk? Mir ist es zu heiß, ich bin müde und wohl auch etwas gereizt. So fliehe ich in eine Tempelanlage, um einen Moment die Ruhe zu genießen. Schon steht der nächste Fahrer vor mir: Do you want to see the sunset? Nein – will ich nicht. Gleichzeitig ist Jerry, wie er sich selber nennt, sehr sympathisch und ich hab am nächsten Tag sowieso noch nichts vor und so verabreden wir uns zu einer Tour zum Silk-Village. Hier gibt es alles zum Thema Seidengewinnung – und verarbeitung zu sehen.
Ich schlendere noch ein wenig die Uferpromenade entlang, nehme die Atmosphäre auf und bin froh, am Abend mein Hotel zu erreichen. Morgen ist auch noch ein Tag …
Und der beginnt mit meiner Tuk-Tuk-Fahrt zu der Seideninsel auf dem Mekong. Meine Frage, ob er jemals etwas anderes tun wolle, als Tuk-Tuk zu fahren, verneint Jerry. Für ihn bedeutet es, frei zu sein. Das ist genau sein Ding. Mit meiner Fahrt heute kann er seine überfällige Miete für sein Zimmer bezahlen. Später erfahre ich, dass viele der Fahrer aus den Dörfern nach Phnom Penh gekommen sind, um Geld zu verdienen, das sie dann direkt nach Hause schicken. Sie selbst schlafen nachts in ihrem Tuk-Tuk. Und schon hört sich das „Tuk Tuk Mam?“ nicht mehr ganz so aggressiv an. Kambodscha zählt noch immer zu den ärmsten Ländern der Welt ausserhalb Afrikas und die Regierung Kambodscha zu den korruptesten der Welt. Die regierende Partei belegt alle 58 Sitze im Parlament. Die nächsten Wahlen finden im Juni statt. Hoffnung auf eine Veränderung gibt es jedoch wenig.
Doch jetzt ist erst einmal Seide dran. Jerry fährt mich zu einer Farm, in der die Seidenraupen gezüchtet werden. In ihrer Wachstumsphase werden die kleinen Raupen mit Unmassen von Maulbeerblättern – ihrer Lieblingsspeise – gefüttert. In der Zeit bilden sie um sich herum einen gelben länglich-ovalen Kokon, der einem kleinen Wollknäuel ähnelt und aus dem ein einziger bis zu 900 Meter langer Faden gezogen werden kann.
Nächste Station ist die Seidenweberei. Hier wird der hauchdünne Faden verarbeitet, kompliziert ist das Muster, langwierig der Prozess. Gefärbt wird ausschließlich mit organischen Farben. Die Frau des Hauses zeigt mir die Pflanzen, die dafür verwendet werden. Nachhaltige Handarbeit – nicht mit Geld zu bezahlen und gleichzeitig kostet der Schal, in den ich mich verliebt habe, nur 5 Dollar und steht in keinem Verhältnis zu der Arbeit, die in ihm steckt.
Am nächsten Morgen bringt mich ein Tuk Tuk zum Fährhafen. Für die nächsten vier Tage gehe ich an Bord eines Fluss-Schiffs von Phnom Penh nach Siem Reap. Mit mir reisen 37 Passagiere aus den USA, Kanada, Großbritannien, Frankreich, Schweiz, Österreich und Deutschland. Zunächst gehen wir direkt wieder an Land, um mehr über Kambodscha und seine Hauptstadt zu erfahren.
Wir beginnen mit der jüngsten Geschichte des Landes – der Schreckensherrrschaft von Pol Pot und der Roten Khmer von 1975 bis 1979. Dazu besuchen wir die Killing Fields und das Prison 21 Gefängnis. Wir sehen die erschütternden Mahnmale des Völkermordes: 2 Millionen Menschen wurden in dieser Zeit bestialisch getötet – ein Viertel der Gesamtbevölkerung. Die meisten davon waren Intellektuelle: Ärzte, Lehrer, alle die eine Brille trugen … Die Idee Pol Pots war es, einen radikal-kommunistischen Bauernstatt zu erschaffen. Dafür vertrieb er alle Städter aufs Land, um sie Reis anbauen zu lassen. Städte wie Phnom Penh oder Siem Reap wurden zu Geisterstädten. Wer mehr darüber erfahren möchte, dem empfehle ich den Film „Killing fields“.
Unter diesem Trauma leidet das Land noch heute unfassbar. Es gibt niemanden, der nicht in irgendeiner Form davon betroffen ist. Mein Guide, 1981 geboren, berichtet von seinem Vater, der zu keinerlei liebevollen Emotionen seinem Sohn gegenüber in der Lage war, wo Strenge und Kälte an der Tagesordnung war. Er will es jetzt besser machen, anders, seinem 10 Monate alten Kind die Liebe schenken, die es zum Leben braucht.
Am Nachmittag sehen wir uns den Königspalast an. Kambodscha ist heute noch eine konstitutionelle Monarchie. Ob der König in seinen Gemächern in Phnom Penh weilt, erkennt man an der blauen Fahne, die dann im Hof des Palastes gehisst wird.
Später wandeln wir durch das Nationalmuseum, das die weltweit umfangreichste Sammlung von Khmer-Kunst beinhaltet.
Im herrlich angelegten Garten im Innenhof lässt es sich wunderbar träumen und nach dem aufwühlenden Vormittag entspannen.
Zurück an Bord der „Jahan“ beziehe ich meine Kabine für die nächsten vier Nächte.
Am nächsten Morgen sehe ich die Landschaft an mir vorbeiziehen. Ich habe überhaupt nicht bemerkt, dass sich das Schiff in der Nacht in Bewegung gesetzt hat.
Und schon gehen wir nach dem Frühstück wieder an Land und besuchen das Dorf Ondaung Russey. Besonders beeindruckt mich hier „Mr. Spider-Man“. Mit seinen 67 Jahren klettert er noch jeden Tag, morgens 3 Uhr und nachmittags 3 Uhr auf 21 Zuckerpalmen. In der Nacht werden die Früchte angeschnitten und dann läuft der Sirup der Palmen 12 Stunden lang in die aufgehängten Kannen. Trotz der schweren Arbeit ist der Bauer glücklich darüber, hier gemeinsam mit seiner Familie leben zu können und für sie zu sorgen. Seine Fröhlichkeit ist ansteckend und das gesamte Dorf ein beeindruckendes Beispiel dafür, wie Gemeinschaft funktioniert.
NGOs – also Nichtregierungsorganisationen – arbeiten für gemeinnützige Zwecke und unterstützen zumeist soziale oder ökologische Projekte. Eines davon, die „Green School“ in Kampong Tralach besuchen wir am Nachmittag. Obwohl es eine Schulpflicht in Kambodscha gibt, ist es vielen Kindern vor allem auf dem Land, nicht möglich diese auch zu besuchen. Zu weit entfernt oder kein Geld für die Schuluniform sind Gründe dafür. Um die Kinder aus der Umgebung trotzdem unterrichten zu können, wurde die „Green-School“ gegründet. 285 Kinder lernen hier Englisch, Khmer und Computer. Unsere Gruppe wird fröhlich begrüßt und kaum haben wir uns versehen, spielen wir mit den Kids Tabu und haben gemeinsam viel Freude miteinander.
Später dürfen uns die Kinder interviewen und ihr Englisch an uns ausprobieren. Es gibt keinerlei Berührungsängste und so lernen wir voneinander.
Angkor Ban – ein zauberhaftes Dorf mit einem wundervollen Tempel – besuchen wir am nächsten Tag. Wir sehen den Bewohnern bei ihrer Arbeit zu und dürfen auch in eine der Hütten hinaufklettern, um sie uns genauer anzusehen. Traditionell stehen hier die Hütten alle auf Stelzen, um das alljährlichen Hochwasser in der Monsun-Zeit zu überstehen. Regelmäßig schwillt der Mekong in dieser Zeit an und führt riesige Wassermassen mit sich. Die Menschen in dieser Region leben vom Fluss, sei es vom Fischfang oder von der Fruchtbarkeit der Felder durch die Überschwemmungen. Sie schauen mit Sorge nach China oder Laos. Dort werden grosse Staudämme gebaut, so dass in Zukunft deutlich weniger Wasser in Kambodscha ankommen wird.
Unser letzter Tag auf der Jahan startet mit einem Landgang zu Wat Nokor, einem farbenfrohen Tempel aus dem 12. Jahrhundert. Auch hier sind wie so oft Buddhismus und Hinduismus vereint.
Später halten wir an einer ein Kilometer langen Bambusbrücke. Es ist eine von vielen, die jedes Jahr vom Monsun weggerissen und kontinuierlich wieder aufgebaut wird.
Unseren letzten Stop legen wir im Chiro Village ein und besuchen das NGO-Projekt OBT (Organization for Basic Training). Ein deutscher Student begrüßt uns, um uns das Projekt vorzustellen. Auch hier geht es in erster Linie um schulische Ausbildung, aber auch um Musik und Tanz. Die Kinder und Jugendlichen haben viel Freude am Unterricht.
Finanziert wird das Projekt durch einen Homestay, der von freiwilligen Helfern betrieben wird. In einigen Bungalows werden dafür Übernachtungsmöglichkeiten angeboten. Außerdem gibt es eine Bienenfarm, um Honig zu produzieren. Extra dafür wurde ein riesiges Sonnenblumenfeld angelegt – wir kommen aus dem Staunen nicht heraus. Ein weiteres Projekt beschäftigt sich damit, aus gepressten Plastikflaschen und Sand Ziegel zu produzieren, die sich in Farbe und Gewicht nicht von den „normalen“ Ziegelsteinen unterscheiden.
Unfassbar schnell sind die letzten vier Tage vergangen und bei einem Farewell Dinner verabschieden wir uns von unserem Schiff.
Herzlichen Dank an den Connoisseur Circle, der mir diese vielseitige Reise mit der „Jahan“ ermöglicht hat
Viele interessante und wertvolle Begegnungen habe ich hier gehabt und so freue ich mich sehr, zwei Tage später in Siem Reap einen Abend mit einem wunderbaren Ehepaar aus der Schweiz zu erleben und zwei amerikanische Freundinnen aus den USA in Luang Prabang zu treffen.
Die nächsten zwei Tage sind den Tempelanlagen von Angkor Wat und seiner Umgebung gewidmet. Fortsetzung folgt …
Claudia Ott
Wunderbare Bilder und schön geschriebener Blog – ich werde bestimmt regelmäßig reinschauen!
Yvonne
Das freut mich sehr und vielleicht wird in den 11 Tagen auf der Independent Voyager sogar ein Buch draus 🙂 Zeit zum Schreiben habe ich ja dann genug
Liebe Grüße Yvonne Simon
Sylvia
Es ist irre, liebe Yvonne. Aber du hast mich mit deinem Blogeintrag mitgenommen auf eine Reise zurück in die Vergangenheit. Er erinnerte mich an die Tage meiner Kindheit, während der im Fernsehen Bilder über die unsäglichen Grausamkeiten des Pol Pot-Regiems über den Bildschirm flimmerten.
Ich kann mir gut vorstellen, was das mit den Menschen gemacht haben muss, die diese Grausamkeiten am eigenen Leib oder in ihrer Familie oder Nachbarschaft miterleben mussten. Kein Wunder, dass sie sich einen „Abschirm-Panzer“ zugelegt haben. Kein Wunder, dass sie sich das Fühlen abgewöhnt haben, um überleben zu können. Ähnliche Auswirkungen kennen wir ja bei den Menschen, die den 2. Weltkrieg miterlebt haben – wie viele „Kriegskinder“ beklagen die Gefühlstaubheit ihrer Eltern …
Wie glücklich können wir darüber sein und wie dankbar dafür, dass wir solch schreckliches Leid nicht am eigenen Leibe erfahren mussten. Wir müsse wirklich alles dafür tun, dass es so bleibt!
Nachdenkliche Grüße
Sylvia