Mein heutiges Ziel ist es, den südlichsten Punkt der USA zu erreichen. Dazu biege ich auf eine Landzunge ein. War die Umgebung bisher vulkanisch schwarz, so gleicht sie nun dem Weg zum Kap Arkona. Saftig grünen Wiesen säumen den Weg, weiße Wolken am hellblauen Himmel lassen Ostseefeeling aufkommen. Angekommen an meinem Ziel beobachte ich ein paar junge Männer, die todesmutig von den Klippen ins tief unter ihnen liegende Meer springen. Wie auch immer sie die Steilküste wieder erklimmen werden, eine Mutprobe war es auf jeden Fall.
Ganz in der Nähe befindet sich der Green Sand Beach, benannt nach dem olivfarbigen Sand. Während ich am Ende der Straße aus meinem Auto klettere, ahne ich noch nicht, dass unweit von hier, ein Erdbeben der Stärke 6,9 für eine Minute die Insel erschüttert hat. Es ist das stärkste Beben seit 1974, seine Ausläufer sind bis nach Honolulu zu spüren. Felsbrocken lösen sich im Vulcano Nationalpark. Die Besucher werden evakuiert.
Doch wir merken hier nichts davon. Einheimische bieten Ladeflächen auf Allradfahrzeugen als Shuttleservice zum vier Kilometer entfernten Beach an. Ich kaufe mir ein Wasser an dem einzigen Stand, setze mir mein Cape gegen die Sonne auf und will loslaufen. „Überlegen Sie sich das gut“ warnt die Verkäuferin mich und will mir den Shuttle schmackhaft machen. Ich weiß, worauf ich mich einlasse, antworte ich freundlich. Das glaube ich nicht, sagt die Frau. Doch die kennt mich schlecht. Das hier ist ein echter Spaziergang. Noch dazu einen, den ich sehr genieße.Dass nicht jedes Fahrzeug für die Strecke geeignet ist, sehe ich gleich zu Beginn meiner Wanderung.
Immer entlang an der Küste führt der sandige Weg durch grüne Dünen, über kleine Berge und bietet einen faszinierenden Ausblick. Um nichts in der Welt würde ich tauschen wollen mit den zusammengepferchten Menschen auf der Ladefläche eines Jeeps, deren Bandscheiben bei jedem Hügel vor Schmerz aufjaulen. So ist es schön und so kann es bleiben, denke ich mir, bis ich den Strand erreiche…Darauf hat mich keiner vorbereitet, denke ich weiter, und bekomme große Augen.
Um in die Bucht zu kommen, gilt es einen steilen Abhang hinunterzuklettern.
Ich schaue mir das ganze von nahen an. Ungefähr 50 oder 60 Leute entdecke ich unten am Strand. Irgendwie müssen die ja auch dahin gekommen sein. Manche haben Klappstühle dabei und Picknickkörbe. Ich finde einen schmalen Abgang, in dem man sich weitestgehend rechts und links festhalten kann, versichere mich bei zwei jungen Mädchen, dass man das auf jeden Fall überlebt und klettere todesmutig nach unten.
Und tatsächlich ist die Bucht einzigartig. Mit großer Kraft werfen sich die Wellen an den Strand, der Sand schillert olivfarben in der Sonne und die ausgewaschene Felsformation gibt dem ganzen einen besonderen Reiz. Ich halte es eine Weile hier aus, doch Strandliegen macht mir einfach keinen Spaß und so wandere ich einen anderen Weg nehmend wieder zurück. Der Stand ist leider schon abgebaut, so dass ich von der Schönheit des Weges leider nicht schwärmen kann.
Ich erreiche mein kleines Häuschen in the middle of nowhere. Es ist herrlich ruhig hier, mitten auf einer riesigen Wiese steht das Mini-Domizil, eine umlaufende Terrasse lädt zum Verweilen ein. Doch so recht kann ich es nicht genießen, denn beim Abendessen in einer kleinen Kneipe hier im Ort habe ich von dem Erdbeben gehört und den Vulkanausbrüchen. Von einem möglichen Tsunami ist die Rede und von der Schließung des Flughafens. Zum ersten Mal auf meiner Reise komme ich an meine mentalen Grenzen. Ich habe keine Ahnung, was zu tun ist. Ab übermorgen habe ich ein Quartier direkt am Volcano Nationalpark gebucht. Wieviel Sinn macht das? Soll ich die Insel lieber verlassen? Mit einer guten Portion Halbwissen schlafe ich beunruhigt ein.
Am nächsten Morgen informiere ich mich auf den offiziellen Webseiten der Insel. Es hat erste Evakuierungen gegeben in dem Bereich, wo die Lava Straßen und Häuser zerstört. Endlich begreife ich, dass sich das nicht direkt am Vulkan abspielt, sondern das der unterirdische Weg der Lava weit in den Osten der Insel führt, der betroffen ist. Erste Nachrichten aus Deutschland erreichen mich: „Geht es dir gut?“. Sie haben Bilder im Fernsehen aus der betroffenen Region gesehen, die ich hier noch nicht kenne. Hier ist alles ruhig und trotzdem fühle ich mich wie gelähmt. Meine Gastgeberin des B&B in Volcano meldet sich. Hier ist alles ruhig, ihrem Aufenthalt steht nichts im Weg.
Ich fahre zum Black Beach, der dafür bekannt ist, dass grüne Meeresschildkröten brüten. Tatsächlich bekomme ich diese zu sehen und erinnere mich an John Streleckys „Café am Rande der Welt“. Er lässt seine Protagonistin von einer wichtigen Lebenserfahrung berichten: Als sie auf Hawaii war, hat sie eine grüne Meeresschildkröte beobachtet, die, obwohl es gar nicht so aussah, viel schneller im Meer vorankam, als sie selbst. Nach einer Weile erkannte sie, dass sich Schildkröte den Wellen anpasst, um die Bewegung des Wassers für Ihre Fortbewegung zu nutzen. Sie kämpft nie gegen die Wellen an, sondern nutzt sie für sich. So spart sie eine Menge Energie. Wenn wir in unserem Leben nicht darauf ausgerichtet sind, was wir gern tun möchten, können wir unsere Zeit mit einer Menge anderer Energie verschwenden. Wenn sich dann die Gelegenheit bietet, das zu tun, was man tun möchte, hat man möglicherweise nicht mehr die Kraft oder Zeit dazu.
Wie wahr das tatsächlich ist, habe ich erkannt, seitdem ich mich selbst auf das konzentriere, was ich gern machen möchte. Meine Weltreise ist einer von fünf Herzenswünschen, auf die ich mich fokussiere und die ich tatsächlich in relativ kurzer Zeit umgesetzt habe.
Nachdenklich fahre ich zurück zu meinem kleinen Häuschen im Nirgendwo, koche mir einen Kaffee und setze mich mit einem Buch auf die Terrasse. Den Weg der Dinge kann ich heute sowieso nicht mehr ändern. Morgen sieht die Welt ganz anders aus.
Am nächsten Morgen fahre ich in die Mitte der Insel. Tatsächlich sind alle Wege, die in den Nationalpark führen, mit Schranken versperrt.
Ich halte an der Kilauea Lodge, einem gemütlichen Hotel, dessen Hamburger Besitzer früher bei der Serie Magnum als Visagist gearbeitet hat.
Seine liebenswerte hawaiianische Frau begrüßt mich. Den Kaffee gibt es auf Kosten des Hauses, denn sie schließen gleich bis zum Abendessen. Die Gasleitung muss repariert werden. Gerade bekam sie auch einen Anruf, dass der Nationalpark heute Mittag wieder öffnet und bis dahin – es ist 10 Uhr morgens – würde sie mir im benachbarten Weingut eine Verkostung empfehlen.
Dafür ist es mir dann doch viel zu früh. Ich biege mit meinem Auto zum Haupteingang des Nationalparks ein. Zwei Frauen, die offensichtlich für die Sicherheit zuständig sind, bedeuten mir harsch, wieder zu wenden. Ich fahre rechts ran und lächle freundlich. „Ich möchte doch nur eine Frage stellen.“ „Ja, aber dann fahren sie wieder“. „Stimmt es, dass der Park 12 Uhr wieder öffnet“. „Davon wissen wir nichts und nun fahren sie endlich wieder“. „Ja, aber woher soll ich denn meine Information bekommen“ „Nutzen sie die sozialen Netzwerke“ knallt sie mir entgegen und beendet damit das Gespräch. Genauso wütend wie die Beiden knalle ich nun auch meine Autotür wieder zu. An der Situation ändert es nichts. Achselzuckend fahre ich los. Bis Hilo, in die Hauptstadt der Insel, ist es nur eine Dreiviertelstunde und ich habe noch genug Benzin im Tank.
In Hilo suche ich vergeblich ein Stadtzentrum. Es gibt eine Hauptstraße, auf der sich Läden, Cafés und Restaurants befinden – that’s it … Ich streife durch Lili‘uokalani Gardens, einer zauberhaften Parkanlage direkt an der Bucht, versuche mein Glück bei zwei Cafés, die beide am Sonntag geschlossen haben und … verlasse Hilo wieder.
Weiter geht es Richtung Norden zu den Kahuna Falls, die in einen kleinen Park eingebettet sind, den ich gut in einer halben Stunde umrundet habe.
Der eigentliche Höhepunkt des Tages folgt jetzt: der Hawaii Tropical Botanical Garden. In einem Valley direkt am Ozean angelegt, ist die Vielzahl der tropischen Pflanzen überbordend. Ich sehe alles wieder, was mir an auf meiner Reise bisher begegnet ist: riesige Ingwerstauden
Pfeffersträucher, ein Dschungel aus Palmen, wild wachsende Orchideen.
Es ist ein Fest für die Sinne. Dazwischen Wasserfälle, versteckte Brücken über kleine Bäche und immer wieder der Blick auf das Meer.
In der Bucht unweit vom Strand entdecke ich die Twin Rocks im Wasser, um die sich – wie könnte es anders sein – eine Legende von zwei Liebenden rankt.
Voll von Eindrücken und von der Sonne aufgetankt, fahre ich zurück nach Volcano Village. Tatsächlich hat der Nationalpark nun geöffnet. Zumindest die Zufahrt zu der Besucherplattform des Kilauea Kraters.
Das lasse ich mir natürlich nicht entgehen und bekomme einen ersten kleinen Eindruck von der Landschaft. Der Krater raucht in der Ferne. Kaum vorstellbar, dass man normalerweise bis an den Kraterrand spazieren kann.
Doch das geht heute leider nicht, alle Wege ringsum sind versperrt.
So hole ich mir meinen Schlüssel für mein Quartier der nächsten beiden Tage bei Joan, einer zauberhaften älteren Lady ab. Sie ist „keinen Tag älter als 39“ und selbst auch unzufrieden mit dem geschlossenen Nationalpark, da sie jeden Tag ihre Runden dort dreht. Ich bewundere den liebevoll eingedeckten Tisch in dem großen Wohnraum und frage, ob es etwas zu feiern gibt. „Aber nein, ich lade alle meine Gäste morgens immer zum Frühstück ein.“
Wie wunderbar – sie verwaltet 8 Ferienhäuser und morgen früh erwartet sie 7 Gäste zum Frühstück. Ich kann es kaum erwarten.
Doch zunächst gibt es – nach einem ausgiebigen Dinner in der Kilauea Lodge – noch einen nächtlichen Blick auf den rauchenden Vulkan. Der Himmel hat sich zugezogen, es ist regnerisch und kalt. Umso beeindruckender ist der Lichtkegel, der aus dem inneren des Vulkans scheint.
Pünktlich treffen wir alle bei Joan zum Frühstück ein. Es duftet süß, denn es gibt frisch gebackene Waffeln mit Ahornsirup. So lassen zwei junge Frauen aus München, ein Pärchen aus Berlin und eines aus der Schweiz es sich gemeinsam mit mir schmecken. Ob ich denn das Erdbeben letzten Abend gespürt hätte? Nein – wieder schüttle ich den Kopf. Staunend höre ich zu, dass die beiden Frauen aufpassen, dass in der Nacht nichts über ihnen hängt, was runterfallen könnte. Das Pärchen aus München hat immer die Tasche mit den wichtigsten Papieren griffbereit. Bin ich zu leichtsinnig? Die Bilder auf dem großformatigen Fernseher in Joans Wohnzimmer sprechen eine beredete Sprache. Wir sehen, wie die Lava Autos wegschiebt, als wären es Spielzeuge. 39 Häuser sind bisher zerstört. Glücklicherweise sind keine Menschen verletzt. Gewarnt wird vor den giftigen Schwefeldämpfen, die die Lava mit sich bringt. Das ist alles nicht wirklich weit weg von uns.
Es regnet in Strömen, als ich mich auf dem Weg ins Besucherzentrum mache. Der Guide dort macht es kurz: 99,9 % des Parks sind gesperrt. Hier auf der Karte können Sie sehen, welche Bereiche zugänglich sind.
Ich kann das verstehen, keiner weiß, wie sich der Vulkan weiter verhalten wird und mir ist es auch bisher noch immer unverständlich, wie der Park am Tag des großen Erdbebens evakuiert werden konnte. Er ist einfach riesig und keiner möchte ein weiteres Risiko eingehen.
So spaziere ich zu den Schwefelbänken, deren Farben mich stark an Rotorua in Neuseeland erinnern, wandere durch einen verzauberten Wald, klettere über Vulkanfelder vergangener Jahre und auf einen Ausblick, von dem man normalerweise die beiden hohen Berge der Insel, den Mauna Kea (4205 m) und den Mauna Loa (4169 m) sehen kann. Der Mauna Kea darf theoretisch sogar als höchster Berg der Erde gelten, denn es ist nachgewiesen, dass seine Basis 5500 Meter tief im Meeresboden liegt und er damit eine stolze Gesamthöhe von 9700 Meter erreicht. Doch heute liegt alles im Nebel und ich werde die Insel verlassen haben, ohne einen Blick auf die mächtigen Schildvulkane geworfen zu haben, von denen der aktive Kilauea tatsächlich nur ein kleiner Ableger ist.
Später mache ich es mir im Haus gemütlich, lese entspannt ein Buch, als die Erde sich bewegt. Mir wird himmelangst, so fühlt sich also ein Erdbeben an.
Ich schaue aus dem Fenster, was die Nachbarn machen. Alles ist ruhig. Vielleicht sollte ich doch mal nach meinen Papieren schauen, denke ich. Es wird eine unruhige Nacht – zumindest für mich. Denn als ich am nächsten Morgen beim Frühstück in die Runde frage, hat keiner etwas gespürt …
Die Tage hier waren intensiv und auch besonders und gleichzeitig bin ich doch irgendwie froh, als ich an Bord der kleinen Propellermaschine die Insel wieder verlasse …
Elke
Auch wenn dein Aufenthalt auf Hawaii nicht ganz so verlief, wie du ihn dir vorgestellt hast – bzw. er auf andere Art und Weise aufregend war 😎: es scheint ein ganz besonderes und auch wunderschönes Fleckchen Erde zu sein. Es würde mich sehr reizen, dort einmal hinzufliegen. Danke für die Anregung!