Kaum haben wir Bethlehem verlassen, umfängt uns die Wüste. Fasziniert betrachte ich die sich verändernde Umgebung, grüble , wie schwierig es für all die gewesen sein muss, in längst vergessener Zeit von Ägypten hierher zu wandern unter schwierigsten Bedingungen. Damals schon auf der Flucht – in dem Fall vor der ägyptischen Sklaverei- waren die Menschen jahrelang unterwegs. Wieviel Leid, wieviel Kraft, wieviel Tote, wieviel neues Leben – niemand vermag es zu zählen.
Wir stoppen an der Nullmarke des Meeresspiegels, von hier an „tauchen “ wir tiefer, bis wir mit 420 Metern am Ufer des Toten Meer die tiefste Stelle der Erde erreicht haben werden, die nicht von Wasser oder Eis bedeckt ist.
Doch zunächst kommen wir in Jericho an.
Nur vier Kilometer von der Jordanischen Grenze entfernt, ist sie mit 250 Metern unter dem Meeresspiegel nicht nur die tiefstgelegene Stadt der Welt, sondern wohl auch die älteste aller Siedlungen. Erste Spuren gehen auf das 10.Jahrtausend vor Christus zurück.
Wir schauen uns die Überreste der Siedlung an, die gute Chancen hat, demnächst zum Weltkulturerbe erklärt zu werden.
Westlich der Siedlung befindet sich der Berg der Versuchung Jesus, wo sich heute ein griechisch orthodoxes Kloster befindet . Gar eigenartig mutet die Seilbahn an, die direkt über der alten Siedlung zum Kloster führt – ein Versuch, den Tourismus anzukurbeln, der bisher nicht so recht fruchten will.
Unseren nächsten Stop legen wir am Fluss Jordan ein. Hier hat sich Jesus von Johannes dem Täufer taufen lassen – die Baptisten taufen im Erwachsenenalter, wohl keine schlechte Idee – und ich bin überrascht, wie schmal der Fluss hier ist.
Zwei Schwimmzüge und man ist in Jordanien. An beiden Ufern steigen die Menschen heute in das Wasser, tauchen und taufen sich und natürlich – fotografieren sich beide Seiten auch.
Eine Schulklasse singt Lieder, es ist ein unglaublich friedlicher Moment, den ich hier erleben darf – ein guter Platz zum verweilen und nachdenken. Sami gibt mir alle Zeit, die ich brauche und es fühlt sich gut an.
Wir fahren weiter zum Toten Meer, das in Wahrheit auch nur ein See ist und vom Jordan gespeist wird. 33 Prozent Salzgehalt lässt den auf das Wasser gelegte Körper einfach schwimmen. Den enthaltenen Mineralien sagt man Heilwirkung nach.
Der Strand wirkt ungastlich – grauer Schlamm, mit dem sich die Badegäste einreiben – bestimmt das Bild. Einige Frauen liegen regungslos auf dem Wasser. Das Fotomotiv mit dem Mann, der auf dem Wasser liegend Zeitung liest, bietet sich mir leider nicht.
Schnell tauche ich Füße und Hände in das so salzige Wasser -igitt, aber wenn es jung macht … und kurze Zeit später sind wir auf dem Rückweg nach Jerusalem.
Am Damaskustor verabschieden wir uns und ich tauche wieder in die Altstadt ein. Versuche, diese zu verstehen, die Heiligkeit zu spüren und scheitere daran , dass die ganze Stadt nur ein einziger Markt zu sein scheint. Das klappt allein also nicht. Ich spaziere zum Jaffator, buche zwei guided tours für den kommenden Tag und verlasse die Altstadt.
Mich zieht es nach Mea Shearim, dem Viertel in dem die ultraorthodoxen Juden unter sich bleiben wollen. Reisegruppen werden nicht geduldet, von Einzeltouristen wird angemessene Kleidung verlangt
Ich betrete das Viertel durch eine der Seitenstraßen und treffe bald auf die Einkaufsstraße des Viertels.
Es ist wie ein zurückversetzen in eine andere Zeit, eine Kulisse vielleicht aus den 40er Jahren. Die Männer tragen breite Hüte. Ihr Erkennungszeichen sind die gelockten Bärte. Verheiratete Frauen verstecken ihre Haare unter Kopftüchern.
Und doch entdecke ich Leben. Im Reiseführer steht , Smartphone und Internet sind verpönt. Doch auch hier schauen die jungen Leute auf den kleinen Bildschirm in ihrer Hand, tippen Nachrichten , haben Kopfhörer in den Ohren. Das Leben macht hier nicht halt. Keiner pöbelt mich an. Ich höre Musik und sehe moderne Geschäfte. Morgen werde ich von meinem jüdischen Reiseführer hören, auch Religion entwickelt sich…
Geschafft vom Tag zieht es mich zurück ins Hotel – zumindest ein Teil von mir. Der andere möchte in die Altststadt zurück , lecker Essen gehen, die Stimmung am Abend mitnehmen. Ziellos streife ich durch die Gegend und plötzlich stehe ich – weit nach 20 Uhr – noch vor der geöffneten Grabeskirche.
Ich kann nicht widerstehen, trete ein und stehe direkt – und ganz allein – am Salbungsstein Jesus.
Die Kirche ist riesig und in absolute Ruhe gehüllt – das werde ich erst am nächsten Tag richtig zu würdigen wissen.
Ich verzichte auf mein Reiseführer-Buch, gehe von Raum zu Raum, von Kapelle zu Kapelle. Verstehe wenig und bin doch fasziniert. 30 verschiedene Kirchen und Kapellen sind hier vertreten. Ich versuche mich zu erinnern , wieviel ich davon kenne – die armenische, die das Recht der ersten für sich in Anspruch nimmt, gefolgt von der äthiopischen , den ägyptischen Kopten, den griechisch und russisch Orthodoxen , den Katholiken. Alle halten hier ihre Gottesdienste ab, manche gar zur gleichen Zeit. Die Rituale weichen voneinander ab und plötzlich verstehe ich gut, warum schon seit osmanischer Zeit zwei muslimische Familien die Schlüsselgewalt besitzen. Mir geht das Bild eines großen Bürogebäudes, das von einem Verwalter betreut wird, nicht aus dem Kopf – zur Wahrung der Interessen aller.
Am neueröffneten Grab Jesus hat es in den letzten Tagen einen ökumenischen Gottesdienst gegeben – Hoffnung auch hier ? Dass ich mangels Reiseführer einfach so an diesem Grab vorbeischlendere , hülle ich in Schweigen.
Erfüllt mit Eindrücken und der Erkenntnis dass nichts bleibt, wie es war, trinke ich mein obligatorisches Glas Wein im Hotel bevor mir die Augen zufallen.
Silke Freudenberg
Liebe Yvonne,
es ist wunderbar, wie Du uns an Deiner so speziellen Reise teilhaben lässt.
Das was Du weißt über diese Orte in Verbindung mit dem was Du fühlst, ergibt einen besonderen Sinn. Dein Erleben breitet sich in mir aus und nimmt mich mit in die Erfahrung.
Ganz liebe Grüße zu Dir – in die Ferne
Silke