Nicht im Traum daran gedacht hatten wir, als wir den Termin für unsere 3 Tagesetappen von Freyburg nach Erfurt festgelegt hatten, dass es die heißesten Tage des Jahres werden würden.
Wir starten rucksackgeschultert und mit Wanderstöcken ausgestattet am frühen Samstagmorgen in der schönen Stadt Freyburg.
Hier wird auf Hochtouren bereits alles für das heute stattfindende Weinfest vorbereitet und so bedauern wir es bereits jetzt zutiefst, dass hier heute Etappenanfang und nicht Etappenende sein wird. Und leider ist es auch für einen Frühschoppen noch viel zu zeitig.
So wandern wir los in Richtung Großjena und Blütengrund. Die wunderbare Aussicht auf die Weinberge entschädigt uns für das entgangene Weinfest.
An der Stelle, an der Unstrut in die Saale mündet, gönnen wir uns die erste Rast bei einer großen Tasse Kaffee und setzen dann mit der Fähre über.
Bald erreichen wir die Domstadt Naumburg und erhalten im heute evangelischen Dom St. Peter und Paul freien Eintritt, denn wir sind ja Pilgerinnen.
Wir lernen etwas über die Geschichte des Domes, der die ehemalige Kathedrale des Bistums Naumburg ist und größtenteils aus der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts stammt. Nach der Reformation wurde 1542 mit Nikolaus von Amsdorf zum ersten Mal im Reich ein evangelischer Bischof eingesetzt. Allerdings verlor der Dom die Funktion des Bischofssitz bereits 1564 wieder.
Heute wird der Dom von einer Stiftung verwaltet – den Vereinigten Domstiftern von Merseburg, Naumburg und des Kollegiatsstiftes Zeitz und ist auf jeden Fall sehr sehenswert. Wir zünden traditionell Kerzen an, bewundern den Kreuzgang und die beeindruckende Architektur des Domes und fragen dann nach dem weiteren Verlauf des Pilgerweges.
Die erste Schwierigkeit zeichnet sich ab – die junge Frau an der Information kennt den Pilgerweg nicht und schickt uns Richtung Bad Kösen auf den Weg, den sie immer mit dem Auto fährt…
Viel zu spät erkennen wir, dass Naumburg nicht Durchgangsweg ist, sondern eher eine Art Schleife darstellt. Natürlich wollten wir den Naumburger Dom auf jeden Fall besichtigen, hätten wir allerdings vorher verstanden, dass wir auf dem gleichen Weg wieder aus der Stadt herauszugehen haben, wie wir hineingegangen sind, wären uns wohl ein paar Extrakilometer bei mittlerweile über 30 Grad im Schatten erspart geblieben. Doch irgendwann fällt dann aber doch der Groschen, wir nehmen noch einen weiteren Umweg in Kauf und klatschen uns gegenseitig ab, als wir in Frankenau endlich wieder auf den Muschelwegweiser stoßen.
So sehr in unser Gespräch vertieft, schrecken wir heftig zusammen, als sich eine Radfahrerin direkt vor uns aufbaut. Ihr beginnender Satz „Ich muss euch mal sagen“ – läßt sofort all unsere Sünden vor unserem geistigen Auge ablaufen. Aber sie beendet den Satz damit, „dass ihr die schnellsten Pilgerinnen seit, die ich jemals gesehen habe.“ Wir sind uns wohl am heutigen Tag mehrfach über den Weg gelaufen bzw. gefahren. So schwatzen wir ein wenig, während sie ihr Fahrrad neben uns laufend schiebt. Im nächsten Dorf hat sie ihre Pilgerherberge für heute erreicht. Dagegen liegen noch einige Kilometer vor uns.
Dörfer, Felder und Wälder wechseln sich ab. Zuckersüße saftige Mirabellen, saure Äpfel, und reife Birnen erfreuen uns am Wegesrand.
In Benndorf erleben wir einen echten Pilgermoment, als sich die Tür des angrenzenden Hauses öffnet und unsere Flaschen von einer warmherzigen Dorfbewohnerin mit kühlem, frischem Wasser gefüllt werden. Sie verspricht uns, in einer halben Stunde sind wir in Eckartsberga. Nach einem kritischen Blick auf die Karte scheint mir das aber zu schnell. Dass wir aber zusätzlich noch einen Abzweig verpassen, verdreifacht die verbleibende Strecke. Bleischwer sind die Füße auf dem Asphalt. Eng an der Leitplanke laufend, schützen wir uns vor den an uns vorbeibrausenden Autos. Kein Ende scheint in Sicht, kein Ort ist zu sehen. Wir werden zunehmend stiller und in uns gekehrter. Nach 34 km und mit letzter Kraft erreichen wir das Hotel am Markt in Eckartsberga. Und erfahren, Küchenschluss war soeben…
Die freundliche Besitzerin hat Mitleid – verwöhnt uns mit Salat und Getränken. Jetzt können wir schon wieder über uns lachen. Der erste Tag ist geschafft.
Am Sonntag führt uns unser Weg nach Buttelstedt. Entspannte 20 Kilometer liegen vor uns. Doch schon am Morgen ist der heiße Atem des Tages zu spüren. Getreu der „ Sendung mit der Maus“ – gehen wir als Stadtkindern der Frage nach „Wie sieht eigentlich eine Zuckerrübe aus“ und amüsieren uns herrlich dabei.
Wie hier in Oberreißen gönnen wir uns an fast jeder Dorfkirche eine kurze Rast und geniessen etwas Schatten. Die Hitze ist schier unerträglich.
Entsprechend geschafft sind wir, als wir die kleine Pension in Buttelstedt erreichen. Wir sind die einzigen Gäste und genießen das Haus für uns allein.
Nach der Küchenschlusserfahrung des vorherigen Abends, freuen wir uns riesig über die Pizzeria am Markt, in der das Leben tobt. Zwar müssen wir ein paar Minuten auf einen freien Platz warten, doch das leckere Essen entschädigt uns für alle Strapazen des Tages. Und nachdem wir sehr schnell an unserem Tisch mit den Einheimischen ins Gespräch kommen, taut auch an unsere Kellnerin etwas auf. Vom Tag geschafft, ist der Abend früh zu Ende. Wie Steine fallen wir in unsere Betten.
Am nächsten Morgen leistet uns unser Pensionswirt Gesellschaft beim Frühstück. Unumwunden gibt er zu, dass er als studierter Diplomsozialpädagoge empirische Studien über seine Gästen betreibt.
Das sich daraus entspinnende fast „Streit-„ Gespräch bietet später für meine Schwester und mich noch viel Diskussionstoff und findet erst sein Ende bei Teil 2 der „Sendung mit der Maus“ und unseren lustigen Studien über Strohballen auf dem Feld.
An einer Straußenfarm beachtlicher Größe vorbei –
– erreichen wir die Pilgerkirche in Stedten. Hier werden Pilger liebevoll aufgenommen und finden einen Schlafplatz in der Kirche. Wir genießen eine kleine Pause im Schatten, denn schon der Vormittag lässt ahnen , wie heiß es werden wird.
Ab jetzt führt der Weg schnurgerade ausschließlich Feld – und Wiesenwege entlang. Die Sonne brennt erbarmungslos vom Himmel. Stundenlang wandern wir allein, suchen den Schatten von Bäumen , den es immer seltener gibt und sind glücklich über einen Hochsitz, der in Hecken versteckt eine kurze Schattenverschnaufpause bietet.
Felder so groß wie Mondlandschaften lassen uns beide winzig klein erscheinen.
Wir hängen schweigend unseren Gedanken nach und freuen uns, endlich das nächste Dorf zu erreichen.
Auch in Wallichen steht den Pilgern die Kirche offen. Wir genießen die Kühle des Innenraums , stempeln uns gegenseitig unseren Pilgerausweis mit dem hier vorhandenen Stempel ab und erfreuen uns an den Engelwünschen:
Der Reiseführer verspricht, dass es nur noch ein Katzensprung weit bis Erfurt – Vieselbach sei. Hier wollen wir in den Zug steigen, um wenige Minuten später, Erfurt zu erreichen. Der Pilgerweg nach Erfurt ist durch den Bau der ICE Trasse unterbrochen und da ja nur die letzten 100 Kilometer bis Santiago zu Fuß zurückgelegt werden müssen, um die Compostela – die Pilgerurkunde – zu erhalten , haben wir auch kein schlechtes Gewissen , die 10 Kilometer bis Erfurt bei gefühlt mindestens 40 Grad mit der Bahn zu fahren.
Doch der Katzensprung erweist sich als Marathon. Zäh zieht sich der letzte Kilometer bis zum Bahnhof und ernüchtert stellen wir fest, dass wir fast eine Stunde warten müssen , bis der nächste Zug kommt. So setzen uns auf die kühlen Stufen der Bahnhofstreppe und kommen langsam wieder zu Kräften.
Die eigentliche Fahrtzeit beträgt weniger als zehn Minuten und schon stehen wir im quirligen Erfurt. Ungewohnt fühlt es sich an nach der ewigen Zeit in völliger Abgeschiedenheit. wieder mitten unter all den Menschen zu sein, die zielstrebig und vielleicht auch etwas gehetzt durch die Stadt laufen.
Endlich erreichen wir den Erfurter Dom, der sich hier bereits seit dem 12.Jahrhundert befindet.
Wir laufen die Domstufen hinauf mit dem wunderbaren Gefühl, unser Ziel erreicht zu haben. Der Erfurter Dom ist heute unsere Kathedrale – Ende und Anfang zugleich. Stolz auf das Erreichte, freuen wir uns schon jetzt auf die nächsten Etappen, die uns im kommenden Frühjahr von Erfurt ins hessische Vacha und damit auch Santiago de Compostela wieder etwas näher bringen werden.
Die Wanderung hat uns Demut gelehrt, Freude geschenkt und uns stolz gemacht, neue Wege zu gehen. Nicht aufzugeben, wenn die Strecke zu lang, die Temperaturen zu heiß und die Umstände zu kompliziert scheinen – es ist ein schönes Gefühl, dies gemeinsam gemeistert zu haben.
Matthias
Im Juli besuchte ich auch mit einer japanischen Reisegruppe als Busfahrer den Erfurter Dom. Dieser Bau ist sehr beeindruckend. Besonders faszinierte mich die reich verzierte Orgel. Im Rahmen der Luther und Bach Tour besuchten wir Luthers Gedenkstein in Stotternheim sowie die Städte Eisenach, Coburg, Worms, Wittenberg und Leipzig. Zum Glück konnte ich alles mit dem Bus fahren und musste nicht laufen. Der Kühlschrank war immer gefüllt und die Klimaanlage funktionierte auch. 😉
Sylvia
Ich bin ehrlich beeindruckt von euren „Steher-Qualitäten“, die ja eigentlich „Läufer-Qualitäten“ sind.
Mann – bei solchen Temperaturen derartige Entfernungen zu Fuß zu bewältigen:
Da ziehe ich meinen (Sommer)Hut!
Bin schon gespannt auf eure weiteren Berichte!
Imelda
Bin ebenso sehr beeindruckt
Barbara, ich hätte es dir nicht so richtig zugtraut
Hut Ab!!!