Autor: Yvonne (Seite 1 von 3)

Es reist sich besser mit leichtem Gepäck

Gerade mal elf Wochen sind vergangen, seitdem die Idee geboren wurde, dass ich einen Teil des Jakobsweg gehen werde und ich kann kaum glauben, dass es jetzt tatsächlich so weit ist – mein Rucksack ist gepackt, die Laufschuhe sind eingelaufen – ich bin bereit für den Weg – meinen Weg.

In drei Stunden startet mein Flugzeug nach Porto, denn mein Weg wird der Camino portugues sein. Ich bin sicher, es ist genau die richtige Strecke für mich, um nach Santiago de Compostela zu pilgern – die ersten Tage am Meer entlang, mit dem mich soviel verbindet, die Tagesetappen zwischen 15 und 33 km Wegstrecke, abwechslungsreich durch kleine Dörfer, Wald und Felder.

Intensiv waren die Wochen der Vorbereitung. Zum einen war da der praktische Teil: wie schwer sind eigentlich 8 kg auf dem Rücken? Was brauch ich wirklich für drei Wochen und worauf kann ich verzichten? Gestern habe ich meinen Rucksack dann zur „Endkontrolle“ zu Tapir getragen. ein unglaublich sympathischer Verkäufer hat mir die Träger richtig eingestellt und gemeinsam haben wir den Inhalt neu gepackt, damit der Rucksack sich wirklich angenehm tragen läßt. Total stolz war ich auf sein Kompliment, dass ich mich tatsächlich auf so wenige Dinge beschränke.
Und irgendwie war das auch in der Vorbereitung nie wirklich ein Problem: mehr als ein T-Shirt und eine Hose pro Tag trägt man nicht und einmal Reserve ist absolut ausreichend. Dafür wiegt dann das Reise-Waschmittel ein paar Gramm mehr.

Natürlich habe ich in den letzten Wochen jede Menge Bücher, Berichte und Blogs zum Jakobsweg gelesen und mich inspirieren lassen. Die Vorfreude stieg von Tag zu Tag und nun wird es Zeit, den eignen Weg zu gehen. Eine Freundin schrieb mir vor einigen Tagen „Deine Reise ist ein tiefer seelischer Prozess und sie beginnt schon lange vorher“ – und genau dies fühle ich auch.

Letzten Samstag kam endlich mein Credential an – der Ausweis, der mich offiziell zur Pilgerin macht. Eigentlich ist er die Eintrittskarte zu den Pilgerherbergen, doch habe ich mich nach langem Überlegen dazu entschlossen, eher die kleinen Pensionen und Hotels auf der Strecke im voraus zu buchen. So habe ich jeden Tag ein festes Ziel im Auge. Damit auch ein bisschen mehr Entspannung – und nicht zu vergessen, eine eigene Steckdose zum laden des Tablets – denn eigentlich möchte ich schon gern regelmäßig wieder hier die Tasten anschlagen und euch davon erzählen, was ich erleben werde in den kommenden drei Wochen.

Ich lasse es langsam beginnen – heute Abend werde ich ein schönes Glas Wein in Porto am Fusse des Flusses Douro trinken und mir morgen die Zeit nehmen, die Stadt zu entdecken.
Am Montag morgen geht es los, die ersten beiden Etappen am Meer entlang, bevor der Weg mich in das Landesinnere Richtung Spanien führt, das ich am Ende der 6. Etappe erreicht haben werde. Weitere 6 Tage später hoffe ich, in Santiago de Compostela anzukommen. Ich bin schon voller Vorfreude auf das Gefühl, endlich vor der Kathedrale zu stehen und mit all den anderen Pilgern, deren Wege aus allen Himmelsrichtungen nach Santiago führen, die Pilgermesse zu erleben.
Wenn man die letzten 100 km zu Fuss nach Santiago gelaufen ist (bei mir werden es zu dem Zeitpunkt – hoffentlich – 240 km sein) und sich dies unterwegs mit Stempeln hat bestätigen lassen, kann man sich seine Compostela abholen. Ich bin mir aber noch gar nicht so sicher, ob ich das wirklich möchte. Im Augenblick fühlt sich das erhalten einer offiziellen Bestätigung nicht wirklich wichtig an.

Nach einem Ruhetag in Santiago werde ich mich noch einmal auf den Weg begeben – 90 Kilometer weiter ans Meer – mit dem Ziel Cap de Finsterre – das Ende der Welt
Und dieses Bild ist es, dass mich trägt – ich sehe mich neben dem Kilometerstein mit der Muschel als Zeichen des Jakobsweges und der Aufschrift 0,0 km stehen, mit dem Gefühl angekommen zu sein. Und ich trage das Urvertrauen in mir, dass genau dies so passiert.

Unglaublich beeindruckt bin ich von all der Unterstützung und der Liebe, die ihr mir alle mit auf dem Weg gebt. Das fühlt sich so grossartig an. Und so laufe ich mit meinen von euch von Herzen gegebenen Dingen los: dem geborgten Rucksack und den Stöcken, dem blauen Shirt, meinem wunderbaren Herz-Glücksbringer, mit James – dem treuen Weggefährten, der am Rucksack hängt, meinem Armband mit dem blauen Stein, dass für mich das Meer symbolisiert, und all den vielen Wünschen, die ihr mir geschrieben und gesagt habt. Ich bin überwältigt und glücklich, dass ich euch alle an meiner Seite weiß – das gibt mir die Sicherheit und das Vertrauen, dass ich meinen Weg finden werde.

Der erste gelbe Pfeil in Richtung Santiago

Nun sitze ich also am Fluss Duoro, trinke einen Weißwein , höre einem portugiesischen Musiker zu und feiere das Leben und die Freiheit – ein glücklicher Moment. 
Mein Flug gestern nach Frankfurt hatte Verspätung und wir landeten auf einer so weit vom Terminal entfernten Außenposition, dass man den Eindruck gewinnen konnte, der Kapitän hat sich verflogen. Und so bat ich inständig darum , dass die Zeit reichen würde , meinen Rucksack von einem Flieger in den nächsten umzuladen. Bang stand ich in Porto am Gepäckband und sah Massen von Rucksäcken an mir vorbeiziehen. Verrückt , am Gate in Frankfurt wäre mir nicht im Traum eingefallen , wie viele Wanderer mit mir im Flieger sitzen. 

Endlich wurde auch mein Rucksack aufs Band geworfen und ich begab mich Richtung Metro. Neben mir liefen zwei junge deutschen Frauen, die gleichfalls einen Rucksack trugen. Sofort kamen wir ins Gespräch. Damit hatte sich meine Befürchtung , ein dreiwöchiges Schweigeretreat zu absolvieren , schnell in Luft aufgelöst. 

Am Bahnsteig kamen zwei weitere deutsche Frauen dazu. Lustigerweise haben wir alle die gleichen Pläne : den Sonntag in Porto genießen , am Montag mit der historischen Straßenbahn bis zum Meer fahren, um dort die Pilgerreise zu beginnen. Wir waren uns sicher , uns auf dem Weg wieder zu begegnen 

In der Innenstadt angekommen , begrüßte uns Porto mit Nieselregen. Mein Studio für die nächsten zwei Nächte war schnell gefunden und ich wurde sehr herzlich von der portugiesischen Inhaberin begrüßt.

Ohne Punkt und Komma zeigte sie mir mit beeindruckender Leidenschaft alle Sehenswürdigkeiten , Tapas Bars und Verkehrsmittel der Stadt auf dem Plan. Gefühlt würde ich dafür eine ganze Woche benötigen. 

Schnell stand ich wieder auf der Straße. Erstes Ziel – wie kann es anders sein – der Lello Buchladen – beschrieben als der schönste der Welt. Aber ehrlich , so schön kann ein Buchladen nicht sein , dass man dafür Eintritt verlangt. In meiner Wahrnehmung ein bisschen zu viel Kommerz. Übrigens wusstet ihr , dass J. K. Rowling als Englischlehrerin in Porto gearbeitet hat und sich hier das viel zitierte Café befindet , in der der erste Harry Potter Roman entstand ? 

Und so ließ ich mich weiter treiben und hatte das großartige Gefühl , angekommen zu sein. Bald schon blitzten erste Sonnenstrahlen durch die Wolken und Porto zeigte sich in seiner ganzen Schönheit. 


Mein Wunsch wurde vom Universum erhört und eine Bar mitten in einem Mini Stadtpark mit Blick auf den 76 Meter hohen Clerigo Tower lud zum Verweilen ein.

Etwas später stellte sich ein kleiner Hunger ein und ich entschied mich für eine bezaubernde kleine Tapasbar.

Noch relativ zeitig am Abend – in Portugal ist es eine Stunde früher als in Deutschland – fiel ich todmüde in mein Bett. 

Die Nacht war eher unruhig. Mal war mir heiß und mal wieder eiskalt. Die Stunden zwischen zwei und vier Uhr sind die schwärzesten der Nacht und ich grübelte über die Richtigkeit meiner Entscheidung nach , mich auf den Weg zu begeben.  

Zeitig am nächsten Morgen stand ich wieder auf der Straße, bereit die Stadt zu entdecken. In einem kleine Straßencafé gab es wirklich guten Kaffee und die besten süßen Teilchen, die ich je gegessen habe. Nach dem Frühstück hat die Sonne die Luft schon so erwärmt, dass Jacke und Langarmshirt in der Tasche verschwinden konnten. 

Nach einer Weile erreichte ich die Kathedrale von Porto, die mich sehr an die Notre Dame in Paris erinnerte. 


In dem Moment , in dem ich eintrat, setzte das imposante Orgelspiel ein und ein Lichtbündel fiel durch ein oberes Fenster – in die Mitte des beeindruckenden Raums. Die Sonntagsmesse war mitten im Gange und ich ein Teil von ihr. Ein magischer Moment. Als ich später wieder heraustrat, sah ich ihn zum ersten Mal – den gelben Pfeil Richtung Compostela. 


Und so wart es beschlossen , hier werde ich morgen meine Pilgerreise beginnen, um den ersten Stempel bitten, denn hier fühlt es sich richtig an und eine Kerze anzünden für den Menschen, der mich auch auf dieser Reise begleitet und einen festen Platz in meinem Herzen hat. 

Ich laufe die Stufen zum Fluss hinunter und kann mich nicht satt sehen an der Farbenprächtgkeit dieser Stadt. 

Am Ufer des Duoro angekommen fällt mein Blick auf die Eisenbrücke, die den Fluss überspannt und die den Einfluss von Gustave Eiffel absolut nicht verleugnen kann – ein liegender Eiffelturm – großartig.


Der Wein ist ausgetrunken , der Musiker hat seinen Auftritt beendet , Zeit weiter zu gehen ….

Die Stahlbrücke hat mich so angelacht, dass ich als Brooklyn Bridge -und Golden Gates – Bezwingerin auch gern über das Oberdeck dieser Brücke laufen möchte. Eine Zahnrad-Bahn bringt mich nach oben. 


Der Blick von der Brücke auf den Fluss und die Ufer ist wunderschön. Ich erinnere mich an meine quirlige Gastgeberin und kaufe mir ein Ticket für die Seilbahn und genieße so den Blick von noch etwas weiter oben. 



Zurück ging es zu Fuß. Die Einkehr in eine empfohlene Tapasbar bekam mir nicht so gut. Selbst schuld – was bestelle ich auch gegrillte Chorizo. Die mir bekannten kleinen Würstchen entpuppten sich als Mega Fleischwurst , die auf dem Tisch vor mir gegrillt wurde. Ich muss noch mal über ein Leben als Vegetarierin nachdenken …. 


Zurück über die untere Ebene der Brücke nahm mich die Musik gefangen. Überall spielten Musiker auf der Straße – von Klangschalen bis zum Rock. Bei einem jungen Musiker und „Heart of Gold“ blieb ich hängen bzw. auf der Straße sitzen. Wanderschuhe aus und Leute gucken -Was für eine herrliche Perspektive. 

Schnell noch herausfinden, von wo morgen die historische Straßenbahn Richtung Meer abfährt und dann wieder zurück. 


Noch einmal am angabegemäss schönsten Buchladen der Welt vorbei und diesmal kann ich der Versuchung nicht widerstehen. Ich investiere die drei Euro Eintritt und betrete eine andere Welt. So muss der Buchladen bei Harry Potter ausgesehen haben. 

Die Stadtkilometer stecken mir in den Knochen und die letzte Woche wohl auch. Und so geh ich zielstrebig zu meinem gestern entdeckten Lieblingsplatz auf der grünen Wiese , sitze auf einer Decke und entfremde ganz ohne Hemmungen meine Laufschuhe …  

1. Etappe von Porto nach …

… eigenlich sollte hier Villa Cha stehen – zum Aufwärmen 16 Kilometer Tagesziel , nicht zu viel für den ersten Tag. Gewöhnung an das Gewicht auf den Schultern und den neuen Rhythmus….

16 Kilometer in maximal 4 Stunden – der Tag kann in Ruhe beginnen. Das historische Café in der Nähe meines Studios ist schön und der Kaffee gut. 9.30 Uhr stehe ich in der Kathedrale. Die ersten Pilger wünschen mir einen Bom Camino und ich erhalte den ersten Stempel in meinen Credencial. Ab jetzt ist es also offiziell – ich bin eine Pilgerin. Ich geh zu dem ersten gelben Pfeil , den ich gestern schon entdeckt hatte und werde fast ein bisschen überwältigt von meinen Gefühlen. Von hier an entdecke ich überall die gelben Pfeile , die mir gestern noch verborgen blieben. Fast ein bisschen mystisch Doch schnell verliert sich die Spur des Weges , aber ich gehe sowieso zuerst zur historischen Straßenbahn , die mich ans Meer bringen soll. Die ersten 6 km also fahrend – Betrug ? Nur ein wenig. Als Pilgerin gilt man , wenn man die letzten 100 km vor Santiago de Compostela zu Fuß zurückgelegt hat. Bis dahin ist es noch weit.

Ich bin die erste an der Haltestelle , die sich schnell füllt. 10 Uhr soll die Bahn ankommen – zumindest theoretisch.

Plötzlich stehen Ilka und Mariam aus Wuppertal neben mir. Wir haben uns schon auf dem Flughafen kennengelernt und Mariam erzählt mir , dass sie sich seitdem gewünscht hat, dass wir die erste Etappe zu dritt laufen, denn ich hatte einen so in mir ruhenden und ausgeglichenen Ausdruck auf sie gemacht. Was für ein schönes Kompliment.

Zwanzig Minuten später stehen wir immer noch da und ich überlege , ob wir nicht einfach die sechs Kilometer aus der Stadt heraus laufen sollten. Doch Mariam wendet ein, dass uns dieser Weg auch warten lehrt und schon biegt die Bahn um die Ecke.

Eine halbe Stunde später am Leuchtturm de S. Miguel beginnt unsere Wanderung. Zunächst noch an der Strandpromenade entlang und über den Sand genießen wir die ersten Kilometer. Bald wechselt aber die Landschaft und wir erreichen den Umschlaghafen von Matosinhos. Containerschiffe versperren den Blick auf das Meer und der Weg führt uns immer weit weg hin zur Schnellstraße. Ich bin sehr froh, dieses ernüchternde Stück nicht allein gehen zu müssen. Viel zu spät bemerken wir, dass wir vom Wanderweg wohl abgekommen sein müssen und uns damit einen Umweg von drei bis vier Kilometern eingehandelt haben.

Kurz bevor wir wieder an den Strand kommen, kehren wir in eine Bar ein, die gut mit Einheimischen gefüllt ist. Wir bekommen leckere Sardinen direkt vom Holzkohlengrill und sind versöhnt mit der Welt.

Ab jetzt führt uns der Weg immer am Meer entlang. Zehn Kilometer oder noch länger wurde hier ein Holzsteg gebaut , über den es sich perfekt wandern lässt.


Ilka und ich haben das gleiche Tempo. Marion lässt sich etwas zurückfallen. Sie wünscht sich ihr eigenes Tempo.


Die beiden sind Kolleginnen und aus unterschiedlichen Gründen auf dem Camino unterwegs. Gern höre ich zu, wie mir Ilka von Wuppertal berichtet , von ihrer Arbeit und ihren erwachsenen Kindern. Immer wieder bleiben wir stehen und genießen den Blick auf das Meer.


Als uns eine joggende Männermannschaft einen Bom Camino wünscht , sind wir unglaublich stolz.

Der Tag schreitet schnell voran und bald merken wir, dass unsere Pläne für heute nicht so einfach aufgehen werden. Es ist schon kurz vor 17 Uhr und nach gelaufenen 19 Kilometer, als wir in einem Strandcafe die Lage besprechen. Die beiden wollen heute noch nach Vila do Conde ,noch ungefährt 15 Kilometer von unserem Standort entfernt und wollten vom nächsten Ort aus mit dem Bus fahren, der um diese Uhrzeit leider nicht mehr verkehrt

Mein Ziel ist ein Campingplatz in Vila Cha Wie ich beim online Check feststellen muss , liegt dieser nicht am Meer, sondern ungefähr fünf Kilometer von Vila Cha im Wald und damit weder heute noch morgen auf meinem Weg.

Wir entscheiden, geteiltes Leid ist halbes Leid und brechen gemeinsam nach Vila do Condo auf. Vorbei an dem hübschen Fischerdorf Villa Cha immer weiter über die Holzbohlen, denn wir haben das große Glück , dass der Holzweg erst im letzten Jahr verlängert wurde.


Wir werden immer stiller , die Rucksäcke schneiden sich in die Schultern ein, die Füße brennen und bei jeder Stufe spüren wir all unsere Muskeln.

Die letzten drei Kilometer nehmen wir Marian in die Mitte , die am härtesten zu kämpfen hat , aber auch den unbändigen Willen , es zu schaffen. Ihr Wunsch für den Camino, über die eigenen Grenzen zu gehen, hat sich schon am ersten Tag erfüllt. Aber auch sie ist tapfer und wir können es nicht fassen , als kurz vor halb Neun das weithin sichtbare Kloster von Villa do Condo vor uns liegt.


Das Hostel von Ilka und Mariam ist schnell erreicht. Mein Hotel, das ich schnell vom Strandcafe aus gebucht hatte, ist nochmal mehr als einen Kilometer entfernt Wir verabreden uns auf Tapas und Wein , nachdem wir eingecheckt haben werden. Ich schlurfe mehr, als das ich laufe Richtung meines Hotels und als ich es in der Straße nicht gleich finde, bin ich den Tränen nah.

Der Hotelier erkennt sofort mein Elend, alle Anmeldeformaliäten fallen weg und er trägt mir den Rucksack auf mein Zimmer ohne zu versäumen , sich dafür zu entschuldigen , dass dieses in der zweiten Etage liegt.

Schuhe aus , Strümpfe aus – ab aufs Bett. Das Zimmer ist klein und alt , aber sauber und mir im Augenblick lieber als jede Suite.

Schon schreibt mir Ilka , ob ich nicht zurückkommen möchte. Neben ihrem Hostel wäre eine sehr hübsche Bar. Eine Ibuprofen , etwas Schmerzgel für die Knie und Hirschhorntalg für die Füße später , bin ich wieder auf dem Weg.

Wir trinken grossartigen Wein und stoßen auf uns und das Leben an , verspeisen Berge von Tapas und erzählen uns sehr persönliche Dinge aus unseren Leben, wie man es vermutlich nur nach einem so intensiven Tag tut.

Wir werden uns vermutlich nicht wiedersehen, denn die beiden gehen morgen weiter auf den Küstenweg, werden einen Teil der Strecke mit dem Bus zurücklegen und dann immer eine Etappe vor mir sein

Es geht auf Mitternacht zu, als ich leichtfüßig zurück in mein Hotel laufe.

Ein Blick auf mein Smartphone verrät, dass ich heute 54.595 Schritte oder 37 Kilometer gelaufen bin. Ich bin total erschöpft , aber glücklich.

Ach dieses Universum : hatte ich doch große Sorge vor Etappe 4 und den damit verbundenen 34 Kilometern – und schon zeigt es mir, wie das geht.

Und ein Schweigeretreat wird der Jakobsweg für mich dann wohl auch nicht ….

2. Etappe von Vila do Condo nach Rates 

Heute morgen geht es mir besser als erwartet. Nachdem ich mir an der Rezeption meinen Stempel für den Credencial abgeholt habe, finde ich ein kleines Café für mein Frühstück


und begebe mich anschließend auf den heutigen Weg. Mir kommen zwei Pilger entgegen , deren „Bon Camino „sich sehr deutsch anhört. Sie sind offensichtlich verwundert , dass ich ihnen entgegenkomme und damit eigentlich in die falsche Richtung gehe. Doch zunächst möchte ich mir das Santa Clara Kloster von nahem anschauen , dass großartig über der Stadt thront.

Dieses ist leider verschlossen , imponiert aber auch von außen sehr. Wie ich später nachlese, ist dies heute ein privater Herrensitz.

Bei dem Kloster endet ein vier Kilometer langes, ehemals aus 999 Bögen bestehendes Aquädukt, dass das zweitlängste Portugals ist und sich in der nächsten Stunde immer wieder in Teilstücken beeindruckend vor mir auftut.


Gelbe Pfeile und damit die Wegweiser für meine heutige Etappe haben sich gut versteckt oder sind einfach schlicht nicht zu finden. Das war eigentlich auch vorher klar , da ich heute vom Küstenweg Richtung des traditionellen Weges die Landschaft quere. Allein unterwegs finde ich heute schwer meinen Rhythmus. Da wird hier mal gerüttelt , da mal an den Trägern gezogen und immer wieder auf die Karte geschaut.

Die Strecke ist zu Beginn nicht wirklich schön. Ich beschwere mich beim Universum und erreiche kurze Zeit später Beiriz – ein hübsches aber total stilles Dorf mit einer wunderschönen Dorfkirche.


Mit dem Wunsch, vielleicht hier eine Kerze anzünden zu können – dieser Brauch scheint in Portugal eher unüblich – trete ich ein. Die gesamte Kirche ist mit frischen Blumen geschmückt. Im Kontrast dazu sind die Kerzen hier elektrisch. Ich möchte trotzdem an meinem Ritual festhalten und werfe einen Euro in die dafür vorgesehene Kiste und muss ein Lachen unterdrücken – acht Kerzen beginnen auf einmal zu flackern. Ich bin sicher , derjenige , dem ich die Kerze widme , hätte genauso gelacht.

Wieder in der Sonne verpflastere ich meine erste Blase unter der Sohle zwischen großer Zeh und Ballen und wünsche mir gleich der Österreicherin in Hape Kerkelings „Ich bin dann mal weg“ ein Geschäfterl, denn ich habe Durst wie eine Bergziege und kein Wasser dabei … Das Universum hört mir zu und schickt Rettung. Die freundliche Dame hinter der Kasse wünscht mir einen „Bom camino“. Ich scheine also noch auf dem richtigen Weg zu sein.

Die Landschaft wird reizvoller. Kleine Ortschaften wechseln sich mit Feldern und einem Eukalyptuswald ab. Der einzige Wermutstropfen ist das durchgängige Kopfsteinpflaster, dass sich durch meine Schuhe bohrt. Ich probiere die Wanderstöcke aus, die bisher nur am Rucksack befestigt waren und kann mich nicht entscheiden, ob ich das nun besser oder schlechter finde.

Worüber denkt man denn so nach , wenn man einsam durch die Landschaft wandert ? Erstmal über alle Zimperlein. Das linke Knie schmerzt. Wieso eigentlich das linke , das rechte ist doch Arthrose diagnostiziert ? Der Rucksack drückt auf den Ischiasnerv und die Schultern. Die Oberschenkel brennen und überhaupt …

Das geht schnell vorbei und ich denke über die Aussage von vielen Gesprächspartnern nach , dass sie toll finde , was ich da mache , es aber niemals allein tun würden. Was mag es für Gründe dafür geben : Angst vor Überfällen , vorm Verlaufen, vorm Schweigen, vor dem mit sich Alleinsein  ? Ilka und Mariam sind einen Kompromiss eingegangen , weil beide den Weg laufen wollten, aber eben nicht allein. Und so sind sie gemeinsam unterwegs . Sie mögen sich , es wird funktionieren , aber wäre auch ich so kompromissbereit?

Ich fand es sehr schön , gestern mit den beiden mitzuwanderen und bin doch froh , mich heute mit mir allein auseinander zu setzen. Was der morgige Tag bringt, wird sich morgen zeigen …

Nach etwas mehr als 16 Kilometern sehe ich Rates am Horizont. Ungefähr zwei Kilometer zuvor sind sie auch wieder da – ganz frische gelbe Pfeile und das Zeichen mit der Jakobsmuschel. An jeder Kreuzung finde ich sie nun, als hätten sie etwas nachzuholen.

Am Ortseingang von Rates steht eine weitere wunderschöne Kirche. Ich raste in ihrem Schatten, gönne meinen Füßen Luft und mir eine kurze Pause , bevor ich endgültig ankomme. Plötzlich erreichen eine Reihe von Pilgern den Ort , wo haben die denn die ganze Zeit gesteckt? – rufen mir ein Ola Pelegrino zu.


Ich erreiche den Hof , in dem ich heute ein Zimmer reserviert habe und klingle an dem großen Tor. Eine Omi öffnet mir. Sie spricht ausschließlich Portugiesisch , das bei mir nach Bom dia und obrigada (Danke) leider aufhört. Irgendwie bekommen wir es aber doch hin. Morgen früh gibt es Kaffee und jetzt geh ich erstmal duschen.

Allein in meinem Reich beginne ich mit der großen Wäsche. Leider tröpfelt das Wasser nur spärlich und die Lampe im Badezimmer gibt den Geist auf. Trotzdem schaffe ich es, meine Wäsche zu waschen und mich zu duschen

Ich ziehe mir mein dünnes Kleidchen und die Sandalen an – die Sonne scheint herrlich , aber der Wind ist kühl. Trotzdem hätten mich keine Hundertschaft nun erneut in meine Wanderschuhe gezwängt.

Ich treffe im Ort einen deutschen Pilger , der mir zeigt , wo sich das Cafe befindet. Zunächst bei Kaffee und einem süßen Teilchen schreibe ich den gestrigen Blog draußen in der Sonne. Den Weißwein gibt es zum Geschreibel von heute….

 

3. Etappe von Rates nach Barcelo

 

Nachdem ich gestern tatsächlich schon 8
Uhr abends im Bett gelegen habe, fühl ich mich erfrischt und ausgeruht. Die gewaschenen Sachen sind leider nicht wirklich trocken. Das hatte ich auch schon so erwartet, das Bad war kalt und fensterlos und die Fenster in meinem Zimmer gaben auch keinen Trockenplatz her. So versuche ich zumindest mein Hemdchen trocken zu fönen – die unterste Schicht meines Vierlagen-Zwiebellocks und leider auch das einzige seiner Art, das ich dabei habe. Der Erfolg hält sich in Grenzen und so ziehe ich es leicht fröstelnd an. Als ich mein Zimmer verlasse , steht der Herr des Hauses vor mir und führt mich in einen kleinen Raum im Keller , in dem ein Tisch für zwei Personen eingedeckt ist.Ich bekomme Kaffee, heiße Milch und frische Brötchen. Wortlos und grimmig schauend stellt der ältere Herr Schinken und Käse vor mich. Er bleibt in meiner Nähe , ich schenke ihm mein strahlendestes Lächeln und habe den Eindruck, in eine Szene von Dinner for one geraten zu sein. Ich beeile mich mit essen , damit wir beide bald aus dieser sprachlosen Situation befreit sind und er gibt mir zu verstehen , dass ich auf keinen Fall vergessen soll, meinen Credencial von ihm abstempeln zu lassen. 

Und dann sind wir plötzlich doch zu zweit. Im Zimmer neben mir hat eine Holländerin übernachtet , die mir nun Gesellschaft leistet. Sie spricht hervorragendes Deutsch , dazu spanisch, englisch und auch ein bisschen Portugiesisch. 

Schnell kommen wir ins Gespräch. 

Sie hat eine schwere Erkrankung der Atemwege und die Ärzte haben ihr von der Reise abgeraten. Zuhause hat sie eine Sauerstoffapparatur, hier muss es Spray richten. . Da sie aber grundsätzlich das Gegenteil von dem tut, was andere ihr raten – so ihre Originalaussage – hat sie sich auf den Weg gemacht. Bereits im Ruhestand kann sie sich die Strecke einteilen , wie sie es schafft und so ist sie für die Strecke , die ich in zwei Tagen absolviert habe, bereits fünf Tage unterwegs. Die Familie ihres Sohnes erwartet im September das zweite Kind und hat ihr das Versprechen abgenommen , bis dahin wieder zurück zu sein…. 

Gemeinsam gehen wir noch zum Mini mercado und ich frische meine Wasservorräte auf. Wir verabschieden uns voneinander und ich verspüre große Hochachtung vor ihr. 

Das Wetter ist schön , Sonne und Wolken wechseln sich ab und der Weg führt über Feldwege und kleine Waldstücke. Das erfreut mein Pilgerherz, genauso wie die vielen lieben Nachrichten , die ich heute morgen auf meinem Handy vorgefunden habe und so weiß ich, dass ich nicht allein auf dem Weg bin. 


Die nächsten Kilometer denke ich über den Kommentar auf meinem Blog nach , in Erwägung zu ziehen , ein Buch zur Reise zu schreiben. Da ist er wieder, der Gedanke , der mich seit Jahren nicht loslässt und doch immer wieder an meinem eigenen Glauben an mich selbst scheitert. Früher war es die Ausrede nach dem „Ich benötige den ersten Satz“ um dann endlich loslegen zu können Dies gilt wohl heute nicht mehr, zu viele Ansätze laden zum schreiben ein. Bleiben die Selbstzweifel. Irgendwie trotzdem schade, denn das tippen auf meinen Reisen bereitet mir zugegebenermaßen grossen Spaß. Meine Gedanken schweifen ab und mir kommt eines der Gespräche mit meinem Englischlehrer in den Sinn. 

Unser Unterricht hat sein eigenes System. Er unternimmt den Versuch , mir englische Zeitformen beizubringen und kurze Zeit später sind wir in ein Gespräch über alles und jeden vertieft. Herrlich – das hilft meiner Grammatik nur wenig und ist trotzdem großartig. An diesem besagten Tag bringt er sein Unverständnis über „Parallelklassen“ zum Ausdruck. Seine beiden Kinder gehen aufs Gymnasium und so sprechen wir über die unterschiedlichen . Schulsysteme. Er berichtete über das „Haussystem“ in England und hat sich großartig amüsiert , dass ich begeistert ausbrach „Das ist ja wie in Harry Potter „. Das ist es wohl tatsächlich , außer dass die Schüler eher Rugby statt Quiditch spielen. Also braucht es manchmal doch nur ein wenig Phantasie um – aus meiner Sicht – großartiges zu schaffen. 

Nach zwei Stunden gönne ich mir an einem Brunnen die erste Rast. 


Kurze Zeit später , als ich ein wenig damit hadere, an der Straße lang gehen zu müssen , ruft mich ein Pilger zurück. Ich hatte den abbiegenden gelben Pfeil übersehen und noch bevor ich mich bedanken konnte, ist er schon wieder verschwunden. Verrückt. 

Zwei Kilometer vor Barcelo holt mich ein wettergegerbter Norweger ein, der schon seit Lissabon unterwegs ist. Über das Gespräch vergesse ich all meine Schmerzen (über die man irgendwie auch nur nachdenkt , wenn man allein ist ) und wir erreichen die Brücke, die Barcelino von Barcelo trennt. Er lädt mich auf Getränk ein, denn von hier an zieht es ihn zurück zur Küste , während ich heute hier übernachten werde. Während er mein Wasser und sein Bier aus der Bar holt , schweifen meine Blicke umher. So entdecke ich direkt auf der anderen Straßenseite das B way guesthouse, in dem ich für heute reserviert habe. Das kann doch alles kein Zufall sein. 

Ich beziehe mein Zimmer und freue mich über eine warme Dusche. Mühsam entziehe ich mich dem nach mir rufenden Bett und laufe los, Barcelo zu erobern. 



Die Stadtbesichtigung  fällt schwer , mehrere Blasen machen mir zu schaffen , die Achillesferse schmerzt – eine bisher noch nie da gewesene Erfahrung und ich durchlebe das erste schwarze Tief dieser Reise. 

Das Örtchen ist wirklich hübsch und liebevoll angelegt , aber ich habe Hunger und Hunger macht böse. Überall nur Cafés und Aussicht auf süße Teilchen. Noch eines davon und ich raste aus. 

Doch das Universum hat ein Einsehen. An einem zauberhaften Platz mit Brunnen gibt es Sonne, freie Plätze und einen portugiesischen Hamburger. Nicht unbedingt der große Nudelteller, auf den ich spekuliert hatte , aber ich werde mehr als satt und entspanne mich etwas. 


Ich beginne mein Tagebuch zu tippen, als ich plötzlich meinen Namen höre. Ich kann es kaum glauben , die beiden Schwestern vom Flughafen in Porto stehen vor mir. 

Schon liegen wir uns in den Armen und können gar nicht so schnell von unseren Erlebnissen der letzten Tage erzählen. 

Wir trinken zusammen einen oder zwei Wein und freuen uns , uns wiedergefunden zu haben. Wir stellen fest, dass wir im gleichen Guesthouse übernachten. Die beiden wollen sich noch ein wenig den Ort ansehen. Wir tauschen Telefonnummern, um uns später vielleicht noch auf einen Drink zu treffen. 

Was für ein verrückter Weg dieser Camino … 

4. Etappe von Barcelo nach Ponte de Lima

An Cocktail trinken war gestern Abend nicht mehr zu denken. Der Tag steckte in den Knochen und ich recht schnell unter der Bettdecke. Wilde Träume haben mich die Nacht über verfolgt. Sollten das die Anregungen für mein Buch sein, dann wird es wohl ein Horrorroman. Unglaublich , womit sich das Unterbewusstsein so beschäftigt. 

So war ich recht froh, als der Wecker 7 Uhr morgens klingelte und ich wieder in der Realität ankam. Halb acht war ich mit den beiden sympathischen Schwestern verabredet und beim Frühstück tauschten wir uns über unsere diversen Wehwehchen aus. 

Ich war total froh, mich den beiden heute anschließen zu können und so ging es mit Ibuprofen und gut getapt Richtung Ponte de Lima. 

Mit uns auf die Strecke verteilt liefen noch einige andere – zumeist deutsche – Pilger, denen wir immer mal wieder begegnen werden.

Der Weg ist vielseitig. Neben Asphalt und leider auch wieder viel Kopfsteinpflaster führt er uns über Felder mit herrlichem Ausblick. Das Wetter meint es auch heute gut mit uns, die Sonne strahlt vom stahlblauen Himmel. 


Das Mittagessen will hart verdient werden , der Anstieg nach Portela de Lima hat es in sich und ich bin sehr froh, mich nun doch für die Stöcke entschieden zu haben 

Was mir heute während der Etappe gar nicht so bewusst war, den Rucksack auf den Schultern spüre ich fast nicht mehr   

Pause in Portela de Lima. Wir entscheiden uns für ein zeitiges Mittagessen. Vor uns sind schon Frank und Angela da, die auch in unserem Guesthouse übernachtet haben. Der Dialekt kommt mir reichlich bekannt vor und so stell ich die allgegenwärtige Frage “ wo kommt ihr denn her ?“ Was soll ich sagen – aus Leipzig … Ilka aus Wuppertal kommentiere das vorhin per Chat nur mit “ Die Ossis sind eben überall „. Recht hat sie … 


Ein Pärchen aus Hamburg auch aus unserem Guesthouse kommt hinzu. Gefühlt ist derzeit tatsächlich die stärkste Fraktion aus Deutschland auf dem Camino unterwegs. 

Wir essen Franceshino – kleine Französin. Ein Gericht , dass sich alles andere als klein herausstellt. Toast mit Ham, Bacon , Käse und Spiegelei. Und als wäre das noch nicht genug, gibt es jede Menge French Fries dazu. Wir trinken Green – so eine Art Radler und sind pappesatt. 

Es dauert etwas , bis wir wieder in unseren Rhythmus gefunden haben. Und wie immer auf diesem Weg reden wir über sehr persönliche Dinge und ich finde das hier völlig normal und sehr vertraut 


Kurze Zeit später wird klar, der Abschied steht bevor. Die beiden werden in der Casa de Fernanda in Balugaes übernachten , während ich noch nach Ponte de Lima will. Die vorgebuchten Übernachtungen sind Freud und Leid zugleich. Ich hab die beiden echt in mein Herz geschlossen. Wir verabschieden uns auf dem Weg und vielleicht treffen wir uns irgendwo wieder …


Ab morgen werde ichvöllig anderen Pilger begegnen , denn ich überspringe nach 17 Kilometern Wanderung nun 17 Kilometer mit dem Bus. 

Gestern schon gegoogelt weiß ich , dass der viermal am Tag fahrende Bus nach Ponte de Lima um 14:28 abfährt. 

Kurz nach 14:00 Uhr erreiche ich den Ort und die erste Bushaltestelle. Da ich dem Frieden nicht wirklich traue , frage ich in einer kleinen Bar nach. Die Kellnerin erklärt , dies ist nicht die richtige Richtung und schickt mich die Straße runter. Dort gibt es eine weitere Bushaltestelle, aber keinen Bus um 14:28. Andererseits sind wir hier in Portugal, da ist dass mit den Zeiten eher nicht so genau.  Ich gehe in den kleinen Mercado auf der gegenüberliegenden Seite und frage nach. Die kräftige Verkäuferin bringt mich höchstpersönlich um die nächste Ecke. Nichts deutet hier auf eine Bushaltestelle hin, doch 5 Minuten später würde er kommen. 

Die Männer vom Reifendienst direkt hinter mir bestätigen : hier fährt der Bus ab. Aber sie schauen genauso skeptisch wie ich in die erwartetete Richtung.

Ich schicke Stoßgebete zum Universum und werde erhört. Wenige Minuten später fährt der Bus vor. Der Busfahrer antwortet auf mein Bom dia, dass dies am Nachmittag Boa Tarde heißt,  singt später die portugiesischen Schlager aus dem Radio mit und trommelt den Takt auf dem Lenkrad. Ich genieße gerade alles , die Landschaft, den gut gelaunten Busfahrer , die Tage, die noch vor mir liegen und einfach das Leben 

Kurze Zeit später erreichen wir Ponte de Lima. So schnell gehen also 17 Kilometer …. Mit mir steigen zwei junge deutsche Frauen aus , die heute ebenfalls hier Quartier nehmen 

Schnell finde ich das Herrenhaus, in dem ich bereits vorgebucht habe. Die beiden Frauen entscheiden , auch hier zu bleiben. 


Das Zimmer ist klein, aber die Hausherren sehr nett. Wir dürfen unsere Wäsche in der Maschine waschen und im Garten trocknen Das grenzt an Luxus. Der Garten mit Pool überhaupt. 


Ich genieße zwei Stunden auf der Liege und aus Ermangelung meiner noch trocknenden Sachen stopfe ich das Kleidchen in die Wanderhose, um den Ort zu erkunden. 

Zauberhaft ist es hier mit der Brücke und den kleinen Cafés am Fuße des Flusses Lima. Der Ort ist nicht groß , aber hübsch. 


Bald kehre ich in ein Restaurant mit Blick auf den Fluss ein. Es gibt Nudeln – das Universum vergisst nichts. 

Und während ich den Tag im Blog verarbeite , kommen auch die beiden jungen Frauen an. Kurze Zeit später wird mir klar , dass alle Gäste hier Pilger sind und wir uns morgen auf dem Weg wieder treffen werden. Das Paar vor mir am Tisch sogar in der gleichen Unterkunft – unnütz zu erwähnen , das sie aus Deutschland kommen und übrigens auch schon diese Nacht in dem gleichen Herrenhaus übernachten. 

Die beiden jungen Frauen aus dem Bus laden mich an ihren Tisch ein. Sie kommen aus Köln und eine von beiden war schon auf dem Küstenweg nach Santiago unterwegs. Sie zeigt Fotos aus 2014 und sollte ich jemals meine Höhenangst überwinden , wäre das mein nächstes Ziel Der camino kann schon süchtig machen. Davon bin ich mittlerweile überzeugt. 

Der Koch gibt uns einen Wein aus und ich denke einfach nicht nach über die anstrengende Etappe morgen nach Rubiaeus, über prognostizierte 27 Grad und den Wetterwechsel, der ab samstag angesagt ist mit viel Regen. 

Das Leben ist schön – jetzt und hier…. 

5. Etappe von Ponte de Lima nach Rubiaes

Nach einer weiteren Nacht mit Alpträumen und langen Wachphasen bin ich kurz nach acht Uhr die fast letzte beim Frühstück. 

Dieses wird in einem Esszimmer aus einem früheren Jahrhundert an einem großen runden Tisch reserviert. 

Ab heute werden die Pilger internationaler. Mit am Tisch sitzt ein französisches Pärchen, ein Pärchen aus Australien , ein weiteres englischsprachiges, aber sehr stilles Pärchen und ein Pärchen aus Düsseldorf. Fällt euch was auf ? Alles Pärchen – langsam wird mir das ein wenig zu viel. Ob die allein reisenden Pilger alle in die Herberge gehen? Könnte eine Erklärung sein, aber unterwegs begegnen mir wirklich auch nur sehr wenige Pilger , die nicht in einer zumindest Minigemeinschaft unterwegs sind. Klar ist , dass ich das Düsseldorfer Pärchen in der Pension in Rubiaes wieder sehen werde. Gesprächsstoff am Tisch heute morgen ist die vor uns liegende wohl härteste Etappe. 480 Meter im Aufstieg auf erstmalig wirklich richtig unbefestigten Untergrund. 

Mit 20 Kilometern ist die Etappe nicht wirklich lang , dafür aber fordernd. 

Nach und nach starten wir. Punkt 9 Uhr beginne ich meinen Weg auf der wunderschönen Brücke von Lima. Schon am Morgen ist es sehr warm. Die Sonne scheint aus Leibeskräften und ich laufe los eigentlich in der Gewissheit , heute allein zu bleiben. 


Die Landschaft ist bezaubernd. Überall Laubengänge mit Wein, die genau so schön sind, wie der Vino Verdhe gut schmeckt. 


Kurz hinter Lima verlaufe ich mich und werde sofort von einem herzlichen Portugiesen wieder auf den richtigen Weg geschickt. 

Ich habe einen guten Schritt und so überhole ich die eine oder andere Gruppe. Zunächst Franzosen, die heute ihren Weg beginnen, später Amerikaner. Und dann ziehe ich gleich mit Sandra (ihr selbstgewählter nickname, da ihr asiatischer Name zu kompliziert ist ) von den Philippinen. Sie ist in einer siebenköpfigen Gruppe unterwegs , die weit auseinandergezogen läuft. 3 philippinos, eine Schottin , eine Amerikanerin , eine Holländerin, ein Südamerikaner Wir schwatzen ein wenig miteinander, dann lass ich sie hinter mir , später schließt sie leichtfüßig in Turnschuhen wieder zu mir auf. Der ansteigende Pflasterweg mündet in einen steil ansteigenden Waldweg. Große Steine erfordern die ganze Konzentration. Genau muss man abwägen , wo man den Fuß hinsetzt und ich bin einmal mehr dankbar für die geborgten Wanderstöcke. Der Weg verlangt konditionell , aber mir vor allem mental viel ab. Den es kommt wieder die große Angst vor dem Abstieg dazu , die mich schon beim hochklettern nicht loslässt.  


Kurz vor dem Scheitelpunkt erreichen wir das Franzosenkreuz, an dem ähnlich dem eisernen Kreuz auf dem Camino Français Pilger Steine und Erinnerungsstücke ablegen. Am Fuße des Weges hatte auch ich einen Stein mitgenommen , um ihn hier als Erinnerung an diese Erfahrung dazulassen. Wenig später erreiche ich gemeinsam mit Sandra den Aussichtspunkt. Liebevoll wie ich Asiaten bereits oft kennengelernt habe , stellt sie mich den anderen ihrer Gruppe vor Das ist Yvonne aus Deutschland und sie ist ab heute neu dabei. So einfach ist das also. 


Ich berichte von meiner unbändigen Angst , wieder abzusteigen und die Gruppe adoptiert mich sofort. Nach einer erholsamen Rast steigen wir gemeinsam ab. Die Amerikanerin zeigt mir, wie ich die Stöcke am besten halte und meine Schritte setze. Immer wieder drehen sie sich zu mir um. Die Schwierigkeit des Abstieges ist nicht im mindesten mit dem Aufstieg zu vergleichen und so kommen wir schnell voran. Kurz vor Rubiaes gibt es einen kleinen Imbiss aus einem Wohnwagen heraus. Wir stoßen mit Bier an auf unser gemeinsames Erlebnis und ich bedanke mich von Herzen.


 Den letzten Teil des Abstieges tanze ich gemeinsam mit der Holländerin die Steine entlang. 

Wir gehen zusammen bis zu meiner Pension und sind uns sicher , spätestens in Santiago sehen wir uns wieder. 

In der Pension begrüßt mich Helmut aus Marburg auf das herzlichste. Selbst langjähriger Pilger hat er im letzen Jahr dieses Kleinod entdeckt, gekauft und verwöhnt nun seit März Pilger mit genau dem , was diese nach einer anstrengenden Etappe brauchen. Er ist 68 Jahre alt, sieht mindestens 10 Jahre jünger aus und verströmt eine unglaubliche Herzlichkeit. Wir sprechen kurz darüber , dass ich allein unterwegs bin und ich berichte davon , welche wunderbaren Bekanntschaften ich in den letzten Tagen gemacht half und er sagt einen beeindruckenden Satz , der treffender nicht geht „Allein heißt ja nicht einsam “   

Nach einer ausgiebigen Dusche treffe ich am Pool Vater und Tochter aus Weimar. Sie hat gerade ihr Abitur gemacht und beide nutzen nun die Zeit danach , diesen Weg gemeinsam zu gehen und scheinen beide sehr glücklich dabei. 

Für halb sieben ist der Shuttle bestellt und bringt uns ins Dorfrestaurant zum Pilger Abendessen. Ich ringe mit mir, ob ich nicht einfach da bleibe, da auch heute wieder nur Minigemeinschaften hier sind , springe aber über meinen Schatten und frage Tochter und Vater , ob ich mich Ihnen anschließen darf. Sie haben nichts dagegen und so bekomme ich ein leckeres Abendessen und ein sehr entspanntes Gespräch mit beiden mal wieder über jedes und alles und es fühlt sich einfach nur gut an. So sind wir auch die letzten, die zu unserer Unterkunft zurückkommen Ein letzter Wein auf der Terrasse mit Helmut, dem Düsseldorfer Paar aus meinem Hotel von gestern und Vater und Tochter und schon ist auch der Tag zu Ende. 

Morgen geht es ins spanische Tui. Dann wird aus Bom caminho – Bon camino und die Hälfte des Weges nach Santiago ist erreicht. Ich freu mich drauf …  

6. Etappe von Rubiaes nach Tui, Spanien 

Ich werde zeitig wach und darf als erste den Frühstückstisch bewundern. Helmut hat für uns 11 Pilger mit viel Liebe ein Frühstück gezaubert, dass mir richtig warm ums Herz wird. 


Eigentlich will ich hier nie wieder weg. Aber der Rucksack ist gepackt und die grenzüberschreitende Etappe wartet auf mich. Der Himmel ist grau , aber es regnet nicht. 

Ich bekomme meinen Stempel in den Credencial und laufe als erste los. 


Der Fahrer , der uns gestern zum Restaurant gebracht hat , zeigte uns den Einstieg zum Camino. Doch heute morgen kann ich diesen auf der Landstraße nicht finden. Schon bin ich versucht , umzukehren , als ein Wanderer aus heiterem Himmel des Weges kommt. Er bestätigt , dass wir auf dem richtigen Weg sind. Mir entschlüpft ein „hopefully“ und er bestätigt es noch einmal. Oh weh, hatte ich das gerade laut gesagt? Wir laufen eine Weile hintereinander her. Ich frag ihn, wo er herkommt und er antwortet: aus Peru. Völlig verwundert reagiert er darauf , dass ich sage „dann bist du Miguel „. Ich hatte gestern Abend von ihm gehört. Er ist 75 Jahre alt und läuft mit 15 Kilo Gepäck und mit großem Urvertrauen das zweitemal nach Santiago. Leider ist sein Tempo nicht das meine und so lasse ich ihn bald hinter mir. Diese Etappe werde ich allein laufen und sie ist nicht wirklich schön. Der Weg ist steinig und die Landschaft eintönig. Selbst die Fotomotive gehen mir aus oder ich sehe sie heute einfach nicht. Ich bekomme Gelegenheit , steinige Abstiege zu üben – gar nicht so schlecht , zumindest mit Stöcken –  und schlammige und unterspülte Wege zu gehen. 


Ich versuche meine Gedanken in die Richtung der Themen zu lenken , die ich hier auf dem Weg klären möchte , doch zwingen lässt sich nichts. 

Die Achillessehne schmerzt und ich höre über eine lange Zeit nur das klicken meiner eigenen Stöcke. Mir fällt ein, dass ich für einen solchen Moment meine „Camino Playlist “ zusammengestellt habe und stöpsle mir die Kopfhörer ins Ohr. 

Zufällige Wiedergabe – ich lasse es das Universum entscheiden und höre als erstes „Gold von morgen“ und  dann passiert es – jeder wird auf diesem Weg einmal weinen – bei mir ist es jetzt soweit. Die Tränen fließen und Unheilig danach macht es nicht wirklich besser : 

Ich werd‘ an dich denken, wenn ich am Gipfel bin

Ich werd‘ den Himmel anlächeln, auf meinem Weg dorthin.

Meine Schritte sind deine, wie an jedem neuen Tag.Ich lass die Freundschaft leben,und der Himmel ist mir so nah.

Ich würd dir gern so vieles erzählen,wie das Leben so spielt.

So viele Tage der Erinnerung,seitdem du fortgegangen bist.

Immer wenn mir etwas gelingt und mein Glück am Größten ist,sehe ich hinauf zum Himmel,und stell mir vor, dass du bei mir 

Besser wird es erst mit Stefan Gwildis „Mein Meer “ 

„Unendlich weit. Weiter als der Horizont.Unfaßbar reich.Unglaublich schön. Du bist dunkel und auch blond.Deshalb muß ich immer wieder her.Zu dir, mein Meer.“

Dann sehe ich es wieder , dieses Bild mit dem Kilometerstein 0,0 in Finisterre und ich daneben – glücklich. 

So wird es auch Zeit , den Kopfhörer wieder im Rucksack zu verstauen. 

Ein Café am Wegesrand , ein Kaffee und ein Keks und die Gewissheit , gleich in Valença anzukommen. 


Was für ein zauberhaftes Städtchen – dominiert von der Fortaleza, einer nahezu ursprünglich erhaltene Festungsanlage, die an eine Burg in Schottland erinnert. Es macht Spaß , den Ort zu erkunden und Fotos zu machen. 


Der Jakobsweg Richtung Spanien führt direkt durch die Festung. Ich habe den Eindruck , geradewegs in ein Verließ zu wandern und sehe dann doch das Licht am Ende des Tunnels. Ein Zeichen ? 


Schnell erreiche ich die Puente international , die Brücke, die über den Minho führt. 


Auf der Hälfte der Brücke überschreite ich die Grenze von Portugal nach Spanien – Halbzeit auf dem Weg nach Santiago. Ich kann es gar nicht fassen , ein zweitesmal an diesem Tag fließen die Tränen – ich habe Spanien erreicht. 


Das Örtchen Tui liegt auf einem Hügel. Die Kathedrale ist von weitem zu sehen. 


Ich erreiche mein Hotel , werde herzlich begrüßt und habe ein Zimmer mit unglaublichen Ausblick


Zum erstenmal seit Beginn der Wanderung falle ich ungeduscht auf das Bett und schlafe ein. Danach lockt die Badewanne und das Wetter lädt nicht wirklich zum Stadt erkunden ein. 

Trotzdem raffe ich mich auf , der erste spanische Weißwein , den ich im besten Spanisch bestellen möchte , wartet auf mich. Mein Pech , dass die galizische Sprache doch eher dem Portugiesisch gleicht und ich weiterhin leider kein Wort verstehe 

Als ich das Hotel im strömenden Regen verlasse , drückt mir eine Senhora einen Schirm in die Hand. 

Im Restaurant bestelle ich ein Gericht , dass den Namen Simon beinhaltet und bekomme leider etwas undefinierbares. Der Kellner sieht , dass ich es nicht mag und lässt mich etwas anderes aussuchen. Das Universum meint es wirklich gut mit mir. Aber heute kann ich es nicht annehmen. Noch fließen die Tränen. Mögen sie das Leid mitnehmen und die Freude zurückbringen. 

Auf das Leben ! 

PS. Es hat aufgehört zu regnen , als ich mein Hotel erreiche und ich denke an M.B Rosenberg 

 Ziel im Leben ist es, all unser Lachen zu lachen und all unsere Tränen zu weinen. Was auch immer sich uns offenbart, es ist das Leben, das sich darin zeigt, und es ist immer ein Geschenk, sich damit zu verbinden




7. Etappe von Tui nach O’Porriño

Über die Nacht hülle ich den Mantel des Schweigens – auf Dauer sind meine Alpträume für euch ja auch anstrengend. Die Sonne schien am Morgen in mein Zimmer und verzauberte die Aussicht aus meinem Fenster noch einmal mehr. 

Das Frühstück im Hotel war großartig – dunkles Brot !!!! Käse und Schinken erfreuten die Pilgerherzen. Mit mir auch das des australischen Paares, dass in Ponte de Lima mit am Frühstückstisch gesessen hat. Sie wandern – organisiert und ohne Gepäck – heute wie ich bis O Porrino, dann werden sie mit dem Auto zurück in das Hotel in Tui gebracht um dann morgen wieder nach O Porrino zu fahren , um weiterzuwandern. Wanderweg statt Pilgerreise. 

Bald stehe ich mit meinem Rucksack wieder auf dem Weg mit den gelben Pfeilen und verlasse das schöne Tui mit dem Vorsatz , das Handy heute den ganzen Tag im Flugmodus in der Tasche, den Blog heute Abend ruhen zu lassen und mich ausschließlich auf den Moment zu konzentrieren. Das scheitert dann schon in dem Moment , in dem ich das erste Foto machen möchte und das handy doch wieder heraus krame. 


 Ja ich weiß , Fotos kann man auch im Flugmodus machen , aber wenn ich es doch schon mal in der Hand halte … Und so lese ich die Email von Christoph , der ein großer Fan vom spanischen Küstenweg ist und auf den ich aufmerksam geworden bin, als ich im März eine gute Pilger(innen) Packliste im Internet gesucht und bei ihm gefunden habe. Seitdem abonniere ich seinen Newsletter. Er suchte gestern drei Testleser für sein neues Buch über den portugiesischen Jakobsweg. Ich fand mich dafür sehr geeignet, habe mich sofort beworben und jetzt kam die Bestätigung , ich darf sein Buch als eine der ersten lesen und etwas darüber schreiben. Ich freue mich riesig und erkenne so einiges , ich brauche Aufgaben (und auch Herausforderungen ) und ich möchte meinen eigenen Reisebericht weiter schreiben. Der lenkt mich nicht ab, sondern hilft beim reflektieren. 

Die Etappe ist vom Profil heute nicht wirklich anspruchsvoll. Unterwegs begrüße ich Miguel, den Peruaner und später Vater und Tochter aus Weimar , die heute mit einem Stuttgarter unterwegs sind , den ich am Morgen beim Frühstück im Hotel getroffen habe. Auf dem Weg geht keiner verloren. 


Abwechslungsreich ist die Etappe. Zunächst komme ich mitten im Wald an einem Gebäude vorbei , an dessen Außenmauern sehr beeindruckende Bilder des galizischen Künstlers Xai Oscar hängen. 


Später begleitet mich ebenfalls durch ein Waldstück eine sehr lange Zeit und damit auch sehr laut die Stimme eines Stadionssprechers. So hört es sich zumindest an. An einer Straßenkreuzung entscheide ich mich statt rechts dem Weg zu folgen einen kleinen Umweg nach links in den Kauf zu nehmen , um zu erkunden , was vor sich geht. Ein ganzer Parkplatz voller Zelte und dazwischen eine große Anzahl von Pferden jeder Art. Es gibt eine Arena , in der offensichtlich eine Reihe von Wettbewerben ausgetragen wird. Kinder , die voltigieren, Männer in Kutschen oder hoch zu Ross – ein insgesamt eher wilder Anblick, von dem vermutlich nur die Teilnehmer die Regeln verstehen. Es ist ein kommen und gehen – oder eher reiten und ich entscheide mich , auf den Weg zurück zu kehren. 


Und wäre das an Wettbewerben nicht genug , kommt mir jetzt ein ganzer Tross entgegen. Zunächst Motorräder der Polizei, dann Radrennfahrer in ihren bunten Trikots , Begleitfahrzeuge , Ambulanz und auch der Besenwagen fehlt nicht. Wenn ich nicht wüsste , dass die Vuelta erst im August stattfindet … Später beim Kaffee erfahre ich , dass heute ein bekanntes regionales Radrennen stattfindet und noch später komme ich an dem Parkplatz vorbei , an dem die Teilnehmer ihre Räder wieder ihren Autos verstauen. 


Gegen Mittag wünsche ich mir einen schönen Milchkaffee und ein Bocadillo und werde alsbald erhört. Mit mir ist eine junge Frau dort, die mir unterwegs schon aufgefallen ist. Sie macht einen sehr sympathischen Eindruck auf mich und so spreche ich sie an. Leider versteht sie kein Wort englisch , sie kommt aus Brasilien und da ich kein Portugiesisch spreche , bleibt es bei Bom caminho. 

Dafür sitzt eine Holländerin auch da, mit der ich kurz ins Gespräch komme. Sie fragt , ob ich allein pilgere und findet das gut. Eigentlich ist sie auch allein unterwegs , hat seit zwei Etappen aber eine Freundin aus Berlin , die jetzt zwar weit hinter ihr läuft , mit der sie aber nun die Etappen gemeinsam erreicht. Ob ich das mit dem allein pilgern noch so gut finde, das kann ich in einem Satz nicht mehr beantworten. Vielleicht kenne ich die Antwort in Santiago, vielleicht in Finisterre, vielleicht bleibt sie aber auch offen. 

Der Weg heute lässt Alternativen zu. Zweimal wurde dem historischen Weg eine Variante gegeben , die landschaftlich schöner ist. An der ersten dieser beiden Stellen , liegt am Hauptweg ein Café , dass natürlich darunter leidet , wenn alle Pilger vorher abbiegen (allerdings könnte man , wenn man wollte 300 Meter Umweg in Kauf nehmen und dann doch den schöneren Weg wählen ). So kämpft aber der Pilgerverein mit dem Cafébesitzer , was deutlich an der Ausschilderung zu erkennen ist. Ich sehe viele übermalte Pfeile nach links und geradeaus und den Versuch , die Pfeile immer noch höher anzubringen , als der andere. Bereits gestern von Helmut darauf vorbereitet , biege ich nach links ab. 


Eine zweite Situation gibt es kurz vor O Porrino : Auf dem schnellsten Weg geradeaus oder links durch den ausgedehnten Stadtpark. Ich habe noch Zeit und nehme den längeren Weg, der ist zwar nicht so gut ausgeschildert , dafür umso schöner. 


Zeitig erreiche ich das kleine schlichte Hotel. Duschen und wieder los , denn 100 Meter weiter befindet sich ein öffentlicher Waschsalon. Herrlich , alle (also fast alle) Klamotten in die Waschmaschine , die sich eine halbe Stunde dreht. 


Dann etwas Lehrgeld gezahlt , bis ich verstanden habe , welche der Geräte auch trocknen – schließlich alles in spanisch und ich zum erstenmal in einem Waschsalon. Doch dann trage ich die Sachen sauber und trocken ins Hotel zurück und beschließe , die Stadt zu erkunden.

 Diese ist – nun , wie beschreibe ich es freundlich , auch eher schlicht und so sehe ich mich etwas unschlüssig um, als ich meinen Namen höre und Sandra von den Philippinen mich umarmt. Mit ihr einer der Wanderer, die ich schon von unserer „Bergtour“ kenne und zwei weitere philippinische Frauen , die die Tour mit dem Shuttle übersprungen hatten. Sandra freut sich riesig und die anderen berichten , dass sie immer nach mir Ausschau hält. Was für ein schönes Gefühl. Wir gehen zu fünft Nudeln essen und zeigen uns gegenseitig die Fotos von gestern und heute. Übermorgen in Pontevedra könnten wir uns wieder sehen , denn morgen haben sie ein anderes Etappenziel. Spätestens in Santiago aber treffen wir uns , denn dort kommen sie auch am Freitag an.  

Die vier sind reichlich erschöpft und verabschieden sich ins Hotel. 

Ich suche mir einen sonnigen Platz auf den Treppenstufen, blinzle in die Sonne und schreibe meinen Blog … 

8. Etappe von O’Porriño nach Redondela

Auch heute bin ich für echte Pilger spät dran , 9 Uhr stehe ich bei schönstem Sonnenschein auf der Straße und habe mit 16 Kilometern eine wirklich kurze Etappe vor mir. 

Heute früh habe ich einen Artikel über das Leben gelesen, der mich sehr bewegt hat. 

„Jeden Morgen, wenn wir aufwachen, bekommen wir 86.400 Sekunden Leben für den Tag geschenkt, und wenn wir am Abend einschlafen, wird uns die übrige Zeit nicht gut geschrieben.Was wir an diesem Tag nicht gelebt haben, ist verloren. Gestern ist vergangen. Jeden Morgen beginnt sich das Konto neu zu füllen, aber die Bank kann das Konto auflösen, ohne Vorwarnung.

Also lebe Dein Leben, trage Deine Werte in Dir, lebe dein Leben mit Liebe und gib so viel du kannst anderen davon.“

Und so bin ich total gespannt auf meine heutigen 86.400 Sekunden und offen dafür , alles anzunehmen , was das Leben mir bietet. 


Eine Weile laufe ich allein, bis ich zu zwei Männern vom Niederrhein aufschließe. 

Beide wollten den Weg schon seit langer Zeit gemeinsam laufen und haben den Moment abgewartet , im Ruhestand zu sein. Da die beiden zehn Jahre Altersunterschied trennt , hat das dann auch mal zehn Jahre gedauert, bis beide diesen erreicht hatten.

 Sie sind in einem guten Tempo unterwegs , Egon mit 73 und Norbert 10 Jahre jünger. Nach einer Weile kommt noch Karin aus Frankfurt dazu und wir laufen gemeinsam. Norbert und ich vornweg und so ins Gespräch vertieft , dass Egon immer mal wieder von hinten ruft , wenn wir gerade mal wieder einen gelben Pfeil übersehen haben.


 Die Etappe geht viel zu schnell ihrem Ende entgegen und so machen wir einen kleinen Zwischenhalt kurz vor Redondela. Karin und ich bestellen Kaffee. Die beiden Männer Rotwein – es ist kurz nach 12 Uhr mittags … Der Wein ist gut gekühlt und schmeckt hervorragend und schon können auch wir der Versuchung nicht widerstehen. Und weil es sich so schön sitzt , gibt es gleich noch einen zweiten … 


Eine Stunde später brechen wir wieder auf und erreichen kurze Zeit später Redondela. 

Ich bin noch total fit, verschwinde kurz unter der Dusche und greife die Idee von Norbert auf , dass wir hier sehr nah am Meer sind. Und so laufe ich wieder los, in offenen Schuhen und ohne Gepäck – sozusagen inkognito – und suche den Weg zum Meer oder besser gesagt zur Bucht (bzw Insel) die lustigerweise Simon heißt und ins Meer mündet.


 Ich finde einen sonnigen Platz und freue mich über Nachrichten meiner „Flughafen“-Pilgerinnen. 

Ilka und Mariam haben heute Caldas de Reis erreicht und sind somit mit zwei Tagesetappen leider für mich nicht mehr einholbar 

Die beiden Schwestern aus der Nähe von Stuttgart sind heute in Tui angekommen und damit zwei Etappen hinter mir. Aber auch sie wollen wir ich nach Finisterre – vermutlich aber mit dem Bus – und werden mich Mittwoch der kommenden Woche dort erwarten. Wie ist das schön. 

Und passend zum Moment höre ich noch einmal „Mein Meer“ von Stefan Gwildis heute mit ganz anderen Ohren. 


Zurück im Hotel schreibt Egon , ob wir essen gehen wollen. Ich treffe die Beiden in einem Café zum ersten Rotwein und da ich ja die Eventmanagerin bin, suche ich auch das Restaurant aus. Schade nur, dass das von Tripadvisor empfohlene geschlossen hat und so landen wir irgendwo in der Altstadt , trinken einen zweiten und dritten Wein, essen eine Kleinigkeit und reden über das Leben. Egon wird im Herbst mit einer Gruppe von sieben Männern nach Leipzig kommen. Das Datum steht schon fest und natürlich werde ich mein bestes geben , ihnen die schönsten Ecken meiner Stadt zu zeigen. 

Dieser Jakobsweg …   

Es ist so greifbar nah geworden – Santiago de Compostela

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