3. Etappe von Rates nach Barcelo

 

Nachdem ich gestern tatsächlich schon 8
Uhr abends im Bett gelegen habe, fühl ich mich erfrischt und ausgeruht. Die gewaschenen Sachen sind leider nicht wirklich trocken. Das hatte ich auch schon so erwartet, das Bad war kalt und fensterlos und die Fenster in meinem Zimmer gaben auch keinen Trockenplatz her. So versuche ich zumindest mein Hemdchen trocken zu fönen – die unterste Schicht meines Vierlagen-Zwiebellocks und leider auch das einzige seiner Art, das ich dabei habe. Der Erfolg hält sich in Grenzen und so ziehe ich es leicht fröstelnd an. Als ich mein Zimmer verlasse , steht der Herr des Hauses vor mir und führt mich in einen kleinen Raum im Keller , in dem ein Tisch für zwei Personen eingedeckt ist.Ich bekomme Kaffee, heiße Milch und frische Brötchen. Wortlos und grimmig schauend stellt der ältere Herr Schinken und Käse vor mich. Er bleibt in meiner Nähe , ich schenke ihm mein strahlendestes Lächeln und habe den Eindruck, in eine Szene von Dinner for one geraten zu sein. Ich beeile mich mit essen , damit wir beide bald aus dieser sprachlosen Situation befreit sind und er gibt mir zu verstehen , dass ich auf keinen Fall vergessen soll, meinen Credencial von ihm abstempeln zu lassen. 

Und dann sind wir plötzlich doch zu zweit. Im Zimmer neben mir hat eine Holländerin übernachtet , die mir nun Gesellschaft leistet. Sie spricht hervorragendes Deutsch , dazu spanisch, englisch und auch ein bisschen Portugiesisch. 

Schnell kommen wir ins Gespräch. 

Sie hat eine schwere Erkrankung der Atemwege und die Ärzte haben ihr von der Reise abgeraten. Zuhause hat sie eine Sauerstoffapparatur, hier muss es Spray richten. . Da sie aber grundsätzlich das Gegenteil von dem tut, was andere ihr raten – so ihre Originalaussage – hat sie sich auf den Weg gemacht. Bereits im Ruhestand kann sie sich die Strecke einteilen , wie sie es schafft und so ist sie für die Strecke , die ich in zwei Tagen absolviert habe, bereits fünf Tage unterwegs. Die Familie ihres Sohnes erwartet im September das zweite Kind und hat ihr das Versprechen abgenommen , bis dahin wieder zurück zu sein…. 

Gemeinsam gehen wir noch zum Mini mercado und ich frische meine Wasservorräte auf. Wir verabschieden uns voneinander und ich verspüre große Hochachtung vor ihr. 

Das Wetter ist schön , Sonne und Wolken wechseln sich ab und der Weg führt über Feldwege und kleine Waldstücke. Das erfreut mein Pilgerherz, genauso wie die vielen lieben Nachrichten , die ich heute morgen auf meinem Handy vorgefunden habe und so weiß ich, dass ich nicht allein auf dem Weg bin. 


Die nächsten Kilometer denke ich über den Kommentar auf meinem Blog nach , in Erwägung zu ziehen , ein Buch zur Reise zu schreiben. Da ist er wieder, der Gedanke , der mich seit Jahren nicht loslässt und doch immer wieder an meinem eigenen Glauben an mich selbst scheitert. Früher war es die Ausrede nach dem „Ich benötige den ersten Satz“ um dann endlich loslegen zu können Dies gilt wohl heute nicht mehr, zu viele Ansätze laden zum schreiben ein. Bleiben die Selbstzweifel. Irgendwie trotzdem schade, denn das tippen auf meinen Reisen bereitet mir zugegebenermaßen grossen Spaß. Meine Gedanken schweifen ab und mir kommt eines der Gespräche mit meinem Englischlehrer in den Sinn. 

Unser Unterricht hat sein eigenes System. Er unternimmt den Versuch , mir englische Zeitformen beizubringen und kurze Zeit später sind wir in ein Gespräch über alles und jeden vertieft. Herrlich – das hilft meiner Grammatik nur wenig und ist trotzdem großartig. An diesem besagten Tag bringt er sein Unverständnis über „Parallelklassen“ zum Ausdruck. Seine beiden Kinder gehen aufs Gymnasium und so sprechen wir über die unterschiedlichen . Schulsysteme. Er berichtete über das „Haussystem“ in England und hat sich großartig amüsiert , dass ich begeistert ausbrach „Das ist ja wie in Harry Potter „. Das ist es wohl tatsächlich , außer dass die Schüler eher Rugby statt Quiditch spielen. Also braucht es manchmal doch nur ein wenig Phantasie um – aus meiner Sicht – großartiges zu schaffen. 

Nach zwei Stunden gönne ich mir an einem Brunnen die erste Rast. 


Kurze Zeit später , als ich ein wenig damit hadere, an der Straße lang gehen zu müssen , ruft mich ein Pilger zurück. Ich hatte den abbiegenden gelben Pfeil übersehen und noch bevor ich mich bedanken konnte, ist er schon wieder verschwunden. Verrückt. 

Zwei Kilometer vor Barcelo holt mich ein wettergegerbter Norweger ein, der schon seit Lissabon unterwegs ist. Über das Gespräch vergesse ich all meine Schmerzen (über die man irgendwie auch nur nachdenkt , wenn man allein ist ) und wir erreichen die Brücke, die Barcelino von Barcelo trennt. Er lädt mich auf Getränk ein, denn von hier an zieht es ihn zurück zur Küste , während ich heute hier übernachten werde. Während er mein Wasser und sein Bier aus der Bar holt , schweifen meine Blicke umher. So entdecke ich direkt auf der anderen Straßenseite das B way guesthouse, in dem ich für heute reserviert habe. Das kann doch alles kein Zufall sein. 

Ich beziehe mein Zimmer und freue mich über eine warme Dusche. Mühsam entziehe ich mich dem nach mir rufenden Bett und laufe los, Barcelo zu erobern. 



Die Stadtbesichtigung  fällt schwer , mehrere Blasen machen mir zu schaffen , die Achillesferse schmerzt – eine bisher noch nie da gewesene Erfahrung und ich durchlebe das erste schwarze Tief dieser Reise. 

Das Örtchen ist wirklich hübsch und liebevoll angelegt , aber ich habe Hunger und Hunger macht böse. Überall nur Cafés und Aussicht auf süße Teilchen. Noch eines davon und ich raste aus. 

Doch das Universum hat ein Einsehen. An einem zauberhaften Platz mit Brunnen gibt es Sonne, freie Plätze und einen portugiesischen Hamburger. Nicht unbedingt der große Nudelteller, auf den ich spekuliert hatte , aber ich werde mehr als satt und entspanne mich etwas. 


Ich beginne mein Tagebuch zu tippen, als ich plötzlich meinen Namen höre. Ich kann es kaum glauben , die beiden Schwestern vom Flughafen in Porto stehen vor mir. 

Schon liegen wir uns in den Armen und können gar nicht so schnell von unseren Erlebnissen der letzten Tage erzählen. 

Wir trinken zusammen einen oder zwei Wein und freuen uns , uns wiedergefunden zu haben. Wir stellen fest, dass wir im gleichen Guesthouse übernachten. Die beiden wollen sich noch ein wenig den Ort ansehen. Wir tauschen Telefonnummern, um uns später vielleicht noch auf einen Drink zu treffen. 

Was für ein verrückter Weg dieser Camino … 

Vorheriger Beitrag

4. Etappe von Barcelo nach Ponte de Lima

Nächster Beitrag

2. Etappe von Vila do Condo nach Rates 

  1. Jessi

    Meine liebe Yvonne , was habe ich gelacht- nein, ein schweigeretreat passt nicht zu dir, aber dein fast „Dinner for one“ ist ja anscheinend ähnlich gewesen. Ich hoffe du hast auch ordentlich den Wein entsprechend genossen. Ich wünsche dir jeden ,Tag neue tolle Eindrücke, Begegnungen und viel Hilfe vom Universum – da scheinst du ja einen hervorragenden Draht hin zu haben. Halt die Ohren steiff, die Blasen im Zaum und die Knie geschmeidig – und vorallem erhalte deine Schreibfreude! Ich werde dich auf jeden. Fall weiter begleiten! Alles liebe auf deinem Weg

Schreibe einen Kommentar

Läuft mit WordPress & Theme erstellt von Anders Norén