Der Himmel ist grau und Regen tropft auf die Straße, als ich an diesem Morgen erwache. So packe ich zum ersten Mal meine komplette Regenkleidung aus und meinen Rucksack mit der Plane ein.
Frühstück gibt es im Café um die Ecke. Die Bedienung hat sich dem Wetter angepasst , sie ist einfach schlecht gelaunt und ich schnell mit meinem Kaffee fertig. Länger dauert es, mich in die Regenhose einzupacken und so gehe ich vollständig vermummt wieder nach draußen und lache laut , der Regen hat aufgehört.
Ich laufe los und habe nach wenigen Metern das Gefühl , mich beim Bikram Yoga zu befinden, Übungen bei 40 Grad Celsius und der Körper fließt so weg. Schnell entledige ich mich zumindest von einer meinen fünf Schichten aus dem Lagenlook und stopfe die Windstopperjacke in den Rucksack. Die Regensachen behalte ich an. Das ist eine gute Entscheidung , denn bald fallen wieder die ersten Tropfen.
Das seit Tui viel mehr Pilger unterwegs sind ( die letzten 100 km vor Santiago, um die Compostela zu erhalten ) ist heute deutlich zu erkennen. Die Straße entlang schlängelt sich ein buntes Band an regenbekleideten Menschen. Am lustigsten finde ich die Pilger mit Regenschirm.
Mir ist heute nach mehr Ruhe und so lege ich einen Gang zu und laufe – meine Stöcke zum Nordic walking umfunktioniert – an der Schlange vorbei. Das gelingt mir recht gut und nach einer Weile bin ich allein. Der Regen stört nicht, das saftige Grün ist wunderschön.
Die Landschaft ist nicht mehr so lieblich wie in Portugal und erinnert eher an deutsche Felder und Wälder , was ihrer Schönheit aber keinen Abbruch tut .
Ich versinke in eine Art Flow und kann zum erstenmal meine Gedanken auf die Themen konzentrieren, die ich mit auf die Wanderung genommen habe. Zwei grundlegende Entscheidungen fallen, ein Entschluss wird gefasst. Eine Entscheidung steht noch aus, die wird noch etwas Zeit brauchen. Ich höre in mich hinein, ob es sich so gut anfühlt und ja, das tut es.
Fast erschrocken reagiere ich, als mich ein Australier anspricht, so sehr war ich im Flow versunken. Es scheint, als ob er ein bisschen traurig ist, dass ich nicht am nächsten Café mit ihm und seiner erwachsenen Tochter Pause mache , aber das ist mir noch zu früh. So schauen wir nur gemeinsam kurz auf den vor uns liegenden See , der so ruhig daliegt, wie ich mich gerade fühle.
Ich gehe weiter, überhole zwei Portugiesinnen, die es toll finden,dass ich den Weg allein gehe – you are a great woman – naja … und kurze Zeit später treffe ich auch wieder Miguel, den Peruaner, der mir seit Rubiaes täglich begegnet. Miguel – noch drei Tage bis Santiago rufe ich ihm im vorbei gehen zu.
Nach dem dritten etwas heftigeren Anstieg bemerke ich, dass ich vergessen habe, meine Wasservorräte aufzufrischen und bekomme sofort Durst. An der nächsten Kreuzung mitten im Wald steht ein Getränkeverkäufer, das gab es bisher noch nie. Das Universum meint es wirklich gut mit mir
Gegen Mittag stellt sich ein kleiner Hunger und Appetit auf einen Kaffee ein. Ein Wegweiser zeigt den Weg zu einer nicht weit abseits liegenden Bar und ich folge ihm. Mit mir eine junge Amerikanerin , die in Santiago lebt und eine junge Czechin. Die beiden laufen seit heute morgen gemeinsam und wir kommen ins Gespräch. Die Czechin berichtet über ihre letztjährigen Erfahrungen bei einem Vipassana Retreat. Das ist ein Schweigeseminar mit sehr langen Meditationsphasen. Ich hatte mich im letzten Jahr auch einmal damit auseinandergesetzt und überlegt, dies auszuprobieren Heute glaube ich , den Jakobsweg zu gehen, war die bessere Entscheidung für mich.
Ich verabschiede mich von den beiden. Der Regen hat aufgehört und so gibt es noch schnell ein gestelltes Foto fast schon wieder im Sonnenschein.
Eine gute Stunde später erreiche ich den Stadtrand von Pontevedra. Ich halte kurz an, um mich zu orientieren, als ich plötzlich meinen Namen höre. Norbert und Egon kommen des Weges, gemeinsam mit einem österreichischen Paar, die sie unterwegs getroffen haben
Wir freuen uns riesig, uns wiedergefunden zu haben und verabreden uns für den Abend zum gemeinsamen Essen.
Im Hotel verordne ich mir eine zweistündige Ruhepause , bevor ich mir das hübsche Städtchen anschaue. Der alte Stadtkern hat mittelalterlichen Charakter und eine ganz besondere Ausstrahlung. Ich klettere auf einen Kirchturm hoch, um die Aussicht zu genießen , treffe etwas später Emmem aus meiner philippinischen Gruppe und schlendere durch die Stadt , die doch deutlich größer ist, als ich geglaubt habe.
So habe ich mich schon sehr weit vom Hauptplatz entfernt, als Norbert anruft und mir sagt, in welchem Restaurant sie eingekehrt sind . Ich brauche eine ganze Weile, bis zu der Gruppe hinzustoße. Neben Norbert und Egon sitzen die beiden Österreicher mit am Tisch und ein deutsch-spanisches Paar. Sabine aus der Nähe von Gießen hat im vergangenen Jahr in einer Herberge auf dem camino de norte Manuel kennengelernt und nun gehen sie den portugiesischen Weg gemeinsam. Er spricht ausschließlich spanisch, was der Kommunikation keinen Abbruch tut. Ein wenig kann Sabine übersetzen und sonst nehmen wir das elektronische Übersetzungsprogramm zu Hilfe. Es ist ein schöner Abend, der später noch in einer Bar bei gutem spanischen Rotwein ausklingt. Wir sind uns sicher, wir sehen uns spätestens in Santiago wieder.
Spät ist es, als ich mein Hotel erreiche.
Dort lese ich eine Email von Christoph , dessen sehr informatives und motivierendes Buch über den camino Português ich am Sonntag Abend noch in einem Zug durchgelesen und wie gewünscht einen kurzen Kommentar geschrieben habe. Er verlinkt meinen Blog auf seinem Newsletter. Ich freue mich riesig ….
Nur noch drei Tage bis Santiago…