1. Etappe von Porto nach …

… eigenlich sollte hier Villa Cha stehen – zum Aufwärmen 16 Kilometer Tagesziel , nicht zu viel für den ersten Tag. Gewöhnung an das Gewicht auf den Schultern und den neuen Rhythmus….

16 Kilometer in maximal 4 Stunden – der Tag kann in Ruhe beginnen. Das historische Café in der Nähe meines Studios ist schön und der Kaffee gut. 9.30 Uhr stehe ich in der Kathedrale. Die ersten Pilger wünschen mir einen Bom Camino und ich erhalte den ersten Stempel in meinen Credencial. Ab jetzt ist es also offiziell – ich bin eine Pilgerin. Ich geh zu dem ersten gelben Pfeil , den ich gestern schon entdeckt hatte und werde fast ein bisschen überwältigt von meinen Gefühlen. Von hier an entdecke ich überall die gelben Pfeile , die mir gestern noch verborgen blieben. Fast ein bisschen mystisch Doch schnell verliert sich die Spur des Weges , aber ich gehe sowieso zuerst zur historischen Straßenbahn , die mich ans Meer bringen soll. Die ersten 6 km also fahrend – Betrug ? Nur ein wenig. Als Pilgerin gilt man , wenn man die letzten 100 km vor Santiago de Compostela zu Fuß zurückgelegt hat. Bis dahin ist es noch weit.

Ich bin die erste an der Haltestelle , die sich schnell füllt. 10 Uhr soll die Bahn ankommen – zumindest theoretisch.

Plötzlich stehen Ilka und Mariam aus Wuppertal neben mir. Wir haben uns schon auf dem Flughafen kennengelernt und Mariam erzählt mir , dass sie sich seitdem gewünscht hat, dass wir die erste Etappe zu dritt laufen, denn ich hatte einen so in mir ruhenden und ausgeglichenen Ausdruck auf sie gemacht. Was für ein schönes Kompliment.

Zwanzig Minuten später stehen wir immer noch da und ich überlege , ob wir nicht einfach die sechs Kilometer aus der Stadt heraus laufen sollten. Doch Mariam wendet ein, dass uns dieser Weg auch warten lehrt und schon biegt die Bahn um die Ecke.

Eine halbe Stunde später am Leuchtturm de S. Miguel beginnt unsere Wanderung. Zunächst noch an der Strandpromenade entlang und über den Sand genießen wir die ersten Kilometer. Bald wechselt aber die Landschaft und wir erreichen den Umschlaghafen von Matosinhos. Containerschiffe versperren den Blick auf das Meer und der Weg führt uns immer weit weg hin zur Schnellstraße. Ich bin sehr froh, dieses ernüchternde Stück nicht allein gehen zu müssen. Viel zu spät bemerken wir, dass wir vom Wanderweg wohl abgekommen sein müssen und uns damit einen Umweg von drei bis vier Kilometern eingehandelt haben.

Kurz bevor wir wieder an den Strand kommen, kehren wir in eine Bar ein, die gut mit Einheimischen gefüllt ist. Wir bekommen leckere Sardinen direkt vom Holzkohlengrill und sind versöhnt mit der Welt.

Ab jetzt führt uns der Weg immer am Meer entlang. Zehn Kilometer oder noch länger wurde hier ein Holzsteg gebaut , über den es sich perfekt wandern lässt.


Ilka und ich haben das gleiche Tempo. Marion lässt sich etwas zurückfallen. Sie wünscht sich ihr eigenes Tempo.


Die beiden sind Kolleginnen und aus unterschiedlichen Gründen auf dem Camino unterwegs. Gern höre ich zu, wie mir Ilka von Wuppertal berichtet , von ihrer Arbeit und ihren erwachsenen Kindern. Immer wieder bleiben wir stehen und genießen den Blick auf das Meer.


Als uns eine joggende Männermannschaft einen Bom Camino wünscht , sind wir unglaublich stolz.

Der Tag schreitet schnell voran und bald merken wir, dass unsere Pläne für heute nicht so einfach aufgehen werden. Es ist schon kurz vor 17 Uhr und nach gelaufenen 19 Kilometer, als wir in einem Strandcafe die Lage besprechen. Die beiden wollen heute noch nach Vila do Conde ,noch ungefährt 15 Kilometer von unserem Standort entfernt und wollten vom nächsten Ort aus mit dem Bus fahren, der um diese Uhrzeit leider nicht mehr verkehrt

Mein Ziel ist ein Campingplatz in Vila Cha Wie ich beim online Check feststellen muss , liegt dieser nicht am Meer, sondern ungefähr fünf Kilometer von Vila Cha im Wald und damit weder heute noch morgen auf meinem Weg.

Wir entscheiden, geteiltes Leid ist halbes Leid und brechen gemeinsam nach Vila do Condo auf. Vorbei an dem hübschen Fischerdorf Villa Cha immer weiter über die Holzbohlen, denn wir haben das große Glück , dass der Holzweg erst im letzten Jahr verlängert wurde.


Wir werden immer stiller , die Rucksäcke schneiden sich in die Schultern ein, die Füße brennen und bei jeder Stufe spüren wir all unsere Muskeln.

Die letzten drei Kilometer nehmen wir Marian in die Mitte , die am härtesten zu kämpfen hat , aber auch den unbändigen Willen , es zu schaffen. Ihr Wunsch für den Camino, über die eigenen Grenzen zu gehen, hat sich schon am ersten Tag erfüllt. Aber auch sie ist tapfer und wir können es nicht fassen , als kurz vor halb Neun das weithin sichtbare Kloster von Villa do Condo vor uns liegt.


Das Hostel von Ilka und Mariam ist schnell erreicht. Mein Hotel, das ich schnell vom Strandcafe aus gebucht hatte, ist nochmal mehr als einen Kilometer entfernt Wir verabreden uns auf Tapas und Wein , nachdem wir eingecheckt haben werden. Ich schlurfe mehr, als das ich laufe Richtung meines Hotels und als ich es in der Straße nicht gleich finde, bin ich den Tränen nah.

Der Hotelier erkennt sofort mein Elend, alle Anmeldeformaliäten fallen weg und er trägt mir den Rucksack auf mein Zimmer ohne zu versäumen , sich dafür zu entschuldigen , dass dieses in der zweiten Etage liegt.

Schuhe aus , Strümpfe aus – ab aufs Bett. Das Zimmer ist klein und alt , aber sauber und mir im Augenblick lieber als jede Suite.

Schon schreibt mir Ilka , ob ich nicht zurückkommen möchte. Neben ihrem Hostel wäre eine sehr hübsche Bar. Eine Ibuprofen , etwas Schmerzgel für die Knie und Hirschhorntalg für die Füße später , bin ich wieder auf dem Weg.

Wir trinken grossartigen Wein und stoßen auf uns und das Leben an , verspeisen Berge von Tapas und erzählen uns sehr persönliche Dinge aus unseren Leben, wie man es vermutlich nur nach einem so intensiven Tag tut.

Wir werden uns vermutlich nicht wiedersehen, denn die beiden gehen morgen weiter auf den Küstenweg, werden einen Teil der Strecke mit dem Bus zurücklegen und dann immer eine Etappe vor mir sein

Es geht auf Mitternacht zu, als ich leichtfüßig zurück in mein Hotel laufe.

Ein Blick auf mein Smartphone verrät, dass ich heute 54.595 Schritte oder 37 Kilometer gelaufen bin. Ich bin total erschöpft , aber glücklich.

Ach dieses Universum : hatte ich doch große Sorge vor Etappe 4 und den damit verbundenen 34 Kilometern – und schon zeigt es mir, wie das geht.

Und ein Schweigeretreat wird der Jakobsweg für mich dann wohl auch nicht ….

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  1. Das klingt nach einem herausfordernden und gleichzeitig erfüllenden Start.
    Weiterhin einen guten Weg und solche sensationellen Fotos.
    Liebe Grüße
    Sylvia

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