Heute bin ich nach einem wenig spektakulären Hotelfrühstück schon vor neun Uhr unterwegs. Noch ist es etwas neblig, doch es deutet sich schon an, dass es ein schöner Tag werden wird. Mein Tag – Ankunft bei 0,0. ich kann es noch immer nicht wirklich fassen.
Wie beim Universum bestellt, laufe ich heute allein, wenige Pilger sind unterwegs. Vor mir läuft ein Pilger , den ich mit einem lauten Hello zurückrufe , als er den Pfeil an einer Abbiegung übersieht. Wir strahlen uns fröhlich an und er geht weiter. Ein ums andere mal bei jedem Fotostopp überholt der eine den anderen, bis wir doch ein Stück gemeinsam laufen. Er kommt aus Italien und spricht nur Italienisch und Spanisch. Ich hingegen spreche nur deutsch und englisch. Wir müssen lachen über die fehlende Kommunikationsbasis und bald entschuldigt er sich auch , da sein Tempo deutlich schneller ist als das meinige. Zwei Minuten später rufe ich ihn wieder zurück – Pfeil übersehen… Es ist schön zu wissen , dass ich nicht allein auf dem Weg bin und trotzdem meinen Gedanken nachhängen kann.
Der Weg heute verläuft Kreuz und quer , hoch und wieder runter. Ein System ist nicht wirklich erkennbar. Es ist ein bisschen wie das Leben geht es mir durch den Kopf – von allem etwas, aber immer im Vorwärtsgang.
Es gibt wenig Einkehrmöglichkeiten und die Strecke ist mit 17 Kilometern heute nicht wirklich lang, so dass ich beschließe, ohne Pause durchzulaufen.
Der Ausblick immer wieder aufs Meer ist atemberaubend und findet seinen Höhepunkt in einem ganz geraden Weg, der direkt auf den Atlantik zuzulaufen scheint.
Es ist wie eine Zielgerade, doch dann schlägt schlagartig mein Hochgefühl in Angst um. Ich stehe vor einem sehr gerölligen Hohlweg, der steil bergab geht. Ich überlege kurz die Alternativen , die es nicht gibt und erinnere mich an meine Weggefährten. An Terry , die mir gezeigt hat , wie ich am besten die Stöcke aufsetze , an Gon , die mir zuruft „run,Yvonne , run“ und an Colette, die mir den Zickzackschritt beigebracht hat. Ich erinnere mich auch an meine Kraft und steige langsam aber stetig den Berg hinab
Danach geht alles recht schnell. Ich erreiche den Sandstrand von Finisterre. Herrlich ist es hier , fast wie in der Karibik.
Ich stelle meine Füße zum Fotoshooting auf und ….
… stelle fest, dass Goretex nicht unbedingt wasserdicht ist.
Tausende von Jakobsmuscheln liegen hier am Strand und scheinen mir den Weg zu weisen.
Kurze Zeit später kommen mir Nadja und Jessica entgegen. Es ist schön , bekannte Gesichter zu sehen. So wie ich mit den beiden Schwestern den Weg in Porto begonnen habe, werde ich ihn hier in Finisterre mit Ihnen beenden
Doch noch habe ich ein Ziel und ohne meinen Rucksack in der Pension abzulegen , gehe ich weiter den Weg am Meer entlang , durchquere den kleinen Ort Finisterre und steige dann noch etwas über zwei Kilometer an der Straße entlang bergauf. Wieso müssen Leuchttürme denn immer auf einem Berg stehen …
Oben angekommen kennt meine Enttäuschung keine Grenzen , Massen an Autos und drei Reisebusse stehen auf dem Parkplatz. Und so stehe ich mit einer Menschentraube am Ziel meines Traumes – dem Kilometerstein 0,0 – und weiß nicht wohin mit meinen Emotionen.
Ich halte stark an mich, um nicht aggressiv gegenüber denen zu werden, die sich jetzt , ohne einen Kilometer gelaufen zu sein, gegenseitig an dem Stein fotografieren. Ich bekomme auch mein Foto und sehe betreten in die Luft
Und so laufe ich weiter den Klippen entgegen. Auf einer Treppe spielt ein Musiker Gitarre und begrüßt mich am Ende der Welt. Seine positive Ausstrahlung versöhnt mich wieder etwas.
Ich klettere zu der Stelle, an der traditionell die Pilger etwas verbrennen , was sie auf dem Weg dabei hatten – Ende und Neubeginn …
Ich habe nichts zum verbrennen dabei. Stattdessen lege ich einen kleinen hellen Stein ab, den ich in Portugal in die Tasche gesteckt habe, als Symbol für meinen Weg.
Kurze Zeit später lerne ich Rainer aus Karlsruhe kennen , der hier heute seinen camino Français beendet. Über fünf Wochen war er unterwegs. Wir tauschen uns über den Massenandrang am Kilometerstein aus Sein Ansatz, er hat fünf Wochen nicht geflucht und wird es jetzt wegen der Touristen auch nicht tun , erdet mich wieder etwas.
Wir haben uns schon verabschiedet , als ich sehe, dass es am Stein nun völlig leer ist. Ich rufe ihn zurück , wir werfen unsere Rucksäcke übereinander und fotografieren uns gegenseitig.
Dann laufen wir gemeinsam auf der Straße zurück, sind keine Pilger mehr , nur noch Wanderer und tauschen unsere Erfahrungen aus. Bis mir plötzlich ein so vertrautes Gesicht entgegenkommt. Ich kann es nicht fassen , Miguel aus Peru Wir fallen uns in die Arme und er sagt diesen so schönen Satz „ich sehe das Glück in deinen Augen „. Ich kann gar nicht aufhören zu strahlen.
Rainer sagt das einzig richtige, auf das ich in diesem Moment nie gekommen wäre , warum trinken wir nicht heute Abend zusammen Rotwein. Ja warum eigentlich nicht ? Miguel lässt sich meinen Facebook Namen geben und will mir später schreiben, wo wir uns treffen. Er ist seit gestern mit Jim, der ähnlich alt ist wie er und aus Boston kommt , unterwegs. Wie sich herausstellt , sind alle in der gleichen Herberge untergekommen. Was für ein verrückter Zufall. Nein – natürlich kein Zufall …
Im Ort verabschiede ich mich von Rainer und halte Ausschau nach Norbert und Egon , die heute Nachmittag noch mit dem Bus nach Santiago fahren. Wie soll es anders sein, schon kommen sie mir mit ausgebreiteten Armen entgegen , die beiden Esel auf dem Jakobsweg , wie sie sich selbst liebevoll nennen.
Wir tauschen uns aus, wie es uns seit Santiago ergangen ist, die beiden geben mir Tipps für Finisterre , denn sie sind schon seit gestern hier. Gemeinsam trinken wir noch ein , zwei Rotwein auf unseren Camino portugues und schon ist es Zeit zum Abschied nehmen. Das ist ja immer noch so gar nichts für mich.
Ich beziehe mein Zimmer in der Pension. Der Blick aus dem Fenster ist einzigartig
Trotzdem hält es mich nicht lange und ich steh wieder auf der Straße, laufe zum Hafen und suche mir einen schönen Platz.
Es ist ein komisches Gefühl zu wissen, dass ich ab jetzt keinen gelben Pfeil mehr folgen werde, dass das Ziel erreicht ist und der Alltag zum greifen nah. Nadja hat gesagt , sie könnte weiterlaufen, immer weiter und ich verstehe genau, was sie meint.
Das klappern der Stöcke auf dem Weg, die klare Luft , die wechselnden Landschaften, der Austausch mit den Menschen, das laufen zu einem konkreten Ziel – all das wird mir fehlen. Ich weiß nicht , ob ich noch der gleiche Mensch bin wie zuvor. Der Alltag wird es zeigen …
Gut, dass bald darauf die Nachricht von Miguel eintrifft. Gemeinsam mit Jim und Rainer gehen wir leckeren Fisch essen. Miguel , der bis vor 3 Jahren in Boston noch als Lehrer gearbeitet hat , teilt sein Leben jetzt in zwei Hälften – ein halbes Jahr in Lima, Peru und ein halbes Jahr in Boston. Als ich erzähle, dass ich im Oktober in Boston sein werde, bietet er mir spontan an, mich bei ihm zu melden. Es ist großartig.
Kurz vor 22 Uhr verabschieden wir uns , denn Rainer und ich wollen uns den Sonnenuntergang ansehen , von dem es heißt , er sei spektakulär. Gerade rechtzeitig erreichen wir die kleine Bucht und sehen die Sonne im Meer verschwinden. Der Himmel ist in herrliche Farben getaucht und es sieht so aus, als ob ein Engel im Anflug ist.
Schweigend gehen wir zurück in den Ort und verabschieden uns . Rainer nimmt morgen den Bus nach Santiago
Spät komme ich in mein Zimmer zurück und habe den Satz vor Augen , den ich heute an einem Hostel gesehen habe …
Kristin
Was soll man dazu sagen? Die Engel sind mit Dir und sprechen und Du hörst Ihnen zu. Gibt es was Schöneres? Mir standen die Tränen in den Augen…