… nein, nein – so schlimm war es nicht – nur in meinen Gedanken 🙂
Aber der Reihe nach.

Zeitig wachgeworden entscheide ich mich für die Tour zum Waimea Canyon und Koke’s State Park im Westen der Insel. Zur Stärkung gibt es kurz nach 7 Uhr Kaffee und Bagel bei Coffee Beans und dann geht es ab auf den Highway. Der Reiseführer empfiehlt vor 8 Uhr den Ort Waimea zu passieren – hier bin ich sieben Minuten zu spät , hole das aber locker unterwegs wieder auf. Bis 10 Uhr soll man spätestens auf der Aussichtsplattform mit Blick auf das Kalalau Valley stehen, um einen nebelfreie Aussicht genießen zu können. Der Weg dahin wird als enge kurvenreiche Straße beschrieben , die sich den Berg hinaufwindet. Nun – einmal den Weg nach Hana gefahren – ist dies hier ein Kinderspiel. Mein Auto und ich bilden eine Einheit und staunend nehme ich zur Kenntnis , dass einige der vor mir fahrenden Jeeps rechts anhalten, um mich vorbeizulassen.

Ich folge den Ratschlägen des Autors und lasse zunächst den Waimea Canyon – die Bergschlucht des Pazifiks , die dem Grand Canyon am nächsten kommen soll , links bzw. in dem Fall rechts liegen und stehe 9 Uhr im gleißenden Sonnenschein ganz allein auf der Plattform des Lookouts und bin einfach nur sprachlos – ein grandioser Blick eröffnet sich mir.

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Einen noch besseren Blick verspricht der Ausblick noch einige Meilen weiter oben.

Hier angekommen entschließe ich mich spontan zu einem Mini-Trail. Man kann nicht auf Kauai gewesen sein , ohne nicht zumindest eine kleine Wanderung in dieser großartigen Natur unternommen zu sein. Viele Urlauber kommen ausschließlich deswegen hierher.
Der Wegweiser verspricht einen weiteren Ausblick in einer Meile. Naiv laufe ich einfach mal los – alle Wanderer mit Rucksack und ich als einzige mit meiner vollbepackten Handtasche über den Schultern – zumindest habe ich Sneakers statt Sandalen an.

Schon bald kristallisieren sich zwei Dinge heraus. Der Trail ist kein Spazierweg sondern ein heftiges auf – und ab mit teilweise großen zu überwindenden Steinbrocken. Und das Wetter verschlechtert sich , es wird neblig und feucht. Einmal losgegangen, habe ich nun den festen Willen , den Weg auch zu Ende zu bringen. Wer mich kennt weiß , das ich konditionell keine Probleme mit bergauf wandern habe , dafür um so größere mental beim bergab gehen. Und so kreisten meine Gedanken schon auf dem Hinweg beständig um den Rückweg … An einer besonders schwierigen Felsformation (oder dass, was ich dafür halte …) kommen mir ein Vater mit seiner Tochter entgegen. Befragt , wie weit es denn noch sei ( nach meinem Smartphone war ich schon mehr als 3 km unterwegs ) antworteten sie , nicht mehr als 10 Minuten , aber wenn ich den Weg nicht mehr mag , lohnt es sich auch nicht , ihn fortzusetzen, Nebel verhülle das komplette Tal.

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Umkehren ? Mitten auf der Strecke aufgeben ? Na ich doch nicht. Also Augen auf und durch. Ich klettere die letzten Steine hoch und sehe oben – wie zu erwarten war – nichts.

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Ich hole tief Luft , versuche mir Mut für den Abstieg zuzusprechen, laufe los und glaube kurze Zeit später zu träumen. Das Universum hat mir eine Treppe für den Abstieg geschenkt
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und so steige ich glücklich bergab , laufe entlang eines langen Holzsteges , kann es fast nicht glauben und bin schon eine ganze Weile unterwegs , als mir plötzlich drei junge Leute entgegen kommen , die ich schon einmal gesehen habe. Kurz bevor ich den Aussichtspunkt erreicht hatte , kamen die drei mir auch schon mal entgegen. Entgegen ???? Ich stutze kurz und beginne das erste Mal darüber nachzudenken , wieso denn da plötzlich eine Treppe war. Siedendheiss wird mir klar , ich laufe in die komplett falsche Richtung und muss den Weg auch wieder komplett zurück. Ich befinde mich zwischen Schockstarre und irrem Lachen über die Situation. Wie konnte ich nur so naiv sein ? Ich laufe zurück. Aus dem Nebel wird Regen. Aus dem roten staubigen Weg wird Matsch , die Steine werden noch rutschiger und meine Angst noch größer. Völlig allein mit meiner bekloppten Handtasche rutsche ich mehr auf allen vieren , als das ich laufe. Als der schlimmste Abschnitt vorbei ist , kommen mir zwei deutsche junge Paare entgegen. Ich rate Ihnen , schon aus Eigeninteresse – davon ab, weiterzugehen und sie drehen mit mir um. Einer der beiden Männer erkennt meine Not und hilft mir beim Abstieg. Zumindest eine Weile und lenkt mich mit einem Gespräch ab. Ich bin total dankbar. Seine Freundin ist eher sauer und als ich es allein weiter schaffe – das letzte Stück geht wieder bergauf – lassen die beiden sich zurückfallen.
Insgesamt 3 Stunden , 12 km und 50 Stockwerke nach meinem Start erreiche ich glücklich wieder den Parkplatz. Am Wegweiser lasse ich mich von Amerikanern fotografieren, die insbesondere meine verschmierte Rückseite ein Foto wert finden.

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Gottseidank habe ich Wechselschuhe und ein Handtuch dabei und es gibt wirklich an fast jedem amerikanischen Parkplatz eine Toilette. So wasche ich notdürftig Beine und Hände im Waschbecken und trete den Rückweg an.

Auch der Overlook am Canyon liegt jetzt in Regen und dichtem Nebel. Ich versuche mein Glück trotzdem und schaue ins – nichts … Eingedenk dessen, dass sich hier das Wetter sehr schnell ändern kann – setze ich mich ins Auto und merke erst jetzt , wie kaputt ich bin. Eine halbe Stunde und ein Nickerchen später verlasse ich den Rastplatz noch immer im strömenden Regen. Einige Meilen weiter unten gibt es von der Straße aus einen weiteren Aussichtspunkt. Fast eine Vollbremsung hinlegend, halte ich am Straßenrand an. Ein Regenbogen über den Canyon fesselt meinen Blick. Und wo Regenbogen – da ist neben Regen eben auch Sonne
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Ich entscheide spontan , weiter Geduld zu haben – wende auf dem Highway und fahre wieder zurück. Oberhalb des Canyon-Views befindet sich eine Lodge und erst jetzt bemerke ich , was ich für einen großen Hunger habe. Immerhin ist es schon nach 3 Uhr am Nachmittag.
Während ich mein leckeres Sandwich vertilge , freue ich mich einmal mehr darüber , mich gegen den Jeep entschieden zu haben. Alle in der Lounge im Trockenen sitzenden Gäste fotografieren folgendes Motiv.
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Der Kellner bekommt sich fast nicht ein vor Lachen , als ich frage , ob er glaubt , das Wetter wird bald besser. Ich aber glaube ans Universum und als ich das nächste Mal am Canyon Aussichtspunkt ankomme , hat sich der Nebel fast verzogen. Die Sonne lässt die Bergschlucht in warmen Farben leuchten und ich bin einfach nur glücklich. Manchmal zahlt sich Geduld eben doch aus – ich weiß , das sagt die absolut Richtige …

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Wieder im kleinen Ort Waimea angekommen , halte ich an einen der Souvenirshops an, denn mir fällt ein Top mit der Aufschrift „Dirt Shirt – Hand washed in red dirt“ ins Auge , das exakt den derzeitigen Farbton meiner Sneakers trifft… Das Teil muss mit…
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Auf dem Rückweg fahre ich noch einen kleinem Umweg zu einem Wasserfall , den ich mir auch hätte sparen können. Manchmal ist weniger dann doch mehr.

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Glücklicherweise gibt es einen Spätkauf in der Nähe meines Hotels. Wein , Wasser , Tütenpopcorn und Cracker, die meinen Abend retten , denn für ausgehen habe ich keinen Nerv mehr. Später im Hotelzimmer im Reiseführer nochmal nachlesend , finde ich zu meinem heutigen Trail folgenden Satz : „wer den Trail gegangen ist , der wird sicher ein sehr individuelles Erlebnis mit nach Hause bringen , das weit über Strand und Hula hinausgeht. “
Der Autor weiß gar nicht , wie recht er hat ….