Autor: Yvonne (Seite 2 von 3)

9. Etappe von Redondela nach Pontevedra 

Der Himmel ist grau und Regen tropft auf die Straße, als ich an diesem Morgen erwache. So packe ich zum ersten Mal meine komplette Regenkleidung aus und meinen Rucksack mit der Plane ein. 


 Frühstück gibt es im Café um die Ecke. Die Bedienung hat sich dem Wetter angepasst , sie ist einfach schlecht gelaunt und ich schnell mit meinem Kaffee fertig. Länger dauert es, mich in die Regenhose einzupacken und so gehe ich vollständig vermummt wieder nach draußen und lache laut , der Regen hat aufgehört. 

Ich laufe los und habe nach wenigen Metern das Gefühl , mich beim Bikram Yoga zu befinden, Übungen bei 40 Grad Celsius und der Körper fließt so weg. Schnell entledige ich mich zumindest von einer meinen fünf Schichten aus dem Lagenlook und stopfe die Windstopperjacke in den Rucksack. Die Regensachen behalte ich an. Das ist eine gute Entscheidung , denn bald fallen wieder die ersten Tropfen. 

Das seit Tui viel mehr Pilger unterwegs sind ( die letzten 100 km vor Santiago, um die Compostela zu erhalten ) ist heute deutlich zu erkennen. Die Straße entlang schlängelt sich ein buntes Band an regenbekleideten Menschen. Am lustigsten finde ich die Pilger mit Regenschirm. 


Mir ist heute nach mehr Ruhe und so lege ich einen Gang zu und laufe – meine Stöcke zum Nordic walking umfunktioniert – an der Schlange vorbei. Das gelingt mir recht gut und nach einer Weile bin ich allein. Der Regen stört nicht, das saftige Grün ist wunderschön. 


Die Landschaft ist nicht mehr so lieblich wie in Portugal und erinnert eher an deutsche Felder und Wälder , was ihrer Schönheit aber keinen Abbruch tut .

Ich versinke in eine Art Flow und kann zum erstenmal meine Gedanken auf die Themen konzentrieren, die ich mit auf die Wanderung genommen habe. Zwei grundlegende Entscheidungen fallen, ein Entschluss wird gefasst. Eine Entscheidung steht noch aus, die wird noch etwas Zeit brauchen. Ich höre in mich hinein, ob es sich so gut anfühlt und ja, das tut es. 

Fast erschrocken reagiere ich, als mich ein Australier anspricht, so sehr war ich im Flow versunken. Es scheint, als ob er ein bisschen traurig ist, dass ich nicht am nächsten Café mit ihm und seiner erwachsenen Tochter Pause mache , aber das ist mir noch zu früh. So schauen wir nur gemeinsam kurz auf den vor uns liegenden See , der so ruhig daliegt, wie ich mich gerade fühle. 


Ich gehe weiter, überhole zwei Portugiesinnen, die es toll finden,dass ich den Weg allein gehe – you are a great woman – naja … und kurze Zeit später treffe ich auch wieder Miguel, den Peruaner, der mir seit Rubiaes täglich begegnet. Miguel – noch drei Tage bis Santiago rufe ich ihm im vorbei gehen zu. 

Nach dem dritten etwas heftigeren Anstieg bemerke ich, dass ich vergessen habe, meine Wasservorräte aufzufrischen und bekomme sofort Durst. An der nächsten Kreuzung mitten im Wald steht ein Getränkeverkäufer, das gab es bisher noch nie. Das Universum meint es wirklich gut mit mir 

Gegen Mittag stellt sich ein kleiner Hunger und Appetit auf einen Kaffee ein. Ein Wegweiser zeigt den Weg zu einer nicht weit abseits liegenden Bar und ich folge ihm. Mit mir eine junge Amerikanerin , die in Santiago lebt und eine junge Czechin. Die beiden laufen seit heute morgen gemeinsam und wir kommen ins Gespräch. Die Czechin berichtet über ihre letztjährigen Erfahrungen bei einem Vipassana Retreat. Das ist ein Schweigeseminar mit sehr langen Meditationsphasen. Ich hatte mich im letzten Jahr auch einmal damit auseinandergesetzt und überlegt, dies auszuprobieren Heute glaube ich , den Jakobsweg zu gehen, war die bessere Entscheidung für mich.  

Ich verabschiede mich von den beiden. Der Regen hat aufgehört und so gibt es noch schnell ein gestelltes Foto fast schon wieder im Sonnenschein. 


Eine gute Stunde später erreiche ich den Stadtrand von Pontevedra. Ich halte kurz an, um mich zu orientieren, als ich plötzlich meinen Namen höre. Norbert und Egon kommen des Weges, gemeinsam mit einem österreichischen Paar, die sie unterwegs getroffen haben 

Wir freuen uns riesig, uns wiedergefunden zu haben und verabreden uns für den Abend zum gemeinsamen Essen. 

Im Hotel verordne ich mir eine zweistündige Ruhepause , bevor ich mir das hübsche Städtchen anschaue. Der alte Stadtkern hat mittelalterlichen Charakter und eine ganz besondere Ausstrahlung. Ich klettere auf einen Kirchturm hoch, um die Aussicht zu genießen , treffe etwas später Emmem aus meiner philippinischen Gruppe und schlendere durch die Stadt , die doch deutlich größer ist, als ich geglaubt habe.



So habe ich mich schon sehr weit vom Hauptplatz entfernt, als Norbert anruft und mir sagt, in welchem Restaurant sie eingekehrt sind . Ich brauche eine ganze Weile, bis zu der Gruppe hinzustoße. Neben Norbert und Egon sitzen die beiden Österreicher mit am Tisch und ein deutsch-spanisches Paar. Sabine aus der Nähe von Gießen hat im vergangenen Jahr in einer Herberge auf dem camino de norte Manuel kennengelernt und nun gehen sie den portugiesischen Weg gemeinsam. Er spricht ausschließlich spanisch, was der Kommunikation keinen Abbruch tut. Ein wenig kann Sabine übersetzen und sonst nehmen wir das elektronische Übersetzungsprogramm zu Hilfe. Es ist ein schöner Abend, der später noch in einer Bar bei gutem spanischen Rotwein ausklingt. Wir sind uns sicher, wir sehen uns spätestens in Santiago wieder. 


Spät ist es, als ich mein Hotel erreiche. 

Dort lese ich eine Email von Christoph , dessen sehr informatives und motivierendes Buch über den camino Português ich am Sonntag Abend noch in einem Zug durchgelesen und wie gewünscht einen kurzen Kommentar geschrieben habe. Er verlinkt meinen Blog auf seinem Newsletter. Ich freue mich riesig ….

Nur noch drei Tage bis Santiago… 

10. Etappe von Pontevedra nach Caldas de Reis 

Das Hotel hatte mein Zimmer als eines mit Aussicht beworben – die muss nicht immer schön sein , wie ich feststelle , aber dieses Bild zum Tagesbeginn, das sich mir bietet , ist großartig 


Da es am Vorabend zu spät geworden ist. , schreibe ich mein Reisebuch erst am Morgen und um nicht zu spät loszulaufen verzichte ich im Gegenzug auf Frühstück und meinen geliebten Kaffee. 

Das Wetter ist auch heute sehr grau, als ich kurz nach neun Uhr das Hotel verlasse.  

Schon nach wenigen Minuten und noch in Pontevedra sprechen mich drei kleine zauberhafte Ladys aus den USA an. Zwei sind schon im Ruhestand , die dritte ist noch als Therapeutin tätig. Abwechselnd begleitet mich eine der drei ein Stück und ich habe eine gute Gelegenheit , mein Englisch mal wieder etwas länger auszuprobieren. Ihr Tempo ist angenehm , aber wir halten sehr oft aus den verschiedensten Gründen an. Als wir das erste Waldstück erreichen , öffnet der Himmel seine Schleusen. Die Damen packen ihre Regenschirme aus und ergeben damit wirklich ein herrliches buntes Bild. Bunte Regenjacken , Regenschirme in anderen Farben darauf abgestimmt , bunte Rucksäcke – Lebensfreude pur und so was von amerikanisch 

Wir erreichen nach gut zwei Stunden ein Cafe. In dem es zwar etwas hektisch zugeht , aber ich bekomme meinen schon ersehnten Kaffee und einen Toast und beschließe , allein weiterzulaufen 


Es ist wirklich voll geworden auf dem Weg. Nicht mehr vergleichbar mit der Stille in Portugal und fast vermisse ich diese ein wenig. Es fühlt sich so an, als ob man wieder in der Zivilisation angekommen ist. Segen und Fluch zugleich 

Eine weitere Stunde später halte ich an einer kleinen Bar an , um meine nassen Klamotten etwas zu trocknen und wer sitzt dort am Tisch ? Miguel aus Peru. Ich setze mich zu ihm und bestelle mir auf seine Empfehlung ein Glas Hauswein. 

Auf meine Bemerkung , ich wäre heute sehr spät dran , antwortet er für mich auf sehr denkwürdige Weise. Enjoy the way … Es kommt nicht darauf an, wie schnell man irgendwo ankommt , sondern das man jeden Moment genießt. Er erzählt ein wenig davon , wie er das für sich tut und und verabschiedet sich von mir 

Ich denke an unsere erste Begegnung auf der Landstraße von Rubiaes , auf der mir den richtigen Weg gezeigt hat und schäme mich dafür , dass ich damals einfach an ihm vorbei gezogen bin und mich nicht mal mit einen Bon camino verabschiedet hatte. So freue ich mich nun darüber, dass ich jeden Tag danach Gelegenheit hatte, mich kurz mit ihm auszutauschen und bin ein wenig stolz darauf , dass er sich vom ersten Tag an meinen Namen gemerkt hat. 

Der Regen hat aufgehört und ich laufe weiter. Kurze Zeit später klappern wieder ein paar Stöcke hinter mir. Es ist die gleichaltrige Laurel aus San Francisco. Über Ihren Heimatort kommen wir schnell ins Gespräch , denn ich erzähle von meinen großartigen Gasteltern im vergangenen Herbst. Sie ist Webdesignerin an einer der Universitäten in SF und schreibt den dortigen newsletter. Wir stellen fest , dass wir beide über unseren Weg auf dem camino bloggen und finden das ganz großartig. 

Wir tauschen Webadressen aus , machen noch schnell Fotos von uns  beiden und das heutige Etappenziel ist erreicht. 


Naja noch nicht ganz. Ich hatte auf der Karte gesehen , dass mein heutiges Motel etwas außerhalb liegt. 

Das war dann leider noch etwas untertrieben. Nach zwei Kilometern Fußweg komme ich In the middle of nowhere an einen grauen alten Kasten an. Es ist kein Eingang zu sehen und so klingle ich an einem großen eisernen Tor , dass mich an ein Gefängnis erinnert. Dies schiebt sich nach einer Weile zur Seite und ein Mann im Blaumann steht vor mir Er bringt mich zu meiner Zelle und lässt mich allein. Nicht ohne mir zu zeigen , dass ich meinen Ausweis in ein Klappfach der gegenüberliegenden Tür zu legen habe  

Es ist warm und stickig und vor allem können die Vorhänge vor den Fenstern nicht zur Seite gezogen werden. 

Ich bin unsicher, ob ich in einem Stundenhotel oder Gefängnis gelandet bin. Ich lege den Ausweis in das dafür vorgesehen Fach, zurück kommt die Zimmerrechnung , die viel zu hoch ist und eine Limonade als Begrüßungsgetränk

Ich klopfe an die Tür hinter dem Fach. Der Klempner öffnet mir und ich zeige ihm meine Buchungsbestätigung mit dem korrekten Betrag. Da er kein Wort englisch spricht und mein Spanisch für diese Konversation auch nicht reicht, nutzen wir das Übersetzungsprogramm des Smartphones. Es ist alles ziemlich bizarr. 

Wieder zurück in meinem Zimmer angelangt , melden sich Norbert und Egon telefonisch, um zu fragen , wo ich untergekommen bin  

Ich klage mein Leid und sie fragen in ihrem Hotel in der Stadt, ob noch ein Zimmer frei ist – Retter in großer Not. Ich schnappe mir meinen Rucksack und schleiche mich aus dem Zimmer. Während ich noch darüber nachgrüble, wie ich diesen Hochsicherheitstrakt ungesehen wieder verlassen kann , öffnet sich wie von Geisterhand das eiserne Tor und ich trete zurück in die Freiheit. 

So habe ich insgesamt vier Extrakilometer in den Füßen , als ich das Hotel in der Stadt erreiche und wer kommt mir als erstes entgegen -meine Philippinos. Die Freude ist groß. Die Männer sitzen auch an der Rezeption und der Rezeptionist fragt mich „Are you Yvonne ?“

Das Zimmer ist hell und die Fenster geben den Blick ins Grüne frei. Was für ein Lebensgefühl. Es gibt sogar einen Wäscheservice und schnell gebe ich einen Großteil meiner Klamotten ab 

Anschließend gehe ich auf Städtchenerkundung. Unsere Gruppe von gestern Abend ist in ein Restaurant eingekehrt, dass ich zunächst nicht finde und so suche ich mir eine Bank in der Sonne. Reflektiere den Tag und lese im Reiseführer ein wenig nach. 


Irgendwann verspüre ich Hunger und auf der Suche nach einer kleinen Bar finde ich die Gruppe dann doch noch. Höhepunkt des Abends ist , als Manuel aus Spanien sehr tonsicher Arien aus deutschen Opern pfeifft – großartig. Die anderen bleiben noch sitzen , als ich gegen halb zwölf ins Hotel zurückgehe 

An meiner Zimmertür klebt ein Zettel von der philippinischen Gruppe , die mit mir zum Abendessen gehen wollten 

Ich erinnere mich an meine Bedenken kurz vor der Reise , ob es für mich ein schweigeretreat werden wird. Ich glaube , dass kann ich dann an dieser Stelle kräftig verneinen und verabschiede mich lächelnd von diesem Tag. 

Noch 40 Kilometer bis Santiago …  

11. Etappe von Caldas de Reis bis Cruces

Da es auch gestern wieder viel zu spät geworden ist, schreibe ich heute morgen nach dem Aufwachen mein gestriges Tagebuch , frühstücke spät und laufe erst gegen 10 Uhr los. Die Worte von Miguel noch im Ohr, ist es mein Wunsch, mich heute mit allen Sinnen dem Weg und mir selbst zu widmen. 

Petrus meint es heute gut mit uns. Die Sonne scheint , der Himmel ist tiefblau und die Luft ist so klar , dass man sie trinken möchte. 

Der Weg ist wunderschön und führt durch eine sanfthügelige Landschaft. 


Ich verfalle in den mir schon bekannten Flow und beginne wieder an mein ungeschriebenes Buch zu denken. Die Idee lässt mich einfach nicht los. Ich reflektiere die vielen Bücher, die ich im Vorfeld über den camino Portuguese gelesen habe – manche informativ , manche emotional , manche unterhaltsam. In der Gesamtheit doch schon recht viele – verträgt die Welt dann noch ein weiteres ? Ich entscheide mich heute für ein klares Ja , denke schon ein bisschen übers redigieren nach – über das kürzen und über das hinzufügen ( ich hab ganz wenig über die Orte auf dem Weg geschrieben , das fehlt ), darüber , dass ich mich endlich mal für eine Zeitform entscheiden müsste und natürlich darüber , dass ich schon genau weiß , wen ich mir als „Lektorin“ wünsche. Dann bleiben meine Gedanken am bloggen hängen. Wie sehr ich es mag , schon während des Tages meine Gedanken in Worte zu fassen , wieviel Spaß es mir macht , mit offenen Augen nach Fotomotiven zu suchen und wie gern ich unterwegs bin. Perfekte Reiseblogger Eigenschaften, aber wie macht man das denn nun wirklich professionell? 

Noch in Gedanken versunken , schließe ich zu einer sympathischen Brasilianerin auf. Sie ist gemeinsam mit ihrer österreichischen Freundin und Geschäftspartnerin unterwegs. Ihr gemeinsames Business : Travel Blogger. Ich fasse es nicht, was geht auf diesem Weg vor sich? Wie oft in den letzten elf Tagen hat mir das Universum genau die Antworten auf die Fragen gegeben, die ich gesucht habe ? 

Wir schließen zu Elena, ihrer Freundin , auf und ich quetsche sie aus zu all den Dingen , die mich zum Thema bloggen bewegen. Am nächsten Kaffeestopp gibt sie mir ihre Karte und ich beschließe , mich dem Thema noch einmal intensiver zuzuwenden. 

Dann laufe ich allein weiter und erreiche das schönste Waldstück des gesamten Weges. Leider ist mir ein kompletter Schulausflug mit gefühlt eintausend Jugendlichen auf den Fersen und so lasse ich mich etwas hetzen. Bei der ersten Gelegenheit entwische ich den Massen und gönne meinen gar nicht mal so geschundenen Füßen Frischluft. 


 Noch etwas später ist Mittagspause. Es gibt Patatas frites, abnehmen ist echt nichts für den camino. 

Einige Zeit später erreiche ich Padron ( der Ort, der für die leckeren Pimentos de Padron steht) treffe ein paar bekannte Gesichter – unter anderen meine Philippinen – und freue mich , dass meine Übernachtung heute noch fünf Kilometer entfernt ist und ich noch etwas weiterlaufen darf. 


Kurz hinter Padron erreiche ich die Kirche von Iria Flavia , die als eine der ersten Marienkirchen überhaupt gilt und der im Laufe der Jahrzehnte Santiago de Compostela den Rang ablief. 


Der Ort strahlt die absolute Ruhe aus. Und obwohl ich weiß , wie schwierig es werden wird , mich noch einmal für vier Kilometer aufzuraffen , lege ich auf der Kirchenmauer eine ausgedehnte Pause ein und genieße den Augenblick … 


Eine gefühlte Ewigkeit später mache ich mich wieder auf den Weg und hänge meinen Gedanken nach. Nur noch eine Tagesetappe und ich stehe vor der Kathedrale in Santiago de Compostela. Schon der Gedanke daran treibt mir die Tränen in die Augen. Glück , Freude und Demut wechseln sich ab. 

Ich überlege , welchen Grund ich morgen im Pilgerbüro nennen werde, um die Compostela , die Urkunde, die den zurückgelegten Weg bestätigt , zu erhalten. Noch bin ich gar nicht so sicher ,ob ich mich in die lange Schlange einreihen werde, aber ein Teil meines Herzens hat sich schon dafür entschieden.    

Religiös scheidet aus. Ich glaube nicht an den einen allmächtigen Gott. 

Andererseits ungläubig bin ich nicht. 

Ich glaube an eine universelle Kraft , an meine eigene Kraft , mittlerweile auch immer mehr daran , dass alles in unserem Leben einen Sinn hat. Sollte ich jemals daran gezweifelt haben , hat mich der Camino genau dies gelehrt. 

Bleibt also (wenn man nicht sportliche Gründe angeben möchte ) die Spiritualität. 

Um sicherzugehen , google ich den Begriff noch einmal. Wikipedia hilft hier nur bedingt weiter. Die Definition von Ralf Senftleben (Zeit zu leben) trifft es für mich schon eher …

„Spiritualität, das bedeutet für mich, das Geistige, nicht Sichtbare anzuerkennen und seine Existenz zuzulassen. Ohne dass ich seltsame Erklärungsmodelle drumherumstricken muss. Spiritualität ist wichtig für uns. Ich glaube, dass es das Menschsein ausmacht. Wer bin ich? Wozu bin ich da? Warum bin ich hier? Habe ich eine Aufgabe hier auf dieser Welt? Was kann ich beitragen? Wie kann ich über mich selbst hinauswachsen? Wie kann ich meine eigenen Begrenzungen überschreiten? Wie kann ich die bestmögliche Version meiner selbst werden? “

Ich mag dieses Zitat, trifft es doch sehr genau , was ich empfinde. 

Eine liebe Freundin hat mir kurz vor Beginn der Reise gesagt , dass sie sich wünscht , ich komme so zurück , wie ich bin. 

Das werde ich auf jeden Fall. Vielleicht ein bisschen bewusster , vielleicht ein bisschen entspannter , vielleicht mit etwas mehr Vertrauen in mich selbst – aber immer noch ich   


Ich erreiche das Haus , in dem ich heute übernachten werde. Freue mich auf mein Glas Weißwein nach der Dusche und sehe den einheimischen Männern am Nachbartisch zu, wie sie Karten spielen


Es ist das einfache, was unser Leben lebenswert macht … 

Nur noch 17 Kilometer bis Santiago ….  

12. Etappe von Cruces nach Santiago de Compostela 

Gegen 8 Uhr sitze ich beim Frühstück allein im Herrenhaus. Der Hausherr versichert mir zwar, die anderen Pilger wären schon weg. Ich glaub aber eher , ich hatte das Haus für mich allein. 

Die letzte Etappe nach Santiago de Compostela liegt vor mir. Mit Gongschlag 9 Uhr starte ich ein wenig aufgeregt an der beeindruckenden Kirche von Escravirude. 

Herrlicher Sonnenschein begleitet meinen Weg. Durch den fünf Kilometer Vorsprung auf Padron , dem eigentlichen gestrigen Etappenende, bin ich ganz allein und genieße es in vollen Zügen   

Die spanische Landschaft zeigt sich heute noch einmal von ihrer schönsten Seite.


Ihre  Antwort darauf, dass ich bisher den portugiesischen Teil als den schöneren empfunden habe. Auch die Menschen in Portugal waren so herzlich. Bei jedem, der mir einen Bom caminho wünschte, hatte ich den Eindruck , der Wunsch kommt aus vollsten Herzen und ist sehr persönlich gemeint. 

Nachdem ich gestern so traurig war , dass ich mich habe durch den wunderbaren Wald hetzen lassen , schickt mir das Universum heute noch einmal für mich allein eine lichtdurchflutete und großartige Waldpassage. 


Später komme ich an einem Café vorbei , dem ich keine Bedeutung zumesse, da es noch viel zu früh für eine Pause ist . Doch dann höre ich meinen Namen rufen. Emett und Gon sitzen dort , später kommen noch andere aus der „Bergetappengruppe“ dazu. Ich freue mich riesig , endlich auch  Gon wieder zu sehen , die Holländerin, an die ich seither bei jedem Abstieg denke: Wenn du Angst hast , Yvonne , dann renn , renn einfach den Berg runter. Sie hat es vorgemacht und ich bin ein Stück gemeinsam mit ihr den Berg hinab getanzt. 

Während ich noch Kaffee trinke, will sie schon weiter und als ich maule, verspricht sie, wir sehen uns bald wieder. 

Die Etappe fliegt nur so unter meinen Füßen dahin. Das Adrenalin lässt alle Schmerzen vergessen, meine Gefühlslage schwankt und ich weiß nicht genau, ob ich lachen oder weinen soll. 

Einige Meter hinter mir laufen Sören und Miriam , die mir vor einigen Tagen von Ihrem Weltreiseprojekt erzählt haben. 

Während ich noch darüber nachdenke, ob ich mich zurückfallen lasse, um mit den beiden zu schwatzen, sehe ich ihn, den ich gestern schon schmerzlich vermisst habe. Mit seinem schweren Rucksack , den Handschuhen und dem typischen Gang läuft Miguel aus Peru in einer kleinen Gruppe direkt vor mir.

Ich schließe auf und wir begrüßen uns herzlich. Jetzt ist der sowieso schon einzigartige Tag perfekt. 

Für meine Energie ist die Gruppe leider zu langsam und so schreite ich schnell voran. 

Fünf Kilometer vor dem Ziel beginne ich darüber nachzudenken , mit wem ich jetzt, hätte ich die Wahl, gern gemeinsam ankommen würde. Und da sitzen sie dann auch schon , machen Pause unter einer Brücke und freuen sich , mich zu sehen : Emmet von den Philippinen , May aus Irland und Terri aus den Vereinigten Staaten – ein Teil meine Bergetappengruppe – ich kann es nicht glauben. 


Und so gehen wir gemeinsam los, erreichen die Ausläufer der modernen Stadt Santiago, die immerhin fast 90.000 Einwohner hat. Die Ausschilderung wird immer schlechter und fast geht dabei das Hochgefühl verloren. Tiefpunkt  dessen sind zwei Schilder , die in gegensätzlichen Richtungen zeigen.  


Wir entscheiden uns für eine Richtung und laufen schweigend weiter. Jeder hängt seinen eigenen Gedanken nach. Und dann geht alles ganz schnell , die Altstadt auf dem Berg liegt vor uns. Wir gehen direkt auf die Kathedrale zu und ich kann die Tränen nicht mehr zurückhalten. Wir haben es geschafft. Lachend und weinend liegen wir uns in den Armen. Keiner von uns bemerkt die Regentropfen, die auf uns fallen. 


Miguel ist auch da und wir gratulieren uns gegenseitig zu unserer Ankunft. 


Hunger haben wir nun und beschließen , bevor wir uns in unsere Hotels verabschieden , noch gemeinsam essen zu gehen. Gon, die in der Zwischenzeit dazu gekommen ist, und ich beschließen , zuerst in der Kathedrale eine Kerze anzünden. Sie ist das dritte Mal von einem der Jakobswege in Santiago angekommen und führt mich nun durch diese beeindruckende Kathedrale. Wir bestaunen den über 50 Kilogramm schweren Botafumeiro, den Weihrauchkessel, der früher geschwenkt wurde , um den heftigen Geruch der Pilger zu überdecken , stehen in der Krypta am Grab des Jakobus und gehen durch den Kirchenraum hinauf zum mit Gold geschmückten Jakobus. Die Pilgerreise gilt erst dann als beendet, wenn der Apostel umarmt ist. So lege ich meine Arme um ihn und vertraue ihm meine Wünsche an. 


Als wir ins Restaurant kommen, haben die anderen Ihr Essen bereits beendet und so sitzen wir zu zweit , reden über das Leben und die Liebe. Gon ist mir unglaublich vertraut ,  fast gleichaltrig sehe ich in ihr mein geistiges Spielbild und bei ihren Erzählungen , denen ich so gern zuhöre , verstehe ich , was das Universum mir sagen möchte. 

Wir verabreden uns, später gemeinsam zur Messe zu gehen und ich beziehe mein Hotelzimmer. Wenn ich mich weit genug aus dem Fenster beuge, sehe ich einen Turm der Kathedrale. 

Den Rucksack für einen Tag in den Schrank zu stellen , ist ein gutes Gefühl. Nach der Dusche hält mich nicht viel im Hotel , die Sonne scheint und schon stehe ich wieder auf dem Platz vor der Kathedrale und sehe immer neue Pilger ankommen. 


Bald strömen die Menschen in die Kathedrale. Es scheint unmöglich , hier ein bekanntes Gesicht zu entdecken, doch schon sehe ich Sandra , Emett, Anni und Jane an eine Wand gelehnt. Gon, Terri, May und Carmel kommen noch dazu. Das erste Mal überhaupt, seit  ich ihnen begegnet bin, ist die Gruppe nun komplett und ich freue mich unbändig, ein Teil davon geworden zu sein. 

Eine Durchsage verkündet , dass heute nicht – wie sonst üblich in der Freitag Abend Messe – der Botafumeiro geschwenkt wird. Sicherheitsgründe werden angegeben. Später wird es Gerüchte über eine Terrorwarnung geben, die hoffentlich nur Gerüchte sind. 

Die Kirche ist zum Bersten gefüllt. Aus allen Himmelsrichtungen und von den verschiedensten Jakobswegen sind sie heute hier eingetroffen, die Pilger aus aller Herren Länder. Immerhin ist Santiago nach Rom und Jerusalem eines der bedeutendsten Pilgerziele der katholischen Kirche. 

Zunächst wird aufgezählt , welche Nationen sich heute hier versammelt haben. Die Liste ist ewig lang und ich überlege , welche Länder davon ich bewusst selbst auf dem Weg getroffen habe : die größte Population waren tatsächlich die Deutschen. Danach kann ich keine Reihenfolge festlegen : Holländer , Österreicher , Franzosen , Spanier , Portugiesen , Philippinen, US-Amerikaner, Brasilianer , Miguel aus Peru , Australier, eine Czechin kreuzten meinen Camino, der ein Weg des Friedens ist und bei dem sich Völkerverständigung so einfach gestaltet. 

Danach singt Maria Asunción, eine Nonne , die mit ihrem glockenhellen Gesang schon Millionen von Pilgern zu Tränen gerührt hat und übt gemeinsam mit uns ein Lied, dass wir mit ihr gemeinsam anstimmen. 

Von der spanischen Predigt verstehe ich nur wenig und so schweifen meine Gedanken ab und ich sehe noch einmal die Etappen vor mir, die wechselnden Landschaften , die verschiedenen Emotionen , die großartigen und die traurigen Momente und vor allem die Menschen auf diesem Weg, der einzigartig war. Am Ende des Gottesdienstes liegen wir uns noch einmal gemeinsam in den Armen 

Anschließend machen wir uns auf den Weg, die Compostela abzuholen. Wir sind zu spät am Pilgerbüro , das macht aber gar nichts. Morgen ist auch noch ein Tag. 

Gemeinsam kehren wir in ein kleines Restaurant ein, danach ist kein Platz mehr frei und der Wirt schließt die Tür zu. Das nenne ich pragmatisch 

Wir feiern uns und das Leben. Am Ende des Abends wünsche ich mir ein Gruppenfoto. 


Auf dem Platz vor der Kathedrale spielen Spanier zum Tanz auf. Ich bleibe kurz stehen, aber dann ist es an der Zeit , diesen denkwürdigen Tag zu beenden. 


Ich bin angekommen …  

Santiago de Compostela – Ruhetag

Gegen acht Uhr wache ich auf – draußen gießt es in Strömen und ich bin froh , heute nicht laufen zu müssen. 
Ich erinnere mich daran , dass die Schlange morgens im Pilgerbüro nicht so lang sein soll und beeile mich, um mich schnell auf den Weg dorthin zu begeben. 

Die Straßen sind wie leergefegt , doch am Pilgerbüro tobt schon heftiges Leben. Ich entdecke Emmet und Gon in der Schlange, stelle mich aber doch brav hinten an. Über eine Stunde Wartezeit liegt vor mir, die ich mit dem schreiben des gestrigen Berichtes überbrücke. Dann lege ich meinen Credencial zur kritischen Prüfung vor, gebe den Grund der Pilgerschaft an und erhalte neben der Compostela noch die Bestätigung über die 260 Kilometer zurückgelegte Strecke. 

Der Regen lässt nicht nach und so suche ich mir ein Café für ein gutes Frühstück. Über zwei Stunden verbringe ich hier – der gestrige Bericht ist lang – bis ich mich auf den Weg mache, Santiago zu erkunden. Die Altstadt ist größer als gedacht und auch wirklich schön. Doch Fotos im Regen gelingen nicht wirklich. Ich erinnere mich an Gons Worte, dass ich mir heute etwas besonderes kaufen soll. Und wie kann es anders sein , die Elster in mir entscheidet sich für einen silbernen Muschelanhänger, der perfekt an meine Kette passt und mich immer an den Camino erinnern wird. 

Es ist kalt , also muss auch noch ein Sweater mit der Aufschrift „Camino de Santiago – you never walk alone“ mit. 

Exakt den gleiche Sweater mit anderer Aufschrift gab es schon in schwarz in New York und in blau in San Francisco. 

Soviel zum Thema, ich beschränke mich auf das wesentliche. Heute aber hält er mich warm und wie ich ihn morgen in meinen Rucksack gestopft bekomme, ist mein Problem von morgen. 


Durchgefroren laufe ich zum Hotel zurück. Komischer Tag so ein Ruhetag. Ich plane meine Wanderung nach Finisterre und meine Rückreise neu. Das erste Teilstück morgen laufe ich, dann fahre ich am nächsten morgen 33 Kilometer mit dem Bus , überspringe damit eine Etappe. Bin bereits Dienstag in Finisterre und genieße den kompletten Mittwoch am Meer, fahre Donnerstag mit dem Bus zurück nach Santiago und statt dort zu bleiben ,buche ich mein Busticket von Freitag auf Donnerstag um und fahre direkt weiter nach Porto. Noch eine Nacht in der Stadt , in der alles begann. So der Plan … 

Ich laufe zum galizischen Tourismusbüro, um zu erfahren , dass es keinen Bus zwischen erster und zweiter Etappe gibt. Zur wetterbedingten Depriphase mischt sich etwas Verzweiflung. Von Google Maps lasse ich mich zum Busbahnhof leiten , ich glaub , komplizierter kann man den Weg dahin nicht gestalten. 

Der Mann im Servicebüro der Gesellschaft , die den Bus von Finisterre nach Santiago bedient, versteht meine Frage nicht , wie lang die Busfahrt dauert. Dies ist aber wichtig , um zu wissen, ob ich den Anschluss nach Porto schaffe. 

Leicht entnervt wechsle ich zur Busgesellschaft, die die Strecke von Santiago nach Porto fährt. Der Schalter ist nicht besetzt. Servicezeiten nur am Vormittag. Ich bin der Verzweiflung nah. Ein Angestellter des Busbahnhofes sieht meine Not und schon öffnet sich der Schalter. Ich erfahre , wie lange der Bus von Finisterre nach Santiago fährt, dass ich bequem den Anschluss nach Porto schaffe und dass es überhaupt kein Problem ist , mein schon gebuchtes Ticket von Santiago nach Porto ohne Aufpreis einen Tag vorzuverlegen. 

Ich buche meine Unterkünfte für die kommenden Tage neu. Freue mich riesig , dass ich zufällig im gleichen Hotel in Finisterre sein werde, wie die beiden Schwestern aus der Nähe von Stuttgart und habe nun nur noch das Problem , wie ich vom Zielort morgen zum Ausgangsort übermorgen kommen werde. Ich schreibe mein Hotel, in dem ich für morgen gebucht habe, auf englisch an (bisher war spanisch überall faste die einzig mögliche Form der Kommunikation ) und hoffe auf ein Wunder. Dieses trifft eine Stunde später ein. Das Hotel stellt den Shuttle sicher. 

Es ist immer noch kalt , aber zumindest regnet es nicht mehr. Zeit für einen Kaffeestopp mit Blick auf die Kathedrale. 

Später schreibe ich Gon, ob wir zusammen essen wollen. Sie ist verabredet mit Emmet , Carmel und May und würde sich freuen, ich komme dazu. 

Wir habe einen herrlich entspannten Abend. Carmel und May laufen morgen auch Richtung Finisterre und fragen , ob wir gemeinsam starten wollen. Das nimmt mir eine große Last , hab ich doch gar keine Ahnung , wo der Weg lang führt und wie die Ausschilderung sein wird. 

Erkenntnis des Tages : Hab Vertrauen, alles fügt sich. 

Ich begleite Gon noch zu ihrem Hotel. Abschied nehmen fällt mir echt schwer , morgen geht es für sie zurück. Wir verabreden uns, uns auf halber Wegstrecke zwischen der holländisch – deutschen Grenze und Leipzig wieder zu treffen. Ich vermisse sie schon jetzt. 

Gegenüber meines Hotel gibt es einen Pub. Ein Gin Tonic beschließt meinen Abend und den heutigen Blog. 

Der Rucksack für morgen ist schon gepackt …  

13. Etappe von Santiago de Compostela nach Negreira 

Auf diesen doch eher eigenartigen Ruhetag folgt eine anstrengende Nacht. Die jungen Gäste des Pubs gegenüber vom Hotel sind der Meinung , sie müssten bis morgens halb vier laut singen. An Schlaf also kaum zu denken , bis mir erst zu diesem Zeitpunkt einfällt, dass ich Ohrstöpsel in meinem Rucksack habe … 
Passend zur Nacht ein regnerischer Morgen und dazu ein schlechtgelaunter Kellner beim Hotelfrühstück. Der Tag konnte nur besser werden. 

Eingehüllt in meine Ganzkörper-Regenbekleidung und dem Fünf-Lagen-Look – in manchen Dingen ist meine Lernkurve wirklich sehr niedrig –  stehe ich pünktlich auf dem Platz vor der Kathedrale und während ich auf meine irischen Freundinnen Carmel und May warte, formiert sich gerade eine große Gruppe von Pilgern zu Pferde auf dem Platz. Was für ein grandioser Anblick. Leider ist der Regen zu heftig , um ein Foto zu machen. 

Gemeinsam starten wir in Richtung Atlantik   Schon nach wenigen Metern hörte der Regen auf und es ist einfach schön, wieder zu laufen. 


Entgegen meiner Befürchtung ist auch der Weg nach Finisterre gut markiert. Nach dem ersten Anstieg werfen wir einen letzten Blick zurück auf die Kathedrale. 


Der Weg aus der Stadt heraus ist sehr schön. Erst ein Stadtwald und dann Wiesen und Felder soweit das Auge reicht. Bald schon wandelt sich der graue Himmel in blau. Das sollte auch den ganzen Tag so bleiben und so werfe ich jede Stunde eine meiner fünf Lagen ab ( es blieben zwei ) 


Wenige Wanderer sind auf diesem Weg. Die meisten nehmen den Bus , wenn sie nach Finisterre wollen. Wir treffen lediglich beim Kaffee ein junges deutsches Ehepaar , die mit ihrem kleinen Hund schon auf dem Camino Français unterwegs waren. 

Der Weg heute ist landschaftlich wirklich schön. Dem tut auch der sich vor uns auftuende Berg mit über 400 Höhenmetern keinen Abbruch. Erstaunlich wie schnell sich die Kondition verbessert. 

Wir sprechen über jedes und alles. Mittlerweile denke ich beim Gespräch auch englisch – großartig. 

5 Kilometer vor unserem Tagesziel halten wir an für ein kleines spätes Mittagessen. Zu uns setzt sich eine Engländerin aus Canterbury , die ihre Wurzeln in Hamburg hat. Wir reden über das geteilte Deutschland und die Wiedervereinigung. Das wir in Berlin zwei Sprachen gesprochen haben , ist mir zwar neu , aber ihre Form der Wahrnehmung. 


Anschließend folgt der schönste Teil der heutigen Wanderung entlang an einem Fluss. Carmel , die schon den Camino Français gelaufen ist , berichtet , dass ein Großteil des Weges dort auch so schön sei. Ich fürchte nur, er ist einfach zu überlaufen. Wir werden sehen, denn natürlich bin auch ich – wie alle Pilger vor mir – infiziert von diesem Weg und plane in Gedanken schon den nächsten. Auch wenn ich überzeugt davon bin, dass es keinen schöneren gibt , als den Camino Portuguese. 


Es ist schon nach fünf Uhr als wir das heutige Etappenziel erreichen. Wir sind überrascht , Negreira ist eher eine Kleinstadt als ein Dorf. Carmel und May übernachten in der Herberge und so heißt es, sich von den letzten beiden meiner Bergetappen-Gruppe zu verabschieden. Alle anderen sind schon auf dem Weg nach Hause. Und da ich ja morgen eine Etappe überspringe, gilt es , neue Bekanntschaften zu machen. Und natürlich freue ich mich total , in Finisterre Nadja und Jessica wieder zu treffen. Vertraute Gesichter – herrlich. 

Meine heutige Unterkunft liegt etwas außerhalb. Der Eigentümer bietet an, die Gäste mit dem Auto in der Stadt aufzupicken. Es sind nur knapp zwei Kilometer bis zu dem Haus, die schaffe ich bequem noch zu Fuß. 

Ich erreiche das Gästehaus und damit den Himmel. Der Eigentümer ist ein spanischer Helmut – ihr erinnert euch an den deutschen Aussteiger mit seiner Pension in Rubiaes – und weiß , was Pilgerherzen erfreut. Das alte Backsteinhaus ist mit viel Liebe eingerichtet. Die Getränke im Kühlschrank im Preis inbegriffen. Es gibt eine Waschmaschine und einen Trockner – die fast wichtigsten Dinge überhaupt. 


Nach einer Dusche werfe ich die Klamotten in die Waschmaschine, mache es mir auf der Terrasse bequem , erhalte ein Bier und einen Repeater, um auch hier draußen Internet nutzen zu können. 

Er bietet mir an , mich in die Stadt zurück zufahren , damit ich essen gehen kann oder etwas beim Italiener zu bestellen. Ich entscheide mich für letzteres , genieße Nudeln in der Stille des Abends und empfinde einfach nur – GLÜCK 

14. Etappe von Olveiroa nach Cee

 Um es vorwegzunehmen , ich sitze an der Hotelbar meines Hotels in Cee und habe einen der schönsten Tage auf dem Camino erlebt. 

Das Frühstück in meinem Guesthouse – von der Mama des Eigentümers vorbereitet – ist genauso liebevoll wie alles zuvor. Es gibt ein Gebäck , das schmeckt wie bei meiner lange verstorbenen Großmutter – großartig. 


Mit dem Eigentümer habe ich vereinbart , dass er mich 40 Kilometer weiter nach Oliveiras fährt, wenn er die anderen Gäste auf den Camino zurückgebracht hat. So warte ich entspannt und gegen halb zehn fahren wir los. In Negreira regnet es in Strömen. So hab ich wieder meine ganze Regenmontur an und stelle mich auf einen Regentag allein mit mir und großem Respekt vor einem 700 Höhenmeter Abstieg zum Meer ein

Auf der Fahrt unterhalten wir uns gut. Ich frage nach seinem englisch, was in Spanien eher ungewöhnlich ist. Er erklärt mir, dass Fremdsprachen in der Schule wenig gefördert werden und er sich englisch im Internet und über Skype angeeignet hat. 

Er findet die Idee , dass ich die lange Etappe überspringe, großartig. Die Etappe gestern und meine heutige sind sehr abwechslungsreich , die dazwischen eher langweilig. Aber : ich soll diese Extrafahrt nicht über Booking.com publik machen , nicht das dies in Mode kommt…

Als er mich am Jakobsweg in Olveiroa verabschiedet, wechselt der Himmel seine Farbe von grau ins blau. Der Regen liegt hinter mir.


 Ich laufe los und keine Viertelstunde später entscheide ich mich , meine Regenhose und eine meiner heute nur vier !!! Lagen in den Rucksack zu packen. Neben mir hält ein Pilger an und wir kommen sofort ins Gespräch. Kurze Zeit später schließt seine Frau auf. Es sind Colette und Toni aus Cork in Irland. Verrückt nach meiner gestrigen Etappe mit Carmel und May ebenfalls aus Irland. Wir gehen gemeinsam weiter und lachen unglaublich viel. Toni ist bei der Armee für Topografie zuständig. Verlaufen ist heute keine Gefahr. Colette ist Krankenschwester. Beide sind schon viel gereist und wissen davon schön zu erzählen Toni hat dazu unendlich viel Phantasie. Hinter jedem Stein gibt es ein Monster oder eine andere Geschichte. 


Es sind wenig Pilger unterwegs. Toni weiß zu berichten , dass nur fünf Prozent aller Pilger bis nach Finisterre laufen. Ich genieße die Ruhe und die Landschaft. 


Wir trinken unterwegs einen Kaffee. Erfahren , dass bis ins 15 Kilometer entfernte Cee keine weitere Einkehr möglich ist und nehmen uns Bocadilos für ein Picknick mit. 

Kurze Zeit später erreichen wir eine kleine Kapelle. Dort haben Pilger aus aller Welt kleine Zettel hinterlassen. Von dem mich am meisten bewegendsten habe ich ein Foto gemacht:


Das Wetter ist herrlich. Die grauen Wolken liegen hinter uns. Die Landschaft ist großartig – Ginster und Erika tupfen Farbe in den grünen Wald. Toni verspricht hinter jeder Biegung einen flachen Abschnitt , doch der Bergrücken zieht sich. 


Später picknen wir an einer Heilquelle und dann ist es soweit. Wir sehen am Horizont das erstemal das Meer. Mir entfährt ein kleiner Aufschrei Der Anblick ist unbeschreiblich schön. Das Meer ist meine Kathedrale !!!


Am nächsten Kilometerstein ist es aufgeschrieben ; hier geht es zum Ende der Welt. Ich bin einfach nur glücklich.  


Von da an geht es abwärts. Toni hat mir meine Wanderstöcke neu eingestellt. Die Länge und die Schlaufen neu gerichtet , die Füßchen gedreht. Colette zeigt mir , wie man am besten im Zickzack den Berg runterläuft. Und immer wieder halten wir an, um die unbeschreibliche Aussicht zu genießen. 


Am späten Nachmittag in Cee angekommen , trinken wir noch ein Bier gemeinsam. Colette schlägt vor , dass wir später gemeinsam zu Abend essen und ich nehme gern an. 

Die Rezeptionistin in meinem Hotel ist Schweizerin und spricht deutsch. Fast ein bisschen ungewöhnlich nach all dem Portugiesisch , Spanisch und englisch. 

Nadja und Jessica haben bereits in Finisterre in „unserem“ Hotel eingecheckt und schicken Fotos  vom Ausblick , die wie von den Malediven anmuten  

Norbert und Egon sind auch heute in Finisterre angekommen und senden Bilder vom Kilometerstein 0,0 – dem Ziel meiner Träume. Sie fahren morgen Nachmittag zurück nach Santiago. So werden wir uns morgen Mittag noch sehen und verabschieden können. 

Carmel schickt Regenbilder vom heutigen Tag und der Etappe , die ich ausgelassen habe. Was für ein Glück ich habe. 

Colette schreibt , dass sie jetzt auf dem Weg sind , wir treffen uns in einem Restaurant der Einheimischen und essen lauter ungesunde Sachen. Sie loben mein Englisch , was mir mittlerweile so vertraut ist und wir genießen den gemeinsamen Abend. 

Ein letzter Kaffee und ein cupcake vom Geschäft über die Straße und ich verabschiede mich von den Beiden. 

Nun sitze ich hier und tippe meinen Tag und kann das viele Glück kaum fassen. 

Für morgen bestelle ich beim Universum eine Wanderung ganz für mich allein. Der Weg will verarbeitet werden 

Ich freu mich unbändig auf das Wiedersehen mit meinen Freunden vom camino und auf das Ende der Welt , das für mich ein neuer Anfang ist 

DAS LEBEN IST SCHÖN!!!

15. Etappe von Cee nach Finisterre 

Heute bin ich nach einem wenig spektakulären Hotelfrühstück schon vor neun Uhr unterwegs. Noch ist es etwas neblig, doch es deutet sich schon an, dass es ein schöner Tag werden wird. Mein Tag – Ankunft bei 0,0. ich kann es noch immer nicht wirklich fassen. 


Wie beim Universum bestellt, laufe ich heute allein, wenige Pilger sind unterwegs. Vor mir läuft ein Pilger , den ich mit einem lauten Hello zurückrufe , als er den Pfeil an einer Abbiegung übersieht. Wir strahlen uns fröhlich an und er geht weiter. Ein ums andere mal bei jedem Fotostopp überholt der eine den anderen, bis wir doch ein Stück gemeinsam laufen. Er kommt aus Italien und spricht nur Italienisch und Spanisch. Ich hingegen spreche nur deutsch und englisch. Wir müssen lachen über die fehlende Kommunikationsbasis und bald entschuldigt er sich auch , da sein Tempo deutlich schneller ist als das meinige. Zwei Minuten später rufe ich ihn wieder zurück – Pfeil übersehen… Es ist schön zu wissen , dass ich nicht allein auf dem Weg bin und trotzdem meinen Gedanken nachhängen kann. 


Der Weg heute verläuft Kreuz und quer , hoch und wieder runter. Ein System ist nicht wirklich erkennbar. Es ist ein bisschen wie das Leben geht es mir durch den Kopf – von allem etwas, aber immer im Vorwärtsgang. 


Es gibt wenig Einkehrmöglichkeiten und die Strecke ist mit 17 Kilometern heute nicht wirklich lang, so dass ich beschließe, ohne Pause durchzulaufen. 

Der Ausblick immer wieder aufs Meer ist atemberaubend und findet seinen Höhepunkt in einem ganz geraden Weg, der direkt auf den Atlantik zuzulaufen scheint. 


Es ist wie eine Zielgerade, doch dann schlägt schlagartig mein Hochgefühl in Angst um. Ich stehe vor einem sehr gerölligen Hohlweg, der steil bergab geht. Ich überlege kurz die Alternativen , die es nicht gibt und erinnere mich an meine Weggefährten. An Terry , die mir gezeigt hat , wie ich am besten die Stöcke aufsetze , an Gon , die mir zuruft „run,Yvonne , run“ und an Colette, die mir den Zickzackschritt beigebracht hat. Ich erinnere mich auch an meine Kraft und steige langsam aber stetig den Berg hinab 

Danach geht alles recht schnell. Ich erreiche den Sandstrand von Finisterre. Herrlich ist es hier , fast wie in der Karibik. 


Ich stelle meine Füße zum Fotoshooting auf und ….


… stelle fest, dass Goretex nicht unbedingt wasserdicht ist. 

Tausende von Jakobsmuscheln liegen hier am Strand und scheinen mir den Weg zu weisen. 


Kurze Zeit später kommen mir Nadja und Jessica entgegen. Es ist schön , bekannte Gesichter zu sehen. So wie ich mit den beiden Schwestern den Weg in Porto begonnen habe, werde ich ihn hier in Finisterre mit Ihnen beenden 

Doch noch habe ich ein Ziel und ohne meinen Rucksack in der Pension abzulegen , gehe ich weiter den Weg am Meer entlang , durchquere den kleinen Ort Finisterre und steige dann noch etwas über zwei Kilometer an der Straße entlang bergauf. Wieso müssen Leuchttürme denn immer auf einem Berg stehen …

Oben angekommen kennt meine Enttäuschung keine Grenzen , Massen an Autos und drei Reisebusse stehen auf dem Parkplatz. Und so stehe ich mit einer Menschentraube am Ziel meines Traumes – dem Kilometerstein 0,0 – und weiß nicht wohin mit meinen Emotionen. 

Ich halte stark an mich, um nicht aggressiv gegenüber denen zu werden, die sich jetzt , ohne einen Kilometer gelaufen zu sein, gegenseitig an dem Stein fotografieren. Ich bekomme auch mein Foto und sehe betreten in die Luft  


Und so laufe ich weiter den Klippen entgegen. Auf einer Treppe spielt ein Musiker Gitarre und begrüßt mich am Ende der Welt. Seine positive Ausstrahlung versöhnt mich wieder etwas. 


Ich klettere zu der Stelle, an der traditionell die Pilger etwas verbrennen , was sie auf dem Weg dabei hatten – Ende und Neubeginn …

Ich habe nichts zum verbrennen dabei. Stattdessen lege ich einen kleinen hellen Stein ab, den ich in Portugal in die Tasche gesteckt habe, als Symbol für meinen Weg. 


Kurze Zeit später lerne ich Rainer aus Karlsruhe kennen , der hier heute seinen camino Français beendet. Über fünf Wochen war er unterwegs. Wir tauschen uns über den Massenandrang am Kilometerstein aus Sein Ansatz, er hat fünf Wochen nicht geflucht und wird es jetzt wegen der Touristen auch nicht tun , erdet mich wieder etwas. 

Wir haben uns schon verabschiedet , als ich sehe, dass es am Stein nun völlig leer ist. Ich rufe ihn zurück , wir werfen unsere Rucksäcke übereinander und fotografieren uns gegenseitig. 


Dann laufen wir gemeinsam auf der Straße zurück, sind keine Pilger mehr , nur noch Wanderer und tauschen unsere Erfahrungen aus. Bis mir plötzlich ein so vertrautes Gesicht entgegenkommt. Ich kann es nicht fassen , Miguel aus Peru Wir fallen uns in die Arme und er sagt diesen so schönen Satz „ich sehe das Glück in deinen Augen „. Ich kann gar nicht aufhören zu strahlen. 


Rainer sagt das einzig richtige, auf das ich in diesem Moment nie gekommen wäre , warum trinken wir nicht heute Abend zusammen Rotwein. Ja warum eigentlich nicht ? Miguel lässt sich meinen Facebook Namen geben und will mir später schreiben, wo wir uns treffen. Er ist seit gestern mit Jim, der ähnlich alt ist wie er und aus Boston kommt , unterwegs. Wie sich herausstellt , sind alle in der gleichen Herberge untergekommen. Was für ein verrückter Zufall. Nein – natürlich kein Zufall … 

Im Ort verabschiede ich mich von Rainer und halte Ausschau nach Norbert und Egon , die heute Nachmittag noch mit dem Bus nach Santiago fahren. Wie soll es anders sein, schon kommen sie mir mit ausgebreiteten Armen entgegen , die beiden Esel auf dem Jakobsweg , wie sie sich selbst liebevoll nennen. 


Wir tauschen uns aus, wie es uns seit Santiago ergangen ist, die beiden geben mir Tipps für Finisterre , denn sie sind schon seit gestern hier. Gemeinsam trinken wir noch ein , zwei Rotwein auf unseren Camino portugues und schon ist es Zeit zum Abschied nehmen. Das ist ja immer noch so gar nichts für mich.    

Ich beziehe mein Zimmer in der Pension. Der Blick aus dem Fenster ist einzigartig 


Trotzdem hält es mich nicht lange und ich steh wieder auf der Straße, laufe zum Hafen und suche mir einen schönen Platz. 


Es ist ein komisches Gefühl zu wissen, dass ich ab jetzt keinen gelben Pfeil mehr folgen werde, dass das Ziel erreicht ist und der Alltag zum greifen nah. Nadja hat gesagt , sie könnte weiterlaufen, immer weiter und ich verstehe genau, was sie meint. 

Das klappern der Stöcke auf dem Weg, die klare Luft , die wechselnden Landschaften, der Austausch mit den Menschen, das laufen zu einem konkreten Ziel – all das wird mir fehlen. Ich weiß nicht , ob ich noch der gleiche Mensch bin wie zuvor. Der Alltag wird es zeigen …

Gut, dass bald darauf die Nachricht von Miguel eintrifft. Gemeinsam mit Jim und Rainer gehen wir leckeren Fisch essen. Miguel , der bis vor 3 Jahren in Boston noch als Lehrer gearbeitet hat , teilt sein Leben jetzt in zwei Hälften – ein halbes Jahr in Lima, Peru und ein halbes Jahr in Boston. Als ich erzähle, dass ich im Oktober in Boston sein werde, bietet er mir spontan an, mich bei ihm zu melden. Es ist großartig. 

Kurz vor 22 Uhr verabschieden wir uns , denn Rainer und ich wollen uns den Sonnenuntergang ansehen , von dem es heißt , er sei spektakulär. Gerade rechtzeitig erreichen wir die kleine Bucht und sehen die Sonne im Meer verschwinden. Der Himmel ist in herrliche Farben getaucht und es sieht so aus, als ob ein Engel im Anflug ist. 


Schweigend gehen wir zurück in den Ort und verabschieden uns . Rainer nimmt morgen den Bus nach Santiago 

Spät komme ich in mein Zimmer zurück und habe den Satz vor Augen , den ich heute an einem Hostel gesehen habe … 

Finisterre – der perfekte Ruhetag 

Ein wunderbarer Sonnenaufgang weckt mich früh. 


Eigentlich viel zu früh, denn heute ist mein Ruhetag. So trödle ich lange und gehe gegen neun Uhr zum Frühstück. 

Kurze Zeit später kommen Jessica und Nadja dazu. Wir tauschen uns aus über die Erfahrungen auf dem Camino, die sich in vielen Details gleichen und wir sind uns einig , es war trotz aller Blasen und Schmerzen großartig. 

Viel später verlasse ich das Hotel auf der Suche nach dem perfekten Platz, um meinen gestrigen Bericht zu schreiben und finde ihn auf einer Mauer mit Blick auf das Meer. Lange sitze ich dort , schreibe , schaue , genieße und entspanne. 


Nichts tun macht hungrig und so setze ich mich in ein Café , esse eine Kleinigkeit und schaue mir die neu angekommenen Pilger an. 

In meinen offenen Schuhen , ohne Rucksack und Wanderstöcke bin ich heute nur noch eine Spaziergängerin und genieße das von ganzem Herzen. Ich lasse mich treiben und finde mich auf dem Weg zum Leuchtturm wieder. Die Sonne scheint mit voller Kraft und auf halben Weg bereue ich fast , nicht an den Strand gegangen zu sein. Doch jeder Moment entschädigt mich mit immer wieder neuen Ausblicken auf den Atlantik 


Am Leuchtturm angekommen, ist der Parkplatz komplett leer. Ich kann es kaum fassen , der Kilometerstein 0,0 gehört nur mit und ich genieße den Augenblick. 


Als wenig später der erste Bus angefahren kommt, finde ich das schon wieder amüsant. So schnell ändert sich das mit den Emotionen

Ich schlendre am Andenkengeschäft vorbei , kaufe mir eine Ansichtskarte. Verweile am Kreuz des Nordens während dort eine Pilgergruppe gemeinsam singt und spaziere wieder zurück in den Ort. 


Bei einem Kaffee checke ich meine Nachrichten und freu mich total. Laurie, die Reisebloggerin aus San Francisco hat mein Foto in den Posts von Miguel gesehen und direkt Kontakt mit mir aufgenommen. Sie fragt nach meinem Blog und gemeinsam überlegen wir , wie wir sinnvoll den deutschen Blog mit ihrer englischsprachigen Website verlinken. Eine Idee könnte sein, meinen post über unsere Bekanntschaft nach Caldas de Reis ins englische zu übersetzen – eine Herausforderung, aber lösbar. 

Am späten nachmittag ist in Finisterre immer Fischauktion. In der großen Halle gibt es eine Galerie , auf der sich Interessierte den Handel anschauen können. Das ist total spannend und der ausliegende Fisch zeigt, dass es wohl in den Restaurants im Ort allerfrischeste Ware gibt. 


So ein Bummeltag ist herrlich. Ich kaufe mir im Geschäft an der Ecke Wein , Brot und Chorizo und gehe in mein Hotel. 

Der Bus morgen fährt zeitig, so ist es ein kluger Plan , schon mal ein bisschen zu packen. Ich sortiere meine „Erinnerungstüte“ und freu mich , dass ich den Stadtplan von Porto noch behalten habe. Morgen werde ich ihn brauchen. 


Mit Wein und dick belegtem Brot kuschle ich mich in mein Bett, genieße die Aussicht, schreibe Nachrichten, schau  mir die Websites von Laurie und Elena an und genieße den wunderbar unaufgeregten Abend. 


Es sind die kleinen Dinge , die uns glücklich machen. 

Rückreise – Teil 1

Der Morgen dämmert noch , als ich heute aufstehe. 


Der Bus nach Santiago startet früh. Daher ist an Frühstück nicht zu denken. Ein paar Nüsse und ein Wasser später auf der Fahrt müssen es richten. Die Traube an Menschen wird immer größer und irgendwann ist klar , dass wir nicht alle in den Bus passen werden. Als dieser dann an der Station hält,setzt ein drängeln und schieben ein, als ginge es um das eigene Leben. , obwohl auch schnell klar wird  dass der Busfahrer bereits einen zweiten Bus geordet hat. Den großen Vorteil , den wir genießen, ist allerdings , dass wir ohne weiteren Halt nach Santiago fahren

Schneller als gedacht erreichen wir unser Ziel. Dort angekommen stürzen sich alle auf die Rucksäcke im Gepäckraum , als gäbe es kein Morgen mehr. Es sind fast alles Pilger und ich frage mich, wo ist die innere Ruhe geblieben. 

Auf dem Busbahnhof sehe ich von weitem Miguel, der sehr fokussiert scheint. Ich spreche ihn nicht an, unsere gemeinsame Zeit ist  vorbei. Vielleicht sehen wir uns in Boston wieder. 

Mir bleiben zwei Stunden bis zur Weiterfahrt nach Porto. Ich entscheide mich , die Zeit zu nutzen , um noch einmal in die Altstadt zur Kathedrale zu laufen. Es ist noch früh, die Sonne scheint, aber es ist kalt. Noch wenige Menschen sind auf den Straßen unterwegs. Auf dem Platz vor der Kathedrale gratuliert mir ein Mann zur Ankunft in Santiago. Ich widerspreche ihm nicht. 

Zielgerichtet gehe ich zu dem kleinen Café , in dem ich bereits einmal gefrühstückt habe, bestelle Kaffee und Churros. Gedankenverloren schaue ich aus dem Fenster und bin sicher , dass nun die „nächste “ Generation an Pilgern in der Stadt ist , von denen ich keinen mehr kennen werde. Doch schon lächelt mich von draußen ein bekanntes Gesicht an. Sabine , die mit dem Spanier Manuel auf dem Camino unterwegs war , verbringt ihre letzten Stunden vor Abflug noch hier. Manuel und sie waren auch in Finisterre und in Murxia und haben sich heute getrennt. Es ist schön, noch einmal ein bekanntes Gesicht zu sehen. Doch bald schon ist es Zeit für mich , zum Bus zu gehen und wir verabschieden uns. 

Ich laufe noch einmal über den Platz vor der Kathedrale. Die ersten Pilger sind angekommen , ich sehe das Glück und die Erschöpfung in ihren Augen und bin ganz bei ihnen. 


Pünktlich startet der Bus nach Porto. 

Es ist ein eigenartiges Gefühl so zwischen den Welten, eben noch Pilger – nun auf dem Weg zurück in den Alltag. Einen Teil der Orte, die ich durchwandert bin, streift auch der Bus. Ich bin schon ein wenig erstaunt, was ich tatsächlich an Kilometern gelaufen bin – die Strecke entspricht ungefähr der Entfernung zwischen Leipzig und Rostock. 

Nach gut vier Stunden erreichen wir Porto. Der Busbahnhof liegt etwas außerhalb des Zentrums. Ich beschließe, den Weg zu Fuß zu gehen. Knapp 4 Kilometer hören sich nach nichts an. In den nächsten Tagen werde ich hier wieder eine Relation finden müssen. 

Bald erreiche ich den Teil Portos, den ich schon kenne und fühle mich fast ein wenig heimisch. Im Hotel werde ich mit einem Glas Portwein begrüßt. Das ist sehr aufmerksam, doch ich habe außer den Churros zum Frühstück noch nichts gegessen und sollte eher vorsichtig sein. 

Lange hält es mich auch heute nicht im Zimmer und so spaziere ich los. Die Highlights habe ich schon zu Beginn meiner Reise absolviert und so kann ich mich treiben lassen. Natürlich lande ich wieder am Ufer des Flusses Duoro , höre den Straßenmusikern zu und trinke ein Glas Vino Verdhe auf das Leben.  



Mir ist eigenartig zumute , glücklich und stolz , traurig und leer. Von allen eine bunte Mischung und wohl auch ein wenig erschöpft. 

Einen weiten Bogen schlagend streife ich noch einmal die bekannten Orte und beschließe dann , zum Abendessen zu gehen. Von der Managerin des Studios von meinem ersten Aufenthalt habe ich noch eine Visitenkarte eines empfohlenen Restaurants in der Tasche. Das ist nah an meinem Hotel und ich mache mich auf den Weg. Und dann schlägt der Kreislauf hammerhart zu. Wenig gegessen und darauf den Wein, merke ich, wie mir schwindlig wird. Ich überlege kurz, was auf meinem Nothilfepass steht und ob die, die mich auf der Straße finden , mich ins Hotel bringen. Soweit kommt es Gottseidank nicht. Ich erreiche das Restaurant , bestelle erstmal Wasser und hoffe, dass schnell der Brotkorb serviert wird. Wird er auch und ich erhole mich bald darauf 

Der Kellner fragt nach dem camino und ich frage mich, wie fertig ich aussehen muss, wenn man mir das schon so ansieht. Immerhin sitze ich hier in offenen Schuhen , ach und ja natürlich in meinem camino de santiago Sweatshirt. Der Kellner gratuliert mir zu meiner Leistung und ich weiß gar nicht so recht wozu eigentlich  

 Das Essen ist gut,  am Nachbartisch sitzt ein australisches Ehepaar und wir kommen schnell ins Gespräch. Das funktioniert also auch ohne Camino.  

Ich spaziere den kurzen Weg zu meinem Hotel zurück , höre noch eine weile dem Straßenmusiker vor dem Eingang zu, bevor ich im Hotel verschwinde. 

Hier gibt es eine wunderbare Dachterasse mit Blick auf die Kathedrale. Ich hol mir eine Decke und einen Wein und schau zu dem Ort , wo alles begann … 

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