Das Hotel hatte mein Zimmer als eines mit Aussicht beworben – die muss nicht immer schön sein , wie ich feststelle , aber dieses Bild zum Tagesbeginn, das sich mir bietet , ist großartig 


Da es am Vorabend zu spät geworden ist. , schreibe ich mein Reisebuch erst am Morgen und um nicht zu spät loszulaufen verzichte ich im Gegenzug auf Frühstück und meinen geliebten Kaffee. 

Das Wetter ist auch heute sehr grau, als ich kurz nach neun Uhr das Hotel verlasse.  

Schon nach wenigen Minuten und noch in Pontevedra sprechen mich drei kleine zauberhafte Ladys aus den USA an. Zwei sind schon im Ruhestand , die dritte ist noch als Therapeutin tätig. Abwechselnd begleitet mich eine der drei ein Stück und ich habe eine gute Gelegenheit , mein Englisch mal wieder etwas länger auszuprobieren. Ihr Tempo ist angenehm , aber wir halten sehr oft aus den verschiedensten Gründen an. Als wir das erste Waldstück erreichen , öffnet der Himmel seine Schleusen. Die Damen packen ihre Regenschirme aus und ergeben damit wirklich ein herrliches buntes Bild. Bunte Regenjacken , Regenschirme in anderen Farben darauf abgestimmt , bunte Rucksäcke – Lebensfreude pur und so was von amerikanisch 

Wir erreichen nach gut zwei Stunden ein Cafe. In dem es zwar etwas hektisch zugeht , aber ich bekomme meinen schon ersehnten Kaffee und einen Toast und beschließe , allein weiterzulaufen 


Es ist wirklich voll geworden auf dem Weg. Nicht mehr vergleichbar mit der Stille in Portugal und fast vermisse ich diese ein wenig. Es fühlt sich so an, als ob man wieder in der Zivilisation angekommen ist. Segen und Fluch zugleich 

Eine weitere Stunde später halte ich an einer kleinen Bar an , um meine nassen Klamotten etwas zu trocknen und wer sitzt dort am Tisch ? Miguel aus Peru. Ich setze mich zu ihm und bestelle mir auf seine Empfehlung ein Glas Hauswein. 

Auf meine Bemerkung , ich wäre heute sehr spät dran , antwortet er für mich auf sehr denkwürdige Weise. Enjoy the way … Es kommt nicht darauf an, wie schnell man irgendwo ankommt , sondern das man jeden Moment genießt. Er erzählt ein wenig davon , wie er das für sich tut und und verabschiedet sich von mir 

Ich denke an unsere erste Begegnung auf der Landstraße von Rubiaes , auf der mir den richtigen Weg gezeigt hat und schäme mich dafür , dass ich damals einfach an ihm vorbei gezogen bin und mich nicht mal mit einen Bon camino verabschiedet hatte. So freue ich mich nun darüber, dass ich jeden Tag danach Gelegenheit hatte, mich kurz mit ihm auszutauschen und bin ein wenig stolz darauf , dass er sich vom ersten Tag an meinen Namen gemerkt hat. 

Der Regen hat aufgehört und ich laufe weiter. Kurze Zeit später klappern wieder ein paar Stöcke hinter mir. Es ist die gleichaltrige Laurel aus San Francisco. Über Ihren Heimatort kommen wir schnell ins Gespräch , denn ich erzähle von meinen großartigen Gasteltern im vergangenen Herbst. Sie ist Webdesignerin an einer der Universitäten in SF und schreibt den dortigen newsletter. Wir stellen fest , dass wir beide über unseren Weg auf dem camino bloggen und finden das ganz großartig. 

Wir tauschen Webadressen aus , machen noch schnell Fotos von uns  beiden und das heutige Etappenziel ist erreicht. 


Naja noch nicht ganz. Ich hatte auf der Karte gesehen , dass mein heutiges Motel etwas außerhalb liegt. 

Das war dann leider noch etwas untertrieben. Nach zwei Kilometern Fußweg komme ich In the middle of nowhere an einen grauen alten Kasten an. Es ist kein Eingang zu sehen und so klingle ich an einem großen eisernen Tor , dass mich an ein Gefängnis erinnert. Dies schiebt sich nach einer Weile zur Seite und ein Mann im Blaumann steht vor mir Er bringt mich zu meiner Zelle und lässt mich allein. Nicht ohne mir zu zeigen , dass ich meinen Ausweis in ein Klappfach der gegenüberliegenden Tür zu legen habe  

Es ist warm und stickig und vor allem können die Vorhänge vor den Fenstern nicht zur Seite gezogen werden. 

Ich bin unsicher, ob ich in einem Stundenhotel oder Gefängnis gelandet bin. Ich lege den Ausweis in das dafür vorgesehen Fach, zurück kommt die Zimmerrechnung , die viel zu hoch ist und eine Limonade als Begrüßungsgetränk

Ich klopfe an die Tür hinter dem Fach. Der Klempner öffnet mir und ich zeige ihm meine Buchungsbestätigung mit dem korrekten Betrag. Da er kein Wort englisch spricht und mein Spanisch für diese Konversation auch nicht reicht, nutzen wir das Übersetzungsprogramm des Smartphones. Es ist alles ziemlich bizarr. 

Wieder zurück in meinem Zimmer angelangt , melden sich Norbert und Egon telefonisch, um zu fragen , wo ich untergekommen bin  

Ich klage mein Leid und sie fragen in ihrem Hotel in der Stadt, ob noch ein Zimmer frei ist – Retter in großer Not. Ich schnappe mir meinen Rucksack und schleiche mich aus dem Zimmer. Während ich noch darüber nachgrüble, wie ich diesen Hochsicherheitstrakt ungesehen wieder verlassen kann , öffnet sich wie von Geisterhand das eiserne Tor und ich trete zurück in die Freiheit. 

So habe ich insgesamt vier Extrakilometer in den Füßen , als ich das Hotel in der Stadt erreiche und wer kommt mir als erstes entgegen -meine Philippinos. Die Freude ist groß. Die Männer sitzen auch an der Rezeption und der Rezeptionist fragt mich „Are you Yvonne ?“

Das Zimmer ist hell und die Fenster geben den Blick ins Grüne frei. Was für ein Lebensgefühl. Es gibt sogar einen Wäscheservice und schnell gebe ich einen Großteil meiner Klamotten ab 

Anschließend gehe ich auf Städtchenerkundung. Unsere Gruppe von gestern Abend ist in ein Restaurant eingekehrt, dass ich zunächst nicht finde und so suche ich mir eine Bank in der Sonne. Reflektiere den Tag und lese im Reiseführer ein wenig nach. 


Irgendwann verspüre ich Hunger und auf der Suche nach einer kleinen Bar finde ich die Gruppe dann doch noch. Höhepunkt des Abends ist , als Manuel aus Spanien sehr tonsicher Arien aus deutschen Opern pfeifft – großartig. Die anderen bleiben noch sitzen , als ich gegen halb zwölf ins Hotel zurückgehe 

An meiner Zimmertür klebt ein Zettel von der philippinischen Gruppe , die mit mir zum Abendessen gehen wollten 

Ich erinnere mich an meine Bedenken kurz vor der Reise , ob es für mich ein schweigeretreat werden wird. Ich glaube , dass kann ich dann an dieser Stelle kräftig verneinen und verabschiede mich lächelnd von diesem Tag. 

Noch 40 Kilometer bis Santiago …